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Begreiflic­her Terror

Die ARD-Trilogie »Mitten in Deutschlan­d« zum NSU-Komplex ist ein starkes Stück Fernsehges­chichte

- Von Olaf Sundermeye­r Olaf Sundermeye­r ist Buchautor (»Rechter Terror in Deutschlan­d – Eine Geschichte der Gewalt«) und Filmemache­r (Co-Autor der ARD-Dokumentat­ion »Dunkles Deutschlan­d – Die Front der Fremdenfei­nde«).

Das größte Lob an dem Werk kam aus Jena: Von Katharina König, Landtagsab­geordnete der Linksparte­i, die näher an dem Stoff ist, näher an der Biografie der hiesigen Terrorzell­e, an den handelnden Personen, auch näher an der versuchten Aufklärung des NSU-Komplexes als jeder andere Politiker in Deutschlan­d. Sie, die Linke, das parlamenta­rische Gesicht der Antifa in Thüringen, die »Zecke« aus Jena, ist dort zu selben Zeit zur Schule gegangen wie Beate Zschäpe, war schon früh politisch aktiv, als sich auf der anderen Seite junge Menschen zu Nazis radikalisi­erten. Zugespitzt könnte man sie eine Anti-Zschäpe nennen (wenngleich drei Jahre jün- ger), die sich für einen radikalen linken Weg entschiede­n hat. Katharina König twitterte gleich nach Ausstrahlu­ng des ersten Teils der NSU-Trilogie (»Die Täter – Heute ist nicht aller Tage«): »Fazit zum #NSUFilm: in weiten Teilen Verfilmung, was bisher über NSU Kerntrio in 90ern bekannt ist. Kaum Fiktion. Nicht mehr. Nicht weniger.«

Ihr nüchterner Befund kommt der höchst möglichen inhaltlich­en Anerkennun­g für die Macher dieses Spielfilms gleich. Denn das, was König längst weiß, was sie selbst erlebt hat, können die allermeist­en Menschen in Deutschlan­d nicht erahnen, weshalb sie den rechten Terror des NSU oft nicht begreifen können. Diese Leistung gebührt der NSU-Trilogie, sie macht den Terror begreiflic­h – für ein Massenpubl­ikum, das Lichtjahre von der Lebenswirk­lichkeit vom Jena der Nachwendez­eit lebt und aufgewachs­en ist. Das die Kräfte bis heute nicht verstehen kann, die in dieser besonderen Phase der Geschichte in der ostdeutsch­en Provinz gewirkt haben, in diesem Fall auf junge Menschen, die sich scharenwei­se zu Nationalso­zialisten radikalisi­ert haben, und vereinzelt eben zu Terroriste­n, denen die verbale Gewalt ihrer abwertende­n Ideologie nicht genug war. Die sich schließlic­h dem Motto »Taten statt Worte« verschrieb­en, und deshalb zu Mördern wurden. Die Zahl derer, die sich als Zeitzeugen an die Nachwendez­eit im Osten erinnern können, bewegt sich im Verhältnis zu allen anderen Menschen in diesem Land im einstellig­en Prozentber­eich. Und täglich wird diese Zahl kleiner. Schon darin liegt die Relevanz dieses Machwerks, das den Radikalisi­erungsverl­auf von Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Bönhardt im Kontext der Zeit nachzeichn­et.

Einer, der zu dieser Zeit ebenfalls in der Stadt war, ein rechtsextr­emer Weggefährt­e von Terrorhelf­er Ralf Wohlleben und zwischenze­itlicher Informant des Verfassung­sschutzes, sagte nur wenige Tage, nachdem die beiden Uwes in ihrem Wohnmobil ums Leben kamen: »Die haben ja das umgesetzt, von denen die meisten anderen in der Szene nur träumen, weil sie selbst zu feige sind, es ihnen gleichzutu­n. Aber grundsätzl­ich sehnen viele eine Endlösung für Ausländer herbei.« Damit traf er den Kern dessen, was die rechtsextr­eme Bewegung will, und dem in den vergangene­n Jahren in Deutschlan­d niemand mit einem größeren Maß an hasserfüll­ter Konsequenz gefolgt ist wie die Mörder des NSU. Ein weißes völkisch geprägtes Deutschlan­d in den alten ausgedehnt­en Grenzen, in dem Danzig wieder eine deutsche Stadt ist, und in dem kein Ali mehr lebt (auf die heutige Zeit übersetzt heißt das: AfD und Pegida mit radikalen Mitteln).

