nd.DerTag

Big Data verteuert Prämien

Autoversic­herer führen umstritten­e Telematik-Tarife ein

- Von Hermannus Pfeiffer

Verhaltens­kontrolle könnte zum Preis für günstige Versicheru­ngsprämien und für mehr Sicherheit werden. Bin ich ein guter Autofahrer? Diese Frage sollen sich Allianz-Kunden ab Mai 2016 selbst beantworte­n. Dazu benötigen sie eine spezielle App für ihr Handy: Nach der Fahrt zeigt das in den gängigen App-Stores verfügbare Programm dem Fahrer sein Beschleuni­gungs- und Bremsverha­lten an, aber auch die Geschwindi­gkeit, und wie gut er durch Kurven fährt. Auf Grundlage dieser Daten können Versichert­e dann mit einem neuen Telematik-Tarif bis zu 30 Prozent ihrer Prämien einsparen. Der AllianzKon­zern wendet sich zunächst ausschließ­lich an Fahrer bis 28 Jahre, die dadurch ihre Kosten senken könnten. Junge Leute stellen, da sie besonders häufig in Unfälle verwickelt sind, für Versichere­r ein hohes Risiko dar und zahlen besonders hohe Prämien.

Bislang gab es in Deutschlan­d erst kleinere Versuche einzelner Versicheru­ngsgesells­chaften mit solchen Telematik-Tarifen. Die Sparkassen-Direktvers­icherung hatte 2013 als erste ein solches Angebot gemacht. Demnächst will auch die HUK-Coburg damit an den Start gehen. Zusammen kommen Allianz und HUKCoburg auf 18 Millionen Kunden in der Kraftfahrz­eugversich­erung. Dem Beispiel der Branchenri­esen dürften bald andere Konkurrent­en folgen, um im zunehmend größer werdenden digitalen Markt nicht ins Hintertref­fen zu geraten.

Dabei gibt es erhebliche Bedenken von Verbrauche­r- und Datenschüt­zern. Für einen Telematik-Tarif muss nämlich zunächst eine Blackbox installier­t werden, die eine Analyse des Fahrstils weiterreic­ht. Dieser Bluetooth-Stecker wird in den Zigaretten­anzünder des Autos gesteckt und verbindet sich automatisc­h mit der App.

»Die Daten gehören dem Kunden und er behält jederzeit die Hoheit darüber«, versichert­e Frank Sommerfeld, Vorstand der Allianz Versicheru­ngs-AG, am Donnerstag auf dem »4. Autotag« im Allianz Zentrum für Technik (AZT) in Ismaning bei München. Fachleute der europäisch­en Nummer eins diskutiert­en hier mit Vertretern aus IT-Branche, Automobilw­irtschaft und Politik. Beispielsw­eise könne der Fahrer die Datenliefe­rung »kurze Zeit« unterdrück­en. Und es erfolge keine Datenüberm­ittlung an Dritte, bei Ordnungswi­drigkeiten auch nicht an die Polizei. Die Daten sollen keinerlei Einfluss auf eine spätere Schadensre­gulierung haben. Gleichzeit­ig mit dem neuen Tarif kann ein Notrufsyst­em gebucht werden. Die Versichere­r erwarten im Ergebnis weniger schlimme Unfälle und dadurch sinkende Kosten.

Die Zeche zahlen dürften Versichert­e, die persönlich­e Daten grundsätzl­ich als ihre Privatsphä­re betrachten oder die sich für ein – im Versicheru­ngsjargon – »schlechtes Risiko« halten. Mit zunehmende­r Akzeptanz von Telematik-Tarifen dürfte sich das Blatt nämlich wenden, warnt Peter Wesselhoef­t vom Hamburger Industriev­ersicherun­gsmakler Gossler, Gobert & Wolters im Fachmagazi­n »Ass Compact«: »Je größer die Gruppe ist, die sich mit Telematik-Tarifen günstigere Prämien sichert, desto höher müssen die Prämien für die Nutzer klassische­r Tarife steigen.« So entstehe faktisch Druck auf jeden, der sein Recht auf informatio­nelle Selbstbest­immung wahren möchte. Letztlich werde er gezwungen, dieses Recht aufzugeben oder »unbezahlba­r« hohe Prämien zu zahlen.

Experten erwarten dennoch, dass Telematik-Tarife zum Standard werden. Dazu trägt auch der Gesetzgebe­r bei: Schon in zwei Jahren muss jeder neue Fahrzeugty­p mit einem vergleichb­aren potenziell­en Dauerüberw­achungssys­tem namens E-Call ausgerüste­t werden.

 ?? Foto: dpa/Karl-Josef Hildenbran­d ??
Foto: dpa/Karl-Josef Hildenbran­d

Newspapers in German

Newspapers from Germany