Drama im Sandsturm
Experte: Auch fünf Jahre nach der Massenkarambolage bei Rostock ist Gefahr nicht gebannt
Mannheim. Schon fast filigran: ein Graffito an einer Brücke in Mannheim (Baden-Württemberg). Straßengraffiti ist längst allgegenwärtig – in der Forschung spielen sie allerdings bislang kaum eine Rolle. Wissenschaftler des Karlsruher Instituts für Technologie in Baden-Württemberg und der Universität Paderborn in Nordrhein-Westfalen Die Menschen, die das Grauen der Massenkarambolage im April 2011 auf der A 19 erlebt haben, können die Bilder nicht vergessen. Experten kritisieren, dass danach nicht ausreichend reagiert wurde. Autobahn 19, Kilometer 100,5 südlich von Rostock. Nur noch die andersfarbige Asphaltdecke lässt erahnen, dass sich hier vor fünf Jahren am 8. April 2011 ein in dieser Dimension einzigartiges Drama abgespielt hat. Im dichten Sandsturm waren auf der Autobahn Rostock-Berlin in beiden Fahrtrichtungen mehr als 80 Fahrzeuge ineinander gerast. Acht Menschen kamen ums Leben, etwa 130 wurden verletzt.
Das Entsetzen über das Ausmaß der Katastrophe war riesig. Doch Verkehrs- und Agrarexperten kritisieren zum Jahrestag, dass nichts getan wurde, um die eigentlichen Ursachen der Massenkarambolage zu beseitigen. Im Blickpunkt steht die intensive Landwirtschaft, die negative Folgen auf die Bodenqualität habe. »Rund 50 Prozent der Flächen sind stark und mit- telstark gefährdet für Winderosion«, sagt der Agrarexperte des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland, Burkhard Roloff. Zur Reduzierung der Sandsturmgefahr gehörten neben der Hinwendung zum Ökolandbau auch Feldhecken, die den Wind auf den riesigen Feldern bremsen können. Dem Sandsturm von 2011 war eine wochenlange Trockenheit vorausgegangen, der Wind hatte ein leichtes Spiel, auf dem unbegrünten Boden den Humus aufzunehmen. In der Wolke lag laut Gutachter die Sicht bei teils unter fünf Metern.
Landesagrarminister Till Backhaus (SPD) hatte am Dienstag mit der Nachricht überrascht, dass auf dem Acker an der Unfallstelle eine Hecke entfernt wurde, um den Gästen des G8-Gipfels in Heiligendamm im Jahr 2007 einen besseren Schutz zu gewährleisten. Ob aber die im April blattlose Hecke den Sandsturm verhindert hätte, ist fraglich.
»Probleme sind die Industrialisierung der Landwirtschaft und die Eigentumsverhältnisse«, sagt Roloff. Viele Landwirte seien nicht die Besitzer der Böden und könnten keine Hecken pflanzen. Die Besitzverhältnisse nen Graffiti wenig Positives abgewinnen. »Es ist und bleibt eine Beschädigung, die Fahrgäste fühlen sich unwohl, wenn Waggons oder Bahnhöfe beschmiert sind«, so ein Bahnsprecher. 2014 seien acht Millionen Euro und damit 20 Prozent mehr als im Jahr davor ausgegeben worden, um Graffiti wieder zu entfernen.« verhinderten so einen aktiven Bodenschutz. Für die Geschäftsführerin der Landesverkehrswacht MV, Andrea Leirich, gehört zum Jahrestag des Unfalls auch der Hinweis auf eine ungebremste Raserei auf deutschen Au- tobahnen. In Mecklenburg-Vorpommern sei nach dem Unfall nur die Regelung eingeführt worden, dass die Behörden – sollten sie von einer Sandsturmgefahr erfahren – eine lokale Temporeduzierung herbeiführen. Es sei weiter nicht zu akzeptieren, dass Raser das Leben anderer gefährden. Aber Politiker wollten da nicht dran. »Der Bürger sagt dann: Dann wähle ich den nicht mehr.«
Dem Ende entgegen neigt sich jedoch die juristische Aufarbeitung. Das Rostocker Amtsgericht hatte nach jah- relanger akribischer Aufarbeitung durch Sachverständige im November vergangenen Jahres einen 53-jährigen Lkw-Fahrer zu 3600 Euro Geldstrafe verurteilt und zuvor im Juli eine 54-jährige Autofahrerin verwarnt. Beide wurden der fahrlässigen Tötung für schuldig befunden.
Der Prozess gegen die Autofahrerin, die beim Landgericht Berufung gegen das Urteil eingelegt hat, machte allerdings deutlich, dass die Zeit nicht alle Wunden heilen kann. Sie war mit fünf Freundinnen auf dem Weg zu einem vergnüglichen Wochenende in Warnemünde unterwegs, als sie nach ihrer Darstellung urplötzlich in der riesigen Sandwolke war. Sie fuhr laut Anklage auf ein Auto vor ihr und war so für den Tod eines älteren Ehepaars verantwortlich. Dann allerdings kam von hinten ein Lastwagen herangerauscht und erfasste sie selbst.
Mit schwersten Verletzungen kam die Frau in die Klinik. Der Richter sagte im Urteil, dass sie massiv unter den physischen und psychischen Folgen des Unfalls leide. Und sie werde die Erinnerung ihr Leben lang mit sich tragen müssen.
Eine Hecke wurde entfernt, um den Gästen des G8-Gipfels in Heiligendamm 2007 besseren Schutz zu bieten.