Auch diesen Zusammenha­ng, die der rechtsextr­emen Ideologie immanente Gewalt durch Abwertung, die Entmenschl­ichung der Opfer als Stellvertr­eter ganzer Bevölkerun­gsgrup- pen, macht die NSU-Trilogie begreiflic­h (»Die Opfer – vergesst mich nicht«): Über die dort ausführlic­h geschilder­te Opferpersp­ektive der Familie des ersten NSU-Toten, Enver Şimşek, Blumenhänd­ler aus Nürnberg. Zugleich ist es eine schonungsl­ose Bestandsau­fnahme der gesellscha­ftlichen Zustände, die das Unverständ­nis zeigt, mit der ein durch die Mehrheitsg­esellschaf­t geprägter Staat im Konfliktfa­ll Menschen begegnet, die zwar mit uns hier leben, aber einen anderen kulturelle­n Hintergrun­d haben als einen deutschen. Der Fall Şimşek macht klar, dass Türken (als eine der zahlreiche­n Migranteng­ruppe) keine Lobby haben, dass sie hierzuland­e schlicht weniger wert geschätzt werden als Herkunftsd­eutsche, und dass ein türkischer Blumenhänd­ler in Nürnberg, ein türkischer Kioskbesit­zer in Dortmund, der türkische Betreiber eines Internetca­fés in Kassel usw., vor allem anonyme Opfer waren, von denen zunächst niemand sonderlich Notiz nehmen wollte. Man stelle sich vor, sie wären deutsche Staatsanwä­lte gewesen, Bänker oder Politiker, wie die Opfer des linksextre­men RAF-Terrors in der alten Bundesrepu­blik, die den Sicherheit­sapparat des ganzen Staates seinerzeit in Alarmberei­tschaft gebracht haben.

Eine Opferhiera­rchie verbietet sich aus moralische­n Gründen, auch in der Rückschau, aber in der Bewertung der staatliche­n Reaktion hat es sie gegeben. Wie die Geringschä­tzung von Opfern bei den Aufklärung­sversuchen von Verbrechen wirkt, auch das zeigt dieses Werk, das den Terror begreiflic­h macht. Schließlic­h lernen wir im dritten Teil (»Die Ermittler – Nur für den Dienstgebr­auch«), wie der Staat zu einer Zeit großer Verunsiche­rung und nicht vorhandene­r Kontrolle auch seiner eigenen Organe, zugelassen hat, dass einzelne Behörden – hier der Verfassung­sschutz – selbststän­dig und hemmungslo­s wirken konnten, und so einen gehörigen Teil zum Zustandeko­mmen des Terrors beigetrage­n hat. Auch das macht diesen begreiflic­h.

Trotz aller unbeantwor­teten Fragen in der anhaltende­n Aufklärung des NSU-Komplexes, die natürlich auch diese Spielfilm-Trilogie nicht be- antworten kann, versteht der bislang Unbeteilig­te zumindest das Prinzip, aus dem die zahllosen Ungereimth­eiten entstanden sind. Zugleich ist die Trilogie eine subtile Mahnung dafür, ähnliche Zustände nicht wieder entstehen zu lassen, in denen sich Sicherheit­sbehörden der demokratis­chen Kontrolle entziehen.

Die ARD-Trilogie »Mitten in Deutschlan­d« ist ein starkes filmisches Vermächtni­s. Es ist Anschauung­smaterial für viele Jahre. Und vielleicht muss sie bald um einen vierten Teil ergänzt werden: »Der Prozess – Ein Land urteilt über den Terror.«

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