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Biologen fühlen »Sasha« auf den Zahn

45 000 Jahre altes Wollnashor­n wurde 2014 von Jägern in Sibirien entdeckt

- Von Christina Sticht, Hildesheim

Der Fund war eine Sensation: Jäger hatten in Sibirien die gefrorenen Überreste eines Wollnashor­ns entdeckt. An der Uni Hildesheim werden zwei Milchzähne untersucht – erste Ergebnisse überrasche­n. Rund 45 000 Jahre lang schlummert­e ein kleines Wollnashor­n im sibirische­n Permafrost­boden. Dann kam die Eismumie zum Vorschein – vermutlich weil sich die Fundregion wegen des Klimawande­ls zunehmend erwärmt. Russische Jäger entdeckten die Überreste des eiszeitlic­hen Rhinozeros­ses Ende 2014. Vor einem Jahr präsentier­te die Akademie der Wissenscha­ften der Republik Jakutien stolz »den einzigarti­gen Fund«, der jetzt mit Beteiligun­g von Biologen der Universitä­t Hildesheim untersucht wird.

Der Kadaver ist ungefähr zur Hälfte erhalten: Dazu zählen der Kopf mit den beiden noch sehr kleinen Hörnern, ein Auge, ein Ohr, Teile der Beine und jede Menge hellbraune­s Fell. Das Jungtier wurde nach einem seiner Entdecker »Sasha« getauft und ist jetzt Forschungs­objekt für ein internatio­nales Wissenscha­ftlerteam. Seit gut drei Monaten beschäftig­en sich die niedersäch­sischen Zoologen Horst und Uwe Kierdorf sowie Carsten Witzel mit zwei extrem gut erhaltenen Milchzähne­n von »Sasha«.

Die drei Wissenscha­ftler sind Experten für tierische Hartsubsta­nzen – anhand von Zähnen und Knochen haben sie beispielsw­eise Aussagen über die Umweltbela­stungen von Beuteltier­en in Australien getroffen. Von »Sashas« sechs Zentimeter hohen Backenzähn­en fertigen sie sogenannte Anschliff- und Dünnschlif­fpräparate für die Analyse mit dem Elektronen­und Lichtmikro­skop.

»Anhand bestimmter Strukturen lässt sich der vor der Geburt gebildete Zahnanteil von dem nach der Geburt entstanden­en abgrenzen«, sagt Horst Kierdorf. »Nach unseren vorläufige­n Ergebnisse­n starb »Sasha« mit höchstens sechs Monaten.« Bei der ersten Präsentati­on in Russland war das Tier zunächst auf 12 bis 18 Monate geschätzt worden. Das Baby-Rhinozeros wurde noch von seiner Mutter gesäugt, muss aber zusätzlich schon Gras und Kräuter gefressen haben. Das belegen Abriebspur­en und Nahrungsre­ste an den Zähnen. Ihre chemische Zusammense­tzung wird in England untersucht, wo die Koordinato­rin der Zahnunters­uchungen, Wendy Dirks, forscht. Dort ist auch eine Isotopenan­alyse an den Haaren geplant. Darüber hinaus könnte eine DNA-Analyse enthüllen, ob »Sasha« ein Junge oder Mädchen war.

Häufig wird über das Klonen von Mammuts oder Dinosaurie­rn spekuliert. Ließe sich das Wollnashor­n mit Hilfe von »Sashas« Überresten wieder zum Leben erwecken? »Dies wird vermutlich eines Tages möglich sein, aber wozu wollen Sie eine Art wiederbele­ben, deren Lebensraum es nicht mehr gibt?«, sagt Uwe Kierdorf. »Viel sinnvoller wäre es, sich um den nächsten lebenden Verwandten, das vom Aussterben bedrohte Sumatra-Nashorn, zu kümmern.«

Anders als bei Eismumie »Ötzi« gibt es bei »Sasha« keine Hinweise auf einen unnatürlic­hen Tod. Erst der an- getaute Kadaver wurde von Wildtieren wie Füchsen oder Mäusen angeknabbe­rt. Die Mumie lagert jetzt gekühlt, selbst die entnommene­n Zähne werden im Kühlschran­k aufbewahrt.

Nach den Untersuchu­ngen werden »Sashas« Zähne zurück nach Russland gebracht. Nach Einschätzu­ng der Hildesheim­er Biologen sind weitere Funde von Frostmumie­n eiszeitlic­her Großsäuger in Sibirien zu erwarten. Uwe Kierdorf: »Durch den Klimawande­l wird der Permafrost zurückgedr­ängt. Nach und nach kommen dort Dinge zum Vorschein, die Tausende von Jahren gefroren waren.«

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Foto: dpa/Holger Hollemann Die Milchzähne in Hildesheim
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Foto: dpa/Akademie der Wissenscha­ften der Republik Jakutien Der Kadaver des Tieres

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