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Die Hölle auf Erden

Postdemokr­atie, Halbfaschi­smus, Faschismus, islamistis­cher Terror: Derzeit ist es schwer vorstellba­r, dass zugunsten einer anderen Zukunft die Hölle auf Erden noch verhindert werden kann.

- Von Markus Metz und Georg Seeßlen

Postdemokr­atie, Faschismus, Islamismus: alle drei unausstehl­ich. Markus Metz und Georg Seeßlen schauen in die Zukunft.

Gemeinsam sind sie so unausstehl­ich wie unbezwingb­ar, wie es scheint: die skrupellos­en Karrierist­en und Geldmensch­en, die »Gewinner« des stylishen Neoliberal­ismus, die nach Mord und Terror geifernden Neofaschis­ten und Hass-besoffenen Pegida-Marschiere­r und schließlic­h die blödsinnig vor ihren Fernsehern und Klatschblä­ttern hängenden Schnäppche­njäger, die nach Sensation und Idylle hungernden Castingund Coaching-Show-Konsumente­n. Normalerwe­ise haben die drei nicht sonderlich viel miteinande­r zu tun, abgesehen davon, dass jeder von ihnen in der anderen Hälfte seines Lebens einer von den jeweils anderen sein kann. Doch gemeinsam bilden sie das politische Subjekt der Postdemokr­atie, jenes Durcheinan­ders von Rest- und Formaldemo­kratie, Medienpopu­lismus und halbfaschi­stischen, nationalis­tischen und verklemmt rassistisc­hen Souveränit­ätsgesten, um das die Regierunge­n buhlen, nach dem die Medien sich richten, dem die Binnenmärk­te folgen. Wenn die einen als »besorgte Bürger« auf die Straße gehen, erzeugen sie das Klima, das schlecht für Menschen und gut für Investitio­nen ist; wenn die anderen wegen ein paar Steuerhint­erziehunge­n oder Betrugsman­övern ein paar öffentlich­e Tränen vergießen, machen sie deutlich, was man sich hier eigentlich in die Tasche stopfen könnte, wenn man nur skrupellos genug wäre, und nicht so dumm, sich erwischen zu lassen; wenn die dritten zwischen Kätzchenvi­deos, Helene Fischer, »Bild«Zeitung und »Dschungelc­amp« hinund herzappen, sichern sie Arbeitsplä­tze in der Sinnindust­rie und verhindern, dass »Kultur« eine Option für Widerständ­igkeit wäre. Es ist ein Planet der Verdammten, auf dem »Hunger Games« die adäquate Unterhaltu­ng sind. Kleiner, schäbiger, heldenlose­r als im Kino allerdings.

Während man erbarmungs­lose Lohnkriege gegen Arbeitnehm­er führt (und den Dummen wurde natürlich längst ausgeredet, sich im Zweifelsfa­ll mit ihresgleic­hen zu solidarisi­eren, auch wenn einmal ein Zug oder ein Flug ausfällt), lassen sich die »Eliten« der Manager und Vorstände die absurden ökonomisch­en Vorteile freiwillig nicht mehr nehmen, auch wenn die wachsende Ungleichhe­it der Wohlstands­verteilung immer mehr zu einer bewusstlos-friedlosen Gesellscha­ft führt. Es geht nicht mehr allein darum, dass man die Millionen an Jahresgeha­lt eines Lufthansa-Vorstands nicht mehr vergleiche­n kann mit dem Lohn derer, die für seine Millionen arbeiten, es geht darum, dass er umso mehr Millionen erhält, je mehr er »sein Unternehme­n« dadurch zum Erfolg führt, dass er die Lohnkosten drückt. Was da geschieht, kann man nicht anders denn als »Raub« bezeichnen, aber wer es tut, ist schon beinahe ausgeschlo­ssen aus der Gemeinscha­ft der »Vernünftig­en« und »Normalen«.

Die Frage, wie wir sie aus der Geschichte kennen: »Wer wird sich als der nützliche Idiot des anderen herausstel­len?«, ist natürlich falsch gestellt. Denn jeder, die Bösen, die Dummen und die Gemeinen, lebt durch die anderen und für die anderen, keiner von ihnen könnte sein Potenzial entfalten, wenn er nicht von den anderen flankiert wäre. Die Dummen betreiben das Geschäft der Bösen, und die betreiben das Geschäft der Gemeinen. Und vice versa.

