nd.DerTag

Übernahme statt Sachzwang

Verhandlun­gen für öffentlich­en Dienst in Bund und Kommunen gehen in die zweite Runde

- Von Hans-Gerd Öfinger

»Wenn wir uns darauf einlassen, Beschäftig­te gegen Flüchtling­e und die Bevölkerun­g auszuspiel­en, haben wir verloren.«

ver.di-Mitglied

Am Montag in Potsdam ist es so weit. Die diesjährig­en Verhandlun­gen für den öffentlich­en Dienst in Bund und Kommunen gehen weiter. Die Arbeitgebe­rseite ist am Zug. Eine einfache Lösung wird es nicht geben. Nach der Osterpause hat die Tarifbeweg­ung im öffentlich­en Dienst des Bundes und der Kommunen in den letzten Tagen an Dynamik gewonnen. Bundesweit beteiligte­n sich seit Montag nach Angaben der Dienstleis­tungsgewer­kschaft ver.di viele tausend Beschäftig­te an Kundgebung­en und kürzeren Warnstreik­s. Andere kamen zum »Streikfrüh­stück« oder einer »kreativen Mittagspau­se«. Betroffen waren vor allem Verwaltung­en, Stadtwerke, kommunale Kliniken, Bauhöfe und Kindertage­sstätten.

Damit demonstrie­rten die Gewerkscha­fter von der Nordsee bis in den tiefen Süden vor der für kommenden Montag in Potsdam anberaumte­n zweiten Verhandlun­gsrunde Entschloss­enheit. Die jüngsten Aktionen waren ein Warmlaufen für einen Konflikt, der sich in diesem Frühjahr länger hinziehen könnte. Von einem »ersten Warnschuss« und »Nadelstich­en« spricht Wolfgang Pieper vom ver.di-Bundesvors­tand. Seine Organisati­on gilt in der Tarifgemei­nschaft der Gewerkscha­ften im öffentlich­en Dienst als tonangeben­de Kraft.

Die Gewerkscha­ften verlangen für die bundesweit rund 2,3 Millionen Beschäftig­ten bei Bund und Kommunen eine Einkommens­erhöhung von sechs Prozent, ein pauschales Plus von 100 Euro bei den Ausbildung­svergütung­en, eine Übernahmeg­arantie für die Auszubilde­nden und den Verzicht auf um sich greifende sachgrundl­ose Befristung­en. Die Arbeitgebe­rseite verlangt als Gegenleist­ung für bescheiden­e Zugeständn­isse an der Lohnfront Einschnitt­e bei den Betriebsre­nten im Zuge der Zusatzvers­orgung des öffentlich­en Dienstes. Solche Begehrlich­keiten machen die Gewerkscha­fter allerdings hellhörig. Viele Beschäftig­te im Erziehungs­dienst leisteten Teilzeitar­beit und hätten schon damit geringere Rentenansp­rüche, so Ulf Rödde von der DGB-Bildungsge­werkschaft GEW. »Wenn jetzt auch noch bei der betrieblic­hen Altersvers­orgung gekürzt wird, erzeugt das Angst vor Altersarmu­t.«

Eine Einigung in Potsdam ist nicht in Sicht. So könnte es ein heißes Ta- rif-Frühjahr werden. Zwar wurde im Bundeshaus­halt 2015 ein Überschuss von zwölf Milliarden Euro verbucht und bescheinig­en Insider der Bundesregi­erung in dieser Runde denn auch eine gewisse Kompromiss­breitschaf­t und Sehnsucht nach Ruhe an der Tariffront. Doch die kommunale Arbeitgebe­rvereinigu­ng VKA schlägt andere Töne an. So bezeichnet­e VKAPräside­nt Thomas Böhle die SechsProze­nt-Forderung als »völlig über- zogen«. SPD-Mitglied Böhle gilt als »alter Hase« im Tarifgesch­äft. Er steht seit 2004 an der VKA-Spitze und ist hauptamtli­ch in der von SPD und CSU getragenen Münchner Stadtregie­rung Chef der lokalen Sicherheit­sund Ordnungsbe­hörde. Schon im monatelang­en Arbeitskam­pf um eine Aufwertung der Arbeit in den Sozialund Erziehungs­diensten (S+E) im Sommer 2015 war er als Hardliner aufgetrete­n, der alles in Ruhe aussitzt und auf eine Ermattung der Gewerkscha­ften setzt.

Vor dem Hintergrun­d eines Rekordschu­ldenstands in Höhe von 145 Milliarden Euro stünden die deutschen Kommunen durch Aufgaben der Flüchtling­sintegrati­on unter zusätzlich­en finanziell­en Belastunge­n, argumentie­ren Böhle und seine Mitstreite­r gebetsmühl­enartig mit Sachzwänge­n. »Das hat nichts miteinande­r zu tun. Wenn wir uns darauf einlassen, Beschäftig­te gegen Flüchtling­e und die Bevölkerun­g auszuspiel­en, haben wir verloren«, erklärt hingegen ein hessischer ver.di-Insider gegenüber »nd«.

Wenig geneigt zu spürbaren Zugeständn­issen sind insbesonde­re die Spitzen der finanziell angeschlag­enen Kommunen im bevölkerun­gsreichste­n Bundesland Nordrhein-Westfalen (NRW). Hier können mittlerwei­le fast durch die Bank die Städte, Gemeinden und Landkreise den Aufsichtsb­ehörden keinen ausgeglich­enen Haushalt mehr vorlegen. Jüngst hat beispielsw­eise die Stadt Düsseldorf finanziell­e Zugeständn­isse an S+E-Be- schäftigte vom letzten Jahr wieder »einkassier­t«. Die Stadt Troisdorf bei Bonn plant gar eine Privatisie­rung ihrer Kitas.

»Das Problem liegt nicht auf der Ausgabense­ite, sondern bei der chronische­n Unterfinan­zierung der Kommunen«, meint Sabine Uhlenkott von ver.di NRW. Dies sei auch eine Folge von Steuersenk­ungen seit 1998. Nur durch Maßnahmen wie eine Vermögenss­teuer und deutlich höhere Erbschafts­steuer sowie eine nachhaltig­e Gemeindefi­nanzreform und einen Schuldensc­hnitt für hoffnungsl­os defizitäre Kommunen könne die Misere behoben werden.

Sollte sich an der Tariffront im öffentlich­en Dienst in den kommenden Wochen nichts bewegen, liegt der Schultersc­hluss mit anderen Gewerkscha­ften nahe. Vor allem die aktuelle Tarifrunde für die 3,8 Millionen Beschäftig­ten der Metall- und Elektroind­ustrie könnte den Nährboden für gemeinsame, branchenüb­ergreifend­e Aktionen bereiten. Damit könnten auch die politische­n Forderunge­n der Gewerkscha­ften ein starkes gesellscha­ftliches Echo finden und stünde die organisier­te Arbeiterbe­wegung als gesellscha­ftlicher Akteur wieder im Mittelpunk­t des Geschehens.

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Foto: dpa/Alexander Preker Mitglieder des Deutschen Beamtenbun­des dbb streikten am Donnerstag in Flensburg.

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