Radler verstehen Senat nicht
Fahrradaktivisten wollen endlich Fortschritte hin zur velofreundlichen Stadt
»Man muss der Spur des Geldes folgen, dann erkennt man auch den politischen Willen.« Frank Masurat, Vorstand ADFC Berlin
Die Verkehrswende hin zum Fahrrad kommt kaum voran. Die Stadtentwicklungsverwaltung erntet wenig Verständnis dafür. »Vielleicht hätten wir den Radverkehrsdialog nicht machen sollen, weil wir zu hohe Erwartungen geweckt haben«, sagt Burkhard Horn leicht entnervt. Er ist oberster Verkehrsplaner in der Stadtentwicklungsverwaltung. 2013 waren die Berliner Fahrradfahrer aufgerufen, im Internet für sie konfliktreiche Kreuzungen und Einmündungen zu benennen. Die Auswertung war im Mai 2014 abgeschlossen und eine Top 30-Liste erstellt. »Bis heute sind gerade mal sieben Prozent davon abgearbeitet«, bemängelt Heinrich Strößenreuther, Mitinitiator des Fahrrad-Volksentscheides.
Sie und 100 weitere Interessierte sind an diesem Mittwochabend im Saal der niederländischen Botschaft zusammengekommen. »Wir bleiben hier auf neutralem Grund, sind aber schon für mehr Fahrradverkehr«, sagt der Gastgeber, Botschaftsrat Kees van Laarhoven, zur Einleitung.
»Ich glaube, dass niemand hier ist, der den Radverkehr nicht voranbringen will«, beginnt Verkehrs-Staatssekretär Christian Gaebler (SPD) seine Ausführungen. Er ist daher dagegen »eventuell viel Energie in die Umsetzung eines Gesetzespaketes zu stecken«. Berlin habe »breite Straßen, die nicht mehr der aktuellen Verkehrsaufteilung entsprechen«, räumt er ein.
Burkhard Horn attestiert eine »unterschiedliche Wahrnehmung«. Aus Sicht der Verwaltung gebe es eine »hohe Kontinuität«. Außenstehende, unter anderem Vertreter der Fahrradlobby vom ADFC, des Verkehrsclubs VCD und des Umweltverbands BUND sehen die vor allem im gefühlten Stillstand. Das Fahrrad löse nicht alle Verkehrsprobleme, sagt Horn. »Anscheinend braucht man Leuchtturmprojekte für mehr Glaubwürdigkeit.« Es brauche mehr Planungspersonal und Projektsteuerer, sagt er, allerdings seien die Ressourcen endlich.
Der Pankower Baustadtrat JensHolger Kirchner (Grüne) berichtet von den Mühen der Ebene. »Sieben Jahre Zeit von der Idee bis zur Um- setzung sind viel zu viel«, sagt Kirchner. »Eine Stadt, die es sich leisten kann, immer wieder von vorne anzufangen, hat kein Ressourcenproblem«, lautet sein Fazit zu den langwierigen internen Abstimmungsprozessen. Im Alltag ein Riesenproblem seien die vor allem von Lieferfahrzeugen stets zugeparkten, sogenannten »Angebotsstreifen« auf der Fahrbahn. »Da sollte das Ordnungsrecht rabiater ausgelegt werden.«
Die Radverkehrsstrategie des Senats sei gut, befindet Frank Masurat vom ADFC, es fehlten jedoch die Verbindlichkeit und Finanzierung. Um fünf Prozent sei die ADFC-Mitgliederzahl 2015 gestiegen, die Neumitglieder wollten vor allem, dass es mit dem Fahrrad in Berlin vorangehe. »Man muss der Spur des Geldes folgen, dann erkennt man auch den po- litischen Willen.« Die Zahlen liefert Strößenreuther vom Volksentscheid: 84 Euro pro Einwohner und Jahr würden für den Straßenverkehr ausgegeben, 3,80 Euro für das Fahrrad.
Anregungen, dass es in anderen Städten durchaus Lösungen gebe, die das Zustellen von Fahrrad-Angebotsstreifen unterbinden, wehrt Gaebler mit dem Hinweis ab, dass es ein ganzes Bündel von Anwälten gebe, für die es ein »Geschäftsmodell« sei, Verwaltungshandeln zu beklagen. Der Staatssekretär bringt die Möglichkeit ins Spiel, eine Infrastrukturgesellschaft zu gründen, die sich gezielt um die Fahrradwege kümmert. Strößenreuther platzt der Kragen: »Dieses heulerische ›alles so schwierig‹ in der Stadtentwicklungsverwaltung kann ich nicht mehr hören.« Protest regt sich im Publikum nicht.