Einfach verkompliziert
EU-Kommission will Mehrwertsteuerbetrug eindämmen
Die EU legt einen Vorschlag für ein neues Mehrwertsteuersystem vor. Das sei mindestens genauso kompliziert wie das alte, sagen Kritiker. Die EU wäre nicht die EU, wenn sie nicht große Aufgaben in Angriff nehmen würde. Steuerfragen sind sogar so große Aufgaben, dass EU-Beschlüsse einstimmig getroffen werden müssen. Reformen sind da schwierig. Deshalb ist es etwas Besonderes, dass die EU-Kommission am Donnerstag einen Aktionsplan zur Modernisierung der Mehrwertsteuer vorstellte. »Einfacher, weniger betrugsanfällig und unternehmensfreundlich« soll das System werden, sagte EU-Vizepräsident Valdis Dombrovskis. Den Mitgliedsstaaten gingen jährlich etwa 170 Milliarden Euro mittels Mehrwertsteuerbetrug durch die Lappen, wie EU-Wirtschaftskommissar Pierre Moscovici vorrechnete. 50 Milliarden Euro davon allein durch grenzüberschreitenden Betrug, ergänzte Dombrovskis. Und auch, weil das aktuell geltende EU-Mehrwertsteuersystem bereits im Jahr 1993 in Kraft trat. Viel ist seitdem passiert, die Digitalisierung der Gesellschaft ist dabei nur ein Beispiel.
Vor diesem Hintergrund leuchten die Ideen des Aktionsplans ein: Schaffung eines einheitlichen Mehrwertsteuerraums in der EU; bessere Zusammenarbeit der nationalen Behörden beim Kampf gegen Betrug, also mehr Informationsaustausch; vereinfachte Regeln für Unternehmen, gerade auch für kleine und mittlere.
Doch es würde an ein Wunder grenzen, wenn die Ideen nach ihrer Umsetzung die gewünschten Erfolge erzielten. Denn schon bei den konkreten Gesetzesvorschlägen der EU-Kommission, die Ende des Jahres und 2017 vorgelegt werden sollen, bleibt alles kompliziert. Beim einheitlichen Mehrwertsteuerraum etwa könnte man denken, dass überall in der EU die gleiche Mehrwertsteuer für die gleichen Produkte gilt. Der Kommissionsplan sieht jedoch vor, dass jedes Land weiter seine Mehrwertsteuersätze so festlegen darf, wie es will. Sogar die Abschaffung des Mindestsatzes von 15 Prozent bietet die Kommission als Möglichkeit an, um den Mitgliedsstaaten mehr Flexibilität zu gewähren. Mit einheitlichem Raum meint die Behörde lediglich, dass die besonders betrugsanfällige Erstattung der Mehrwertsteuer bei im Ausland gekauften Waren nicht mehr möglich sein soll. Einmal Mehrwertsteuer bezahlt, bleibt es dabei. Wo auf der einen Seite also eine Vereinfachung geschaffen wird, wird gleichzeitig mehr Vielfalt ermöglicht.
Entsprechend beißend ist die Kritik von Sven Giegold, Europaabgeordneter der Grünen: »Die EU-Kommission will den Mitgliedsstaaten weiterhin erlauben, Extrawürste bei der Mehrwertsteuer zu braten«, meint er. Das sei eine Abkehr von einem gemeinsamen Binnenmarkt, in dem indirekte Steuern möglichst überall gleich hoch sein sollten.
Ähnlich äußert sich Werner Langen (CDU): Die Vorschläge der Kommission wertet er als »einen Schritt in die falsche Richtung, der den Betrug bei der Mehrwertsteuer in Europa nicht beenden wird«. Auch er nennt die Abkehr von einem einheitlichen Mindestmehrwertsteuersatz als Beispiel dafür, wie Verbesserungen sicher nicht erreicht werden können.
Für Giegold liegt das an einer Art vorauseilendem Gehorsam gegenüber den EU-Staaten. Die Kommission wisse nur zu gut, dass sie durchgreifende Reformen nicht gegen die Länder durchsetzen könne. Sogar für die jetzt vorgelegten Ideen sieht der Grüne schwarz: »Es ist absehbar, dass zahlreiche Regierungen der EU-Mitgliedsländer gegen diesen grundlegenden Neuaufschlag Widerstand leisten werden«, so Giegold.