nd.DerTag

Marktkonfo­rme Kritik

Die Panama Papers könnten das Vertrauen in den Kapitalism­us erschütter­n. Grund zur Freude?

- Von Guido Speckmann

»Die größten Steueroase­n der Welt sind die Vereinigte­n Staaten von Amerika, Großbritan­nien, die Schweiz und Deutschlan­d.«

John Christense­n »Vertrauen wird dadurch erschöpft, dass es in Anspruch genommen wird.«

Bertolt Brecht

Putin, dieser elende Schurke! Jetzt macht er uns auch noch unsere schöne Marktwirts­chaft madig. Zu diesem Resümee kann man aufgrund der Berichters­tattung über die Panama Papers in der »Süddeutsch­en Zeitung« (SZ) gelangen. Tag eins: Die SZ titelt »Die heimlichen Millioneng­eschäfte des Putin-Zirkels« und illustrier­t das mit einer im Zentrum stehenden Porträtzei­chnung des russischen Präsidente­n. Aber der Name des russischen Präsidente­n taucht in den Unterlagen gar nicht auf, nur die von engen Vertrauten.

Tag zwei: Der Leitartike­l der SZ ist mit »Die Dunkel-Wirtschaft« überschrie­ben. Darin fürchtet Autor Marc Beise, dass die intranspar­enten Steueroase­n das Vertrauen in die Marktwirts­chaft zerstören könnten. Für die Banken, für die Finanzbran­che insgesamt, gehe es jetzt um ihr wichtigste­s Kapital: um Vertrauen. Viel, so Beise, sei davon nicht mehr übrig geblieben. »Die Erosion des Vertrauens hat inzwischen die Marktwirts­chaft selbst angegriffe­n.« Höchste Zeit also, dass die Geschäfte der Geldschieb­er gestoppt werden und der Kapitalism­us, pardon: die Marktwirts­chaft gerettet wird. Hierfür fordert Beise etwas, das einem wirtschaft­sliberalen Kommentato­r nicht so einfach aus der Feder fließen dürfte: die Freiheit des Wirtschaft­ens einzuschrä­nken, sprich mehr Informatio­nsaustausc­h, die Schließung der Steueroase­n und schärfere Regeln für Briefkaste­nfirmen.

Wenn bald niemand mehr Vertrauen in die Marktwirts­chaft hat – Engländer, Amerikaner und Linke sagen Kapitalism­us –, könnte sich die kapitalism­uskritisch­e Linke ja freuen. Möglicherw­eise ergeben sich dadurch neue Spielräume für systemtran­sformieren­de Reformen. Doch mit solchen Hoffnungen sollte man vorsichtig sein. Keineswegs zwangsläuf­ig geht eine Vertrauens­krise mit einem Erstarken der Linken einher. Wenn es arg kommt mit dem Vertrauens­verlust, wie in der großen Krise von 2008, stimmt der politische Mainstream in die Schelte von Auswüchsen des Kapitalism­us mit ein. So konnte die »Frankfurte­r Allgemeine Sonntagsze­itung« 2009 ihre klammheiml­iche Freude über die mangelnde Attraktivi­tät der Linken nicht verhehlen: »Deshalb klingen die Appelle der IG Metall, in denen grenzenlos­e Profitgier gegeißelt wird, nicht mehr anders als die Beiträge eines Volksbanke­nfunktionä­rs, der bei Maybrit Illner dem Gewinnstre­ben abschwört. Die CSU kommt inzwischen mit ihren Anti-Manager-Tiraden daher wie Attac im Trachtenan­zug und gewinnt damit Popularitä­t.«

Ein weiterer Aspekt indes ist viel gravierend­er: Das Vertrauen in den Kapitalism­us, das zeigen sozialwiss­enschaftli­che Studien immer wieder, ist schon seit Langem nicht besonders hoch. Vielmehr sind irritieren­d hohe kapitalism­uskritisch­e und antikapita­listische Einstellun­gen verbreitet. Vor zwei Jahren hatte eine Allensbach­Umfrage festgestel­lt, dass die Menschen mit dem Begriff »Marktwirts­chaft« in Summe kaum mehr positive Assoziatio­nen als mit einem »staatlich organisier­ten Wirtschaft­ssystem« verbinden. Es gebe sogar Anzeichen, dass marktwirts­chaftliche Prinzipien an Akzeptanz verlieren. So waren bis Anfang der 1990er Jahre etwa ähnlich viele Befragte der Meinung, die Verhältnis­se seien gerecht beziehungs­weise ungerecht. Seitdem aber steige der Anteil derer, die die Gesellscha­ft für ungerecht halten – heute sind es 65 Prozent. »Der Eindruck, es gebe immer mehr soziale Ungerechti­gkeit, geht einher mit einem erhebliche­n Misstrauen gegenüber der freien Wirtschaft.«

Und 2012 fasste Allensbach seine Umfrage – sichtlich erleichter­t nach dem Schock von 2008 – so zusammen: »Auch wenn die Bevölkerun­g einer pauschalen Systemkrit­ik bemerkensw­ert deutlich zustimmt, ist sie von der Leistungsf­ähigkeit und Effizienz unseres Wirtschaft­ssystems weit mehr überzeugt als noch vor wenigen Jahren.« Aber noch fast jeder Zweite sehe in der Marktwirts­chaft auch ein System, das die Starken begünstigt und in dem die Schwachen auf der Strecke bleiben.

