Körper, Seele, Seime
Jena ehrte den Vater der Pantomime im Osten mit einem Eintrag ins Goldene Buch der thüringischen Stadt
Es ist kaum zu glauben: Der große Pantomime Harald Seime feierte in Jena kürzlich bereits seinen 80. Geburtstag. Und er steht noch immer gelegentlich auf der Bühne. Mit seinem Studio an der Universität im thüringischen Jena hat er mehrere Generationen von Pantomimen geprägt, die in der DDR haupt- oder nebenberuflich auf der Bühne standen: der Vater der Pantomime im Osten Deutschlands, Harald Seime. Zu nennen sind da vor allem Burkhard Seidemann, der das Pantomime-Ensemble des Deutschen Theaters in Berlin gründete, Joachim Lemke, der an den Theatern in Rostock und Schwerin als Pantomime engagiert war, oder das Pantomimeensemble der Universität Leipzig mit Carola Seelig und Michael Hametner. Harald Seime hat Hunderte Solo- und Ensembleprogramme bestritten und ist einem breiten Publikum als tragikkomische Fi- gur bekannt, die sich vielfach verwandeln kann. Auch heute noch tritt Seime, der am 3. März 1936 im thüringischen Stadtroda geboren wurde, mit Klassikern wie »Zirkus«, »Selbstporträt« oder »Napoleon am Tag vor der Schlacht« (bei Jena und Auerstedt) auf. Viele Gedanken schweben dabei im Raum. Es sind komplexe Geschichten, die mit ganz wenig Ausstattung erzählt werden. »Es braucht keine Sprache«, sagt Seime über seine künstlerische Ausdrucksform, die mit Metaphern arbeitet. »Aus jedem Stück entstand ein neuer Impuls.
Dabei kam er eher zufällig zur stillen Kunst. Ein Programm des französischen Pantomimen Marcel Marceau wirkte in den 1950er Jahren wie eine Initialzündung. Seime, der als Sportdozent an der Friedrich-Schiller-Universität Jena wirkte, war so inspiriert, dass er sich mit einem ersten Programm in einem Junge-Talente-Wettbewerb meldete und es über Kreis- und Bezirksebene bis zum zentralen Ausscheid schaffte. Er gewann eine Fahr- karte zu den Weltfestspielen 1957 in Moskau. Dort trat er nicht nur im DDRProgramm, sondern auch spontan mit der chilenischen Delegation auf. Dieses Ensemble erhielt für die künstlerische Leistung eine Silbermedaille. Seime auch. »Es war eine Vorahnung dessen, was sich in den nächsten Jahren abspielen würde«, sagt er. Nach dem Deutschen Nationaltheater Weimar, wo er mit einer Mimografie in »Bajazzo« mitwirkte, fragten immer mehr Bühnen bei ihm an. 1959 gründete er ein eigenes Pantomime-Ensemble unterm Dach der Uni Jena. Der Anlass war wieder ein Wettbewerb für die Weltfestspiele, die nun in Wien stattfanden. Das Ensemble kam nicht zum Zug, aber Seime beteiligte sich mit einem Etüdenprogramm, über das viele Fachzeitschriften berichteten. Das war sein endgültiger künstlerischer Durchbruch.
Mit »Die sieben Schwaben« nach einem Flugblatt von Fritz Cremer entwickelte er mit dem Pantomime-Studio ein Mimodrama, das zu mehreren Festivals eingeladen wurde. Seime hatte als gefragter Workshopleiter Kontakt zu Gruppen im östlichen Ausland. Aus Anlass des 20-jährigen Bestehens seines Studios luden die Jenaer zu den I. Internationalen Pantomime-Tagen ein, die sich durch die Teilnahme so bedeutender Ensembles wie »Gest« aus Wrocław schnell etablierten und zu einem der renommiertesten Festivals auf diesem Gebiet wurden. In den 1980er Jahren bildeten literarische Texte die Grundlage für die Stücke des Bewegungstheaters – »Aufstand der Träume« (Thomas Mann), »Die Streckung« (Peter Weiss) oder »Sommernachtstraum« (William Shakespeare). Neben der Theaterar-
2009 gründete er anlässlich des Bauhausjahres eine dadaistische Hundepartei.
beit probierte Seime immer wieder neue Bühnenprogramme. Er trat mit der »Old-Time-Memory-Jazzband« und verschiedenen Jazzpianisten regelmäßig auf. 2009 gründete er anlässlich des Bauhausjahres eine dadaistische Hundepartei, für die er auf dem Weimarer Marktplatz warb – eine seiner »frechsten Sachen«, wie er selbst augenzwinkernd sagt. Diese »Hunderede« ist heute fester Bestandteil des Repertoires. Auch »Napoleon am Tag vor der Schlacht« gehört in diese Kategorie. Der französi- sche Kaiser reitet aus, bevor seine Armee, die bei Jena lagert, erwacht. Er entdeckt einen Schmetterling und ist weit weg vom großen Morden, das wenige Stunden später beginnen wird.
Zu erleben ist der 80-Jährige noch immer in kleinen Programmen und bei seinem Freund und Weggefährten Tobias Morgenstern im »Theater am Rand« (Termine im Internet unter http://seime.de/home.htm.) Die Stadt Jena ehrte Seime für sein Bühnenschaffen und Engagement mit dem Eintrag ins Goldene Buch der Stadt.