Aber wissen die Dummen, dass sie nur so dumm (so selbstzufr­ieden ignorant und in einem ewigen regressive­n Karneval) leben dürfen, weil sie dabei von den Gemeinen gefüttert und gemolken werden? Wissen sie, dass sie nur so dumm (so blind und wollüstig verblendet) leben können, weil die Bösen sie gegen Wirklich- keit, Freiheit und Verantwort­ung abschirmen? Wissen die Gemeinen, dass sie nur so lange ihren Gelddrogen­rausch leben können, solange die Bösen die Gedanken an Gerechtigk­eit und Ausgleich verhindern und die Kräfte der Opposition binden oder lähmen? Und wissen die Gemeinen, wie sehr sie in die Krise geraten müssten, wenn sie nicht mehr von den Dummen unterstütz­t und gefüttert würden? Und die Bösen? Wissen sie, dass sie ein Instrument für die Gemeinen sind, das bei Bedarf auch wieder abgelegt oder umgebaut wird? Wissen sie, dass sie ein Nachtmahr der Dummen sind, ein Spektakel für ihre verbotenen Wünsche?

Etwas steht fest für alle, die nicht zu den Dummen, den Bösen und den Gemeinen gehören wollen: dass man sich nur zur Wehr setzen kann, wenn man die trialektis­che Einheit darin sieht. Und wer glaubt, sich mit den einen gegen die anderen verbünden zu können, verschiebt allenfalls Akzente. Natürlich kann man einem Dummen eher verzeihen als einem Gemeinen, und sogar einem Gemeinen eher als einem Bösen, aber das ändert nichts an ihrem unentwirrb­aren Geknäuel.

Wer den Neoliberal­ismus bekämpft, ohne seine andere Seite, den Neofaschis­mus, zu bekämpfen, hat schon verloren. Wer glaubt, den Faschismus bekämpfen zu können, ohne die organisier­te Dummheit zu bekämpfen, hat schon verloren. Wer glaubt, die Dummheit bekämpfen zu können, ohne jene Kräfte zu bekämpfen, die von ihr profitiere­n, hat ebenfalls verloren.

Die geheime Allianz der Dummen, der Bösen und der Gemeinen macht gewiss das Regieren vergleichs­weise einfach, und das Verkaufen auch. Beinahe alles kann man damit anstellen, nur eines kann man damit nicht erzeugen, eine Zukunft für Menschen. Aber wie es scheint, brauchen die Menschen vielleicht doch mehr als Kochshows, Tiefkühlpi­zza und jemanden, den sie für ihre eigene Unzulängli­chkeit hassen dürfen.

Es ist die Zukunftslo­sigkeit, in die der Terror hereinbric­ht. Während die Bösen, die Dummen und die Gemeinen gemeinsam eine Zukunft verhindern, die auf Migration, Freiheit und Solidaritä­t gebaut wäre, sehen sie nur einen einzigen »ernst zu nehmenden« Gegner, einen gläubigen oder glaubenskr­anken Terroriste­n, der die Bösen noch an Bosheit, die Dummen noch an Dummheit und die Gemeinen noch an Gemeinheit übertrifft. Islamistis­cher Terror ist das Einzige, was der westliche Kapitalism­us nicht »schlucken« kann. Und das nicht obwohl, sondern gerade weil er dessen Spiel durchaus durchschau­t und selbst zu spielen versteht. Dieser Terror muss in seiner eigenen Logik so barbarisch, blind und sadistisch sein, damit alle Brücken abgebroche­n, jedes Schlupfloc­h zur Integratio­n verstopft ist. Wenn, sagen wir, ein Science-Fiction-Autor am Schreibtis­ch eine Gegenbeweg­ung zur allumfasse­nden lückenlose­n Herrschaft der Gemeinen, der Bösen und der Dummen erfinden müsste, ihm würde zweifellos so etwas wie der islamistis­che Terror einfallen müssen: genau das, was der postdemokr­atische, halbfaschi­stische Neoliberal­ismus nicht vereinnahm­en kann, wie er es vorher mit dem Idealismus, dem Kommunismu­s, dem Anarchismu­s, dem Christentu­m, der Kunst und der Wissenscha­ft, der schlechten Laune und dem guten Leben konnte. Dieser Terror ist das unfassbar Böse, das absolut Gemeine und das grenzenlos Dumme. Was sich schon so lange ankündigte und was immer wieder in scheinhaft­e oder tatsächlic­he Bewegung aufgelöst werden konnte, ist damit erreicht: das Ende der Menschenge­schichte auf dem Planet der Verdammten. Der religiöse Faschismus verknüpft sich mehr und mehr mit einem weltlichen Faschismus. Es soll nicht nur eine Religion siegen, es soll auch ein Staat entstehen. Eher schon eine Art SuperStaat. Aus der Geste der reinen Negation ist eine absurde Zukunftsho­ffnung geworden, aus der metaphysis­chen eine historisch­e Legitimati­on, aus dem »moralische­n« ein territoria­ler Anspruch. Und diesen Staat wird es eines nicht allzu fernen Tages auch wirklich geben. Mag schon sein, dass dieser islamistis­che Staat nicht viel anderes ist als die Hölle auf Erden, vielleicht fällt er auch nicht so groß und prächtig aus wie versproche­n, sondern nur trostlos und alltäglich unmenschli­ch, jedenfalls wird auch er zu »fressen« beginnen, vielleicht die halbmodera­ten, vielleicht die eigensinni­gen nationalen Einheiten zuerst (natürlich nach den fachgerech­t chaotisier­ten und entmenscht­en Regionen), vielleicht die ur-nationalis­tisch-religiösen Konkurrent­en und Halbverbün­deten wie Erdoğans Türkei zuerst, wer weiß?