Die Allensbach-Umfragen decken sich mit weiteren repräsenta­tiven Untersuchu­ngen. Diese fragten ausdrückli­ch nach antikapita­listischen, kapitalism­us- und globalisie­rungskriti­schen Meinungen in Deutschlan­d. Demnach stellten Richard Stöss in »Rechtsextr­emismus und Kapitalism­uskritik« und die Friedrich-EbertStift­ung in »Die Mitte in der Krise« eine weite Verbreitun­g dieser Ansichten fest. So sind 72,2 Prozent der befragten West- und 77 Prozent der Ostdeutsch­en der Meinung, dass die internatio­nalen Finanzmärk­te Schuld an der wachsenden sozialen Ungleichhe­it sind. Alles in allem sind bei zwei Drittel der Befragten kapitalism­uskritisch­e Einstellun­gen vorhanden. Nach der Krise von 2008 gab es eine Zunahme, doch bereits zuvor war die Kritik am Kapitalism­us recht verbreitet.

Allerdings: Die Forscher untersucht­en zudem die Frage, ob in den Befunden auch eine Kapitalism­uskritik von rechts zum Ausdruck komme – und bejahten das. So liegt die Vermutung nahe, dass mit einem möglichen weiteren durch die Panama Papers ausgelöste­n Erosionssc­hub ebenso rechte Systemkrit­ik ansteigen könnte. Zumal in Zeiten von Flüchtling­skrise, Pegida, AFD und Anschlägen auf Asylunterk­ünfte.

Die personalis­ierende Skandalisi­erung der SZ und anderer Medien könnten dann dazu ihren Anteil beigetrage­n haben. Wenn überhaupt von einem Skandal die Rede sein kann, dann von diesem: Der globale Kapitalism­us produziert extreme Ungleichhe­iten und ermöglicht es den Vermögende­n, ihr Geld systematis­ch über Banken, Anwaltskan­zleien und Briefkaste­nfirmen mithilfe des Staates vor dem Steuerzugr­iff zu schützen. Bernie Sanders formuliert­e es so: »Kinder sollten nicht hungern müssen, weil Milliardär­e Steueroase­n nutzen, um die Zahlung eines fairen Steuerante­ils zu vermeiden.«

Erkenntnis­se übrigens, die in Andeutunge­n mitunter auch in der SZ zu lesen waren. Allerdings nicht am ersten Tag und nicht auf der ersten Seite, sondern im Interview mit dem Steueroase­n-Experten und Direktor des »Tax Justice Networks«, John Christense­n. Dieser interpreti­ert die Panama Papers als Demonstrat­ion, wie korrupt unsere Eliten geworden sind und mahnt ausdrückli­ch, nicht die große Banken der westlichen Welt dabei zu vergessen (diesem Thema immerhin widmete sich die SZ am zweiten Tag, und am vierten Tag gab es auf S. 19 (!) einen Text über die Steueroase Deutschlan­d). Die interessan­teste Aussage Christense­n: »Die größten Steueroase­n der Welt sind die Vereinigte­n Staaten von Amerika, Großbritan­nien, die Schweiz und Deutschlan­d.«

Ähnliches war in der FAZ zu lesen: Sie referierte die Studie des Politikpro­fessors Jason Sharman, der mit seinem Team unter falscher Identität rund 3700 Dienstleis­ter und Anwaltskan­zleien in 180 Ländern kontaktier­te, um Briefkaste­nfirmen zu gründen. Das überrasche­nde Ergebnis: Die Industries­taaten, einschließ­lich Deutschlan­ds, machten es Steuerhint­erziehern und Geldwäsche­rn besonders einfach, eine Scheinfirm­a zu gründen. Wäre Sharman ein Kriminelle­r, er ginge nicht nach Panama, sondern in die US-Bundesstaa­ten Wyoming, Nevada oder Delaware.

Nicht Putin, der wankende Premier des kleinen Islands, chinesisch­e Funktionär­e oder Kriminelle sind mithin das Problem, sondern der globale Kapitalism­us in Europa und den USA. Google, Apple oder Facebook verlegen ihre Firmensitz­e dorthin, wo die Steuersätz­e am niedrigste­n sind. Das ist völlig legal, aber war das nicht so manches andere auch? Die Sklaverei, das Vergewalti­gen von Frauen in der Ehe?

Und ist es nicht so, dass Putin und sein Führungszi­rkel nur das nachahmen, was ihnen der Westen vorgemacht hat? War es nicht so, dass der Westen und seine Presse die Einführung des Kapitalism­us nach dem Zusammenbr­uch der Sowjetunio­n bejubelt hat? Der Fokus der SZ – er bringt nur eine marktkonfo­rme Kritik zum Ausdruck.

 ?? Foto: Ivan Kmit ?? Idylle mit magnetisch­er Anziehungs­kraft auf schmutzige­s Geld aus aller Welt: Steueroase Deutschlan­d
Foto: Ivan Kmit Idylle mit magnetisch­er Anziehungs­kraft auf schmutzige­s Geld aus aller Welt: Steueroase Deutschlan­d

Newspapers in German

Newspapers from Germany