Mit russischer Unterstützung vertrieben syrische Truppen die Dschihadisten des »Islamischen Staats« aus Palmyra. Das Weltkulturerbe ist vorerst gerettet. Aber wo sind die Einwohner?
Im Vergleich mit den heutigen Zuständen erscheint fast idyllisch, was der Forscher Carsten Niebuhr, der von 1761 bis 1767 unter anderem Syrien und Irak bereiste, berichtet. Angehörige verschiedener Konfessionen und Bevölkerungsgruppen lebten mit unterschiedlichem Status, aber friedlich zusammen. Die Gotteshäuser anderer Religionen wurden respektiert, manche gebildete Araber und Perser brachten sogar für vorislamische Kultstätten ein freundliches Interesse auf, wie Niebuhr in Palmyra feststellte.
»Da mein Schech ein Gelehrter seyn wollte und mich versicherte, daß er sehr oft (…) die prächtigen Ruinen zu bewundern pflege, so hofte ich, er würde mir Nachricht geben können, was die arabischen und persischen Schriftsteller davon sagen.« Tatsächlich wusste er ein Buch zu zitieren. »Salomo habe sein Gebet des Morgens zu Jerusalem, des Mittags zu Báalbeck, des Nachmittags zu Tadmor (Palmyra) und des Abends zu Dschil minar gehalten. Nachrichten, die den Mohammedanern wichtig sind, worum aber Europäer sich nicht bekümmern.« Die Inschriften hingegen kümmerten Niebuhrs Begleiter nicht. »Er hielt es aber für sehr unnöthig, sich den Kopf darüber zu zerbrechen.«
Zur Forschung fühlten auch die Gebildeten sich nicht berufen, stattdessen wurde die vorislamische Geschichte in ein religiös geprägtes, aber mythologisch überformtes Weltbild eingeordnet. Salomo war der Sage nach der Gründer Palmyras. Im Koran wird er als einer der Propheten Gottes angeführt, dem »die Sprache der Vögel gelehrt« (27:16) wurde und besondere Arbeitskräfte zur Verfügung standen: »Und von den Dschinn gab es welche, die unter ihm auf Geheiß seines Herrn arbeiteten.« (34:12) Warum sollten solche dienstbaren Geister Salomo nicht tagtäglich zu weit auseinanderliegenden Gebetsstätten getragen haben?
Wir sind daran gewöhnt, den sunnitischen Islam als eine von puritanischer Pedanterie geprägte Religion zu sehen. Tatsächlich entsprechen der in den meisten arabischen Staaten noch immer dominante Staatsislam und sein gewaltbereiter Abkömmling, der Islamismus, weitgehend diesem Bild. Zum vorkolonialen Islam gehörten jedoch Mystik und Aberglauben in einem durchaus »katholischen« Ausmaß, und verschwunden ist diese religiöse Kultur nicht. Noch immer gibt es Bruderschaften, die Tanz und Gesang als Formen des Gottesdienstes pflegen, und unzählige Muslime, die sich vom Gebet an einem Heiligengrab Segenskraft (baraka) versprechen.
In der Konfrontation mit dem Westen begannen die neuen Führungsschichten jedoch, in den traditionellen Glaubens- und Lebensformen ein Hindernis für ihre Politik zu sehen, das beseitigt oder zumindest marginalisiert werden musste. Populäre Geistliche, Heilige gar, waren eine Konkurrenz, die die Regimes der Entwicklungsdiktaturen nicht dulden wollten. Religiöser Fanatismus war auch in vorkolonialer Zeit immer wieder aufgeflammt, doch erst die mit den Mitteln des modernen Polizei- und Überwachungsstaates durchgesetzte Indienstnahme der Religion durch die miteinander konkurrierenden neuen bürokratischen und militärischen Führungsschichten führte zur konfessionellen Spaltung und Fanatisierung.
Auch das Verhältnis zur vorislamischen Geschichte änderte sich – in widersprüchlicher Weise. Ob Islamismus oder der Panarabismus der Ba’ath-Partei, die Ideologie war dem Anspruch nach transnational. Da die Führungsschichten ihre Ambitionen im Stil einer feindlichen Übernahme verwirklichen wollten, dafür aber nicht stark genug waren, scheiterten sämtliche Vereinigungsversuche. Der Rahmen des Nationalstaats musste daher auch ideologisch gefüllt werden, sodass etwa das iranische Regime sich des persischen Nationalismus bedient, während Saddam Hussein sich als neubabylonischen Herrscher darstellen ließ.
Die mit den Parteigenossen in Irak verfeindeten Ba’athisten in Syrien entdeckten Zenobia (al-Zabba) für sich, die Herrscherin Palmyras, die sich vom Römischen Reich lossagte und in der zweiten Hälfte des 3. Jahrhunderts für kurze Zeit ein Gebiet beherrschte, das auch große Teile der Türkei, Ägyptens und des Irak umfasste. Araberin war sie allerdings nicht, sie kam aus einer aramäischen Familie und berief sich auf eine Abstammung von Kleopatra und damit auf eine hellenistische Tradition. Überdies bestand ihr »Großsyrien« nur von 270 bis zu ihrer Gefangennahme durch die Römer 272; nach einer Rebellion Palmyras im folgenden Jahr wurde die Stadt zerstört und geplündert.
Der Ba’athismus, die Lehre von der »Wiedergeburt« der arabischen Nation, basiert auf dem völkisch-roman- tischen deutschen Nationalismus; historisch-kritisch betrachtet könnte Zenobias Geschichte ja eher als Warnung vor herrschaftlicher Hybris interpretiert werden. Ob sie tatsächlich schöner als Kleopatra und so trinkfest wie ein Legionär war, mag dahingestellt bleiben; relativ sicher ist, dass sie mehrere Sprachen beherrschte und so etwas wie einen philosophisch-literarischen Salon unterhielt. Ihre und Palmyras historische Bedeutung liegen denn auch weniger in der kriegerischen Episode als in der Rolle der Stadt als Handelsmetropole und Treffpunkt der Zivilisationen. Ein beachtlicher Teil der Ruinen ist gradlinig-römisch, die Kultur der Oberschicht war hellenistisch geprägt, in den Kolonnaden wurden unzählige Sprachen gesprochen und es sollen 50 Religionen praktiziert worden sein.
Es liegt nahe anzunehmen, dass eine so »multikulturelle« Stadt, deren bekannteste historische Figur eine Frau ist, den besonderen Hass des »Islamischen Staates« (IS) auf sich zieht. Doch damit unterschätzt man möglicherweise den Fanatismus der Dschihadisten, die aus einer besonderen Tradition hervorgegangen sind. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts eroberten die Wahhabiten einen Teil des
Der IS zerstörte am 23. August 2015 den Baalschamin-Tempel und verbreitete davon Bilder. heutigen Saudi-Arabien und feierten ihren Sieg mit der Zerstörung schiitischer Mausoleen. Aus der Sicht der nach Muhammad ibn Abd al-Wahhab benannten Fundamentalisten sind Schiiten, ebenso wie sunnitische Sufis, Ungläubige. Der Wahhabismus ist heute die Staatsideologie SaudiArabiens, dessen Königshaus die Tradition der Zerstörung noch in jüngster Zeit fortsetzte und zahlreiche historische Gebäude in Mekka abreißen ließ, und die Grundlage des Salafismus, der Ideologie des IS.
Der heutige Wahhabismus ist nicht mittelalterlich, sondern eine antitraditionelle totalitäre Ideologie, die einen »neuen Menschen« formen soll. Die angebliche Rückkehr zum reinen Islam erfordert den Bruch mit dessen historisch gewachsener und vielfältiger Lebenswirklichkeit, sodass es konsequent ist, möglichst alle sichtbaren Spuren gerade der islamischen Vergangenheit zu beseitigen.
Als Herrschaftsideologie eines Nationalstaats, der ökonomische, politische und militärische Bindungen eingehen muss, verwickelt sich der Wahhabismus in Widersprüche, die Anhänger der reinen Lehre aufbringen. Osama bin Laden brach mit dem Königshaus, als dieses US-Soldaten ins Land holte, und gründete Al Qaida. Obwohl antischiitisch, kritisierte bin Laden die Politik des irakischen Ablegers seiner Organisation, da er der Ansicht war, man sollte über dem Abschlachten von Schiiten den Kampf gegen die Amerikaner nicht vergessen. Aus Al Qaida in Irak ging der IS hervor, geprägt von der Idee, dass es keinen Aufschub der »Säuberung« der Gesellschaft von allem angeblich Unislamischem aus taktischen Gründen geben darf, während bin Ladens Lehre folgende Dschihadistengruppen in Syrien wie die Al-Nusra-Front vorsichtiger agieren.
Der wahhabitischen Tradition der Zerstörung folgten aber auch die Taliban, die im März 2001 die BuddhaStatuen in Bamiyan sprengten, und al-Qaida nahestehende Gruppen in Nordmali, die islamische Mausoleen einrissen. Anhänger des IS wüteten nach der Eroberung Mossuls im dortigen Museum, zerstörten in der Stadt aber auch mehrere Moscheen. Denn ob Baal-Tempel, Sufi-Schrein oder schiitische Moschee – allesamt gelten sie als Monumente des Unglaubens und jene, die Stätten einer lebendigen Religiösität sind, dürften den Dschihadisten als gefährlicher gel-
Der Antiquitätenschmuggel spielte anfangs eine nicht unbedeutende Rolle für die Finanzierung des IS. Dass Verkäufer wie Käufer nunmehr damit rechen müssen, wegen Unterstützung einer Terrororganisation belangt zu werden, dürfte die Einnahmen allerdings gemindert haben.