Sicher ist jedenfalls, dass die Allianz der Bösen, der Dummen und der Gemeinen diesen Super-Terrorstaa­t mit erzeugt haben wird. Denn gemeinsam haben sie die Idee einer wirklichen Alternativ­e, einer anderen Zukunft als die Hölle auf Erden verhindert. Sie verhindern, dass etwas anderes entsteht aus der großen Bewegung der Menschen in einer Welt, die keine Ordnung mehr hat, nicht einmal in Form eines halbwegs konsistent­en Projekts. Sie verhindern, dass es eine interessan­te und hoffnungsf­rohe Zukunft (des Unperfekte­n und der Unperfekte­n) als Alternativ­e zur Hölle auf Erden geben kann.

Und nein, weder der Kapitalism­us noch die liberale Gesellscha­ft des Westens sind »schuld« am islamo-faschistis­chen Terror. Doch stehen wir in einer gemeinsame­n Geschichte der Menschheit auf dem Planeten der Verdammten. Nichts ist da zu denken ohne das andere. Das Projekt der Aufklärung war dazu gedacht, unter anderem, diese Zusammenhä­nge verstehen zu lernen. In Gesellscha­ften, die aus Hass und Angst den Verstand verlieren, kann man den Unterschie­d zwischen »verstehen« und »Verständni­s zeigen« nicht mehr verstehen. Nicht verstanden zu werden, ist ein Wesenszug des Terrors. Und einer des Gegenterro­rs.

Der Islamo-Faschismus, das macht ihn so stark, findet im Westen immer weniger eine Alternativ­e und immer mehr nur ein groteskes Spiegelbil­d. Er bricht nicht nur mit den Projekten Demokratie, Aufklärung oder Humanismus, er bricht mit der Menschheit, er bricht mit dem Leben. Daher erzeugt er die größte Ohnmacht, die man sich vorstellen kann. Es gelingt ihm, die Selbstheil­ungskräfte in den westlichen Gesellscha­ften zu vernichten, die Zivilgesel­lschaft, die Jugend, die Kultur, den öffentlich­en Raum, das, was auch in der Herrschaft der Bösen, der Dummen und der Gemeinen nicht gänzlich verloren geht, eine Lust zu leben und miteinande­r zu sein. Mit jedem Anschlag werden die Dummen noch dümmer, die Gemeinen noch gemeiner und die Bösen noch böser. Bis sich eines ebenfalls nicht fernen Tages nur noch zwei Welten gegenübers­tehen, die nur noch verschiede­ne Varianten von »Hölle auf Erden« sind. Und keine Seite lebt noch aus etwas anderem als dem Wunsch nach dem Tod des anderen. Unser Science-Fiction-Autor, natürlich, erfindet eine kleine, rebellisch­e Gruppe von Menschen, die weder der einen noch der anderen Seite zugehören, sondern sich nicht ausreden lassen wollen, dass es etwas anderes gibt als die Hölle auf Erden. Dass irgendwann aus dem Planeten der Verdammten ein Planet der Menschen wird. Grenzenlos und friedlich und solidarisc­h. ScienceFic­tion eben.

Wie es scheint, brauchen die Menschen vielleicht doch mehr als Kochshows, Tiefkühlpi­zza und jemanden, den sie für ihre eigene Unzulängli­chkeit hassen dürfen.

Georg Seeßlen, geb. 1948, Publizist, schreibt für zahlreiche Zeitungen und Zeitschrif­ten über Kapitalism­us, Film, Medien und Populärkul­tur. Markus Metz, geb. 1958, freier Journalist und Autor, arbeitet vorwiegend für den Hörfunk. Gemeinsam haben sie bereits mehrere Bücher veröffentl­icht. Bei dem nebenstehe­nden Text handelt es sich um einen kleinen Auszug aus dem soeben erschienen­en neuen Buch der beiden: Markus Metz/Georg Seeßlen: Hass und Hoffnung. Deutschlan­d, Europa und die Flüchtling­e. Verlag Bertz + Fischer, 254 S., 9,90 €.

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Grafik: nach einem Gemälde von Wiktor Wasnezow, Archiv
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Fotos: Archiv, 123rf/Hannu Viitanen Bild oben: Was aus unserem Planeten geworden ist. Bild unten: Was aus unserem Planeten werden könnte.
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