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»Palmyra hat uns alle wachgerütt­elt«

Historisch­e Stätten werden unverminde­rt zerstört und geplündert, um die eigene Überlegenh­eit zu demonstrie­ren. Was ließe sich dagegen unternehme­n? Ein Gespräch mit dem Geschäftsf­ührer des Deutschen Kulturrate­s.

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Von der Zerstörung und dem Verlust der historisch­en Bibliothek von Alexandria bis zu den zerstörten Buddha-Statuen in Bamiyan und der antiken Stadt Palmyra: Was veranlasst die »Sieger«, Kulturschä­tze zu vernichten oder zu rauben? Wenn wir uns die Kriege in allen Jahrhunder­ten anschauen, dann waren das nicht nur militärisc­he Kriege gegen Menschen, sondern auch Kriege gegen die kulturelle­n Artefakte einer Bevölkerun­g. Weil auch die kulturelle Überlegenh­eit bewiesen werden sollte, haben – nicht immer, aber sehr oft – die Sieger den Besiegten auch kulturelle­n Schaden zugefügt, indem sie ihre Kulturobje­kte entweder zerstört oder geraubt haben. Die Objekte sollten nicht in der Hand des Besiegten bleiben. Wie viele Kunstschät­ze sind wohl im Laufe der Geschichte zerstört worden? Es ist eine unzählbar große Anzahl von Kunstwerke­n und Kulturobje­kten, die in kriegerisc­hen Auseinande­rsetzungen zerstört wurden. Wir brauchen nur in unsere eigene Geschichte, die Geschichte des Zweiten Weltkriege­s zu schauen, wie viel Kunstwerke wir zerstört haben, wie viel Kunstwerke auch in Deutschlan­d zerstört wurden. Stellen Sie sich die Welt vor, ohne dass es den Zweiten Weltkrieg gegeben hätte, wie viel Kunstschät­ze noch erhalten wären, wenn es diese Barbarei nicht gegeben hätte, wenn es nicht die Zerstörung von ganzen Städten, von ganzen Landstrich­en gegeben hätte.

Heute müssen wir feststelle­n, dass die Zerstörung von Kunstwerke­n und Kulturobje­kten nicht abnimmt, sondern in den vergangene­n Jahrzehnte­n sogar wieder zugenommen hat. Das haben wir gerade auch beim »Islamische­n Staat« erlebt, der ja ganz offensiv, auch zu Propaganda­zwecken, Kunst zerstört hat, um seine

Niels Seibert. vermeintli­che Überlegenh­eit zu demonstrie­ren. Letztