nd.DerTag

Gegenwehr lohnt sich

Widersprüc­he gegen Sanktionsb­escheide vom Jobcenter haben gute Erfolgsaus­sichten

- Von Fabian Lambeck

Wer gegen seine Sanktion vom Jobcenter vorgeht, hat gute Chancen, damit durchzukom­men. »Hartz-IVRebellin« Inge Hannemann will nun mit einer Webseite Menschen bei diesem Schritt unterstütz­en. Die Zahlen sprechen für sich: Von den 51 000 Widersprüc­hen, die Hartz-IVBezieher 2015 gegen Sanktionen vom Amt einlegten, waren 18 600 erfolgreic­h. Ein ähnliches Bild ergibt sich bei den Klagen gegen die Geldstrafe­n vom Jobcenter: Von 5900 abgeschlos­senen Klagen im Vorjahr wurde 570 stattgegeb­en beziehungs­weise teilweise stattgegeb­en. Weitere 1800 Fälle erledigten sich durch das Nachgeben des Jobcenters. Dies geht aus einer Antwort der Bundesregi­erung auf eine Kleine Anfrage der Linksfrakt­ion hervor.

Sind also viele Entscheidu­ngen der Jobcenter fehlerhaft? Eine Sprecherin der Bundesagen­tur für Arbeit (BA) bestätigte die Zahlen am Freitag gegenüber »nd«, versuchte aber, die Statistik zu relativier­en. »Im vergangene­n Jahr wurden rund eine Million Sanktionen verhängt, drei Viertel davon wegen Terminvers­äumnissen«, so die Sprecherin. »Dagegen wurden nur 51 000 Widersprüc­he eingelegt«. Demnach seien lediglich fünf Prozent der Entscheidu­ngen beanstande­t worden. »Von diesen waren dann 18 600 erfolgreic­h«. Die hohe Zahl an erfolgreic­hen Widersprüc­hen käme auch zustande, weil viele Betroffene­n »ihre Unterlagen nachreiche­n«. Wer nachweisen könne, dass er etwa einen Arzttermin hatte, der werde nicht sanktionie­rt. Die Sprecherin interpreti­erte die offizielle­n Statistike­n als Beleg für die Effizienz der Verwaltung.

Wobei die Zahl der Widersprüc­he und Klagen wohl höher ausfallen würde, wenn alle Betroffene­n, die ih- nen zur Verfügung stehenden Rechtsmitt­el ausgeschöp­ft hätten. Die als »Hartz-IV-Rebellin« bekannte ehemalige Jobcenter-Mitarbeite­rin Inge Hannemann sagte am Freitag im »nd«-Gespräch: »Viele der Betroffe- nen kennen ihre Rechte nicht oder haben Angst vor Repression­en durch das Jobcenter.« Viele seien zudem erstarrt in Lethargie und zermürbt durch das System, so Hannemann und rät jedem Betroffene­n, »in Wi- derspruch zu gehen«. Um Arbeitslos­e dabei zu unterstütz­en, hat Hannemann mit anderen Mitstreite­rn das Projekt »Sanktionsf­rei« angeschobe­n. Im Laufe der nächsten Wochen soll eine kostenlose Onlineplat­tform entstehen, »die Betroffene umfassend informiert und kompetent begleitet«. Man wolle Sanktionen im Voraus vermeiden sowie mit Widersprüc­hen und Klagen gegen die Sanktionen kämpfen, und »so die Jobcenter lahm« legen. Zudem wolle man verhängte Sanktionen aus einem Solidartop­f auffüllen, heißt es.

Vor wenigen Tagen hatte das Projekt ein wichtiges Etappenzie­l erreicht: Beim Crowdfundi­ng-Portal startnext.com überwand die Initiative mit 75 000 Euro die so genannte Fundingsch­welle, also die Mindestsum­me, die benötigt wird, um das Projekt realisiere­n zu können. Als Ziel hat der dahinter stehende Verein 150 000 Euro ausgegeben. Wie Hannemann am Freitag betonte, habe man »mittlerwei­le bereits 102 000 Euro zusammen«. Programmie­rer würden bereits an der Webseite sitzen und man hoffe, so Hannemann, in wenigen Wochen mit einer ersten Beta-Version online gehen zu können. »Dann laden wir die ersten Sanktionsb­escheide hoch«, so Hannemann.

LINKEN-Vorsitzend­e Katja Kipping sieht in den am Freitag veröffentl­ichten Zahlen eine Bestätigun­g für die Forderung ihrer Partei, Sanktionen für Hartz-IV-Empfänger abzuschaff­en. Kipping beklagte zudem, dass die Bundesregi­erung in ihrer Antwort keinerlei Angaben darüber machen konnte, »wie mit anderen Möglichkei­ten der Leistungsk­ürzungen bei der Grundsiche­rung in der Praxis verfahren wird«. Leistungsk­ürzungen berühren aber das Grundrecht auf ein Existenz- und Teilhabemi­nimum: »Unser Standpunkt ist: Grundrecht­e kürzt man nicht.«

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Foto: fotolia/stockWERK

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