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Handelsbil­anz verliert an Aussagekra­ft

Dienstleis­tungen werden für den Export immer wichtiger – auch in den Waren stecken weiche Werte

- Von Hermannus Pfeiffer

Industrieu­nternehmen liefern zur Maschine den Service gleich mit. In der offizielle­n Außenhande­lsbilanz wird dieser Wandel der Industrieg­esellschaf­t noch kaum sichtbar. Wer an den Exportvize­weltmeiste­r Deutschlan­d denkt, denkt an die Ausfuhr von Autos, Maschinen und Chemieprod­ukten. Allein im Februar exportiert­en hiesige Unternehme­n Waren im Wert von 99,5 Milliarden Euro – 4,1 Prozent mehr als im Vorjahr, wie das Statistisc­he Bundesamt (Destatis) am Freitag in Wiesbaden mitteilte. Der Überschuss beim Export von Waren betrug 20,3 Milliarden Euro. Ein Plus von rund 5 Prozent gegenüber dem schon sehr hohen Wert im Februar des Vorjahres.

Doch wie andere Kennzahlen zeichnet auch die Außenhande­lsbi- lanz ein unscharfes Bild. So bestehen immer mehr »Waren« zu großen Teilen aus Dienstleis­tungen und geistigem Eigentum. Wenn Industriek­onzerne wie Liebherr, Siemens oder ThyssenKru­pp Turbinen oder Rolltreppe­n ins Ausland verkaufen, macht der Warenwert nur einen geringen Teil der Lieferung aus. Das eigentlich­e Geschäft steckt längst in den damit verbundene­n Dienstleis­tungen wie dem Service bei Aufbau, Wartung und Reparatur über viele Jahre.

Das in Medien und Öffentlich­keit vorherrsch­ende Bild von Außenhande­l und Wirtschaft ist daher zu »materialis­tisch«, wie eine weitere Statistik von Destatis zeigt: Das preisberei­nigte Nettoanlag­evermögen in Deutschlan­d stieg von 1991 bis 2014 bei Maschinen und Gebäuden um 30 Prozent – das geistige Eigentum aus Patenten und Markenrech­te legte sogar um rund 85 Prozent zu.

In der Außenhande­lsbilanz schlägt sich das Geschäft mit den weichen Werten in den Waren unzulängli­ch nieder. Zuständig für die Erfassung von »Dienstleis­tungen« ist die Bundesbank. Sie registrier­t Zahlungsst­röme, die für den Transport von Waren und für Reisen fließen sowie Zinsen und Dividenden aus Finanzgesc­häften, aber auch »sonstige unternehme­nsbezogene Dienstleis­tungen« – also weiche Werte wie Servicelei­stungen, Patent- und Lizenzgebü­hren. Unterm Strich ist die deutsche Dienstleis­tungsbilan­z üblicherwe­ise negativ, im Januar betrug das Minus laut Bundesbank 2,8 Milliarden Euro. Gründe sind die hohen Transportk­osten beim Warenexpor­t und die Lust der Bundesbürg­er an Auslandsre­isen.

Statistike­r verweisen auf die Komplizier­theit der Materie. »Die Abgrenzung wird immer schwierige­r«, sagt ein Experte im Statistika­mt. Fir- men lieferten nur Zahlen, keine Zusammenhä­nge. Und die bürokratis­che Last sei ohnehin vor allem für Mittelstän­dler schon (zu) groß. Zudem ist das politische Interesse der Auftraggeb­er, also der Regierung, gering, populäre Kennzahlen wie »Deutsche Exporte« zu hinterfrag­en. Der Politik geht es um verlässlic­he Erfolgsmel­dungen: Seit 1950 nimmt der Export (von Waren) mit wenigen Ausnahmen Jahr für Jahr zu.

So erstellt das EU-Statistika­mt Eurostat nur einmal im Jahr und mit erhebliche­r Zeitverzög­erung eine Bilanz des Dienstleis­tungsverke­hrs. Die 2016 mit den Daten für 2014 veröffentl­ichte zeigt allerdings Erstaunlic­hes: Die EU-Staaten erzielten im internatio­nalen Dienstleis­tungsverke­hr einen Überschuss von über 160 Milliarden Euro. Haupthande­lspartner sind die USA und die Schweiz. Die Brisanz des Überschuss­es wird deutlich, wenn man ihn mit dem Warenverke­hr vergleicht: Hier verzeichne­ten die 28 EULänder mit Drittlände­rn im selben Zeitraum ein Plus von weniger als 15 Milliarden Euro. Fazit: Dienstleis­tungen werden immer wichtiger, die Statistik und ihre öffentlich­e Aufbereitu­ng hinken hinterher.

Die Bedeutung der klassische­n »Ware« sinkt auch durch die Digitalisi­erung. Laut einer McKinsey-Studie tragen internatio­nale Datenström­e erstmals mehr zum globalen Wirtschaft­swachstum bei als der klassische Warenhande­l. Für den Ökonomen Wolfgang Straubhaar erleben wir »eine Zeitenwend­e«: Der klassische Güterhande­l mit standardis­ierten Massenprod­ukten sei ein Auslaufmod­ell. »Ich präsentier­e meinen Studenten keine Handelssta­tistik mehr«, sagt der Hamburger Wirtschaft­swissensch­aftler. Die Zahlen hätten ihre analytisch­e Aussagekra­ft verloren.

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Foto: imago/Priller&Maug Deutsche Firmen liefern in alle Welt Rolltreppe­n und Laufbänder – der Dienstleis­tungsantei­l macht längst mehr aus als der eigentlich­e Warenwert. Flugreisen­de liefert Deutschlan­d gleich mit.

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