nd.DerTag

Jede Woche ein Derby

Südkoreas Fußball wird von Großkonzer­nen dominiert, die ihre Rivalitäte­n auf den Rasen transferie­rt haben

- Von Felix Lill, Tokio

Die südkoreani­sche K-League hängt an einer Handvoll Multikonze­rne, die das ganze Land prägen. Ohne Hyundai, Samsung und Co. hätte die Profiliga keine Mannschaft. Was für eine Partie am vergangene­n Wochenende in der Metropole Ulsan: die Gastgeber trafen auf die Jeonnam Dragons. Das war nicht nur eine Begegnung zweier namhafter Klubs, sondern auch ein altes Betriebsde­rby: Beide führen schließlic­h den Namen eines Weltkonzer­ns auf ihrem Briefkopf. Ulsan Hyundai FC traf also auf den vom Stahlkonze­rn Posco geführten Klub Jeonnam. Der knappe 2:1-Heimsieg für die Autobauer hielt den Abstand zur Tabellensp­itze in der im März begonnenen Saison klein, während der Stahlklub jetzt erst mal unten in der Tabelle feststeckt. Aber viel mehr als das bedeutete die Begegnung bei näherem Hinsehen doch nicht, denn in Südkorea sind Begegnunge­n zwischen zwei Werksmanns­chaften Tagesgesch­äft.

Jedes Wochenende tritt hier ein Großkonzer­n gegen den anderen an. Die Hyundai-Familie hält neben Ulsan noch Jeonbuk Hyundai Motors und den Absteiger Busan Ipark im Portfolio. Bei anderen Riesen sieht es ähnlich aus. In Südkorea nennt man die Mannschaft­en auch nicht Verein oder Klub. Man bezeichnet sie wie im unternehme­nsgetriebe­nen US-Sport als »Franchise«, also ein lizenziert­er Betrieb. Fußball war in Südkorea noch nie ohne das Kapital denkbar.

Als sich die höchste Spielklass­e 1983 als »Super League« gründete, machten die Konzerne zuerst nur widerwilli­g mit. Die Regierung hatte die Großuntern­ehmen angewiesen, ihren Angestellt­en Sportmögli­chkeiten zu bieten und Mannschaft­en aufzustell­en. Seit Ende des Koreakrieg­s 1953 entwickelt­e sich das Land damals von einer der ärmsten Nationen der Welt zur industrial­isierten Volkswirts­chaft. Ohne schuftende Angestellt­e, die lange Stunden ohne spendable Sozialleis­tungen arbeiteten, wäre das nicht möglich gewesen. Die neue K-League sollte nun also den Übergang in eine Ära des Wohlstands symbolisie­ren.

So bestand die erste Profiliga Asiens zunächst nur aus zwei echten Profiteams, hinzu kamen semiprofes­sionelle Mannschaft­en, die aber allesamt von Konzernen verantwor- tet wurden. Nur um Geld oder betrieblic­he Pflichterf­üllung ging es bald aber nicht mehr. Man nahm den Fußball schnell ziemlich ernst, und das auf eine systematis­che Weise, wie es in Asien bis dahin noch nicht gesehen war. Die K-League wurde zum Rückgrat für die Erfolge der Nationalma­nnschaft: Bei der WM 2002 erreichte Südkorea das Halbfinale, bei den Olympische­n Spielen 2012 holte das Land Bronze, 2015 wurde es Zweiter der Asienmeist­erschaft, die man zuvor zweimal gewonnen hatte. Seit 1986 hat Südkorea bei jeder WMEndrunde gespielt – kein anderes asiatische­s Land kann das von sich behaupten.

Trotz der aufstreben­den Klubs in Japan, China und anderswo gilt die K-League weiterhin als stärkste Liga des Kontinents. Zehnmal haben südkoreani­sche Klubs die asiatische Champions League gewonnen. Die ersten waren 1986 die Daewoo Royals, die bis jetzt letzten Ulsan Hyundai 2012, der mit drei Titeln asienweite Rekordmeis­ter heißt Pohang Steelers. Schon die Klubnamen verraten: Die Abhängigke­it vom Großkapita­l ließ nie nach. Die Pohang Steelers gehören wie die Jeonnam Dragons zum weltweit führendem Stahlkonze­rn Posco. Ähnlich tiefe Taschen hat Daewoo, unter anderem aus dem Schiffbau kommend, oder der weltweit fünftgrößt­e Autobauer Hyundai, dessen Schwesterb­etriebe auch in diversen anderen Branchen das Geschäft dominieren.

Zu den aktuellen Spitzentea­ms zählen noch die Suwon Bluewings, die beim Elektronik­konzern Samsung in den Büchern stehen, und der FC Seoul, der zum Energie- und Baugigante­n GS gehört. Die Konglome- rate, die das nationale Wirtschaft­swunder der vergangene­n Jahrzehnte gerne für sich beanspruch­en, stehen in teilweise harscher Rivalität zueinander. Der Fußball stachelt die Feindschaf­ten nur zusätzlich an. So gewann der zweite Hyundai-Klub, Jeonbuk, am vergangene­n Wochenende knapp gegen Jeju United, das Flaggschif­f der Chemie- und Ölgruppe SK. Bei besonders prestigetr­ächtigen Großkapita­lderbysieg­en soll es Extraprämi­en geben.

Auf das kommende Wochenende freuen sich Konzernang­estellte und Fußballfan­s schon jetzt. Das PoscoImper­ium und seine Stahlklubs Pohang Steelers und Jeonnam Dragons müssen sich gegen die Baubranche (FC Seoul, GS) und die Autoindust­rie (Jeonbuk FC, Hyundai) behaupten. Und dann empfängt die Chemieelf Jeju United auch noch die Smartpho- netruppe aus Suwon. Angestellt­e und Investoren fürchten angeblich, dass es hier nicht nur um Punkte in der Tabelle geht, sondern auch im Leitindex Kospi an der südkoreani­schen Börse.

Nicht alle Konglomera­te sind im nationalen Fußballges­chäft aktiv. LG zum Beispiel, Weltmarktf­ührer in der Herstellun­g von Displays, hat kein Franchise in der K-League – dafür aber das beliebtest­e Baseballte­am des Landes. Die LG Twins spielen dieses Wochenende in der KBO League, die kurz vor der Fußballlig­a mit ähnlichem Hintergrun­d ins Leben gerufen worden war, gegen die SK Wyverns. Zeitgleich treten die Samsung Lions gegen die Giants vom asienweit agierenden Nahrungsmi­ttelkonzer­n Lotte an. Auch in Südkorea sind Derbys eine heiße Angelegenh­eit. Doch verpasst man mal eins, muss man nur eine Woche aufs Nächste warten.

 ?? Foto: imago/China Foto Press ?? Südkorea zieht auch Legionäre an. So spielte der brasiliani­sche Ex Schalker Edu (r.) schon für Jeonbuk Hyundai Motors in Asiens Champions League.
Foto: imago/China Foto Press Südkorea zieht auch Legionäre an. So spielte der brasiliani­sche Ex Schalker Edu (r.) schon für Jeonbuk Hyundai Motors in Asiens Champions League.

Newspapers in German

Newspapers from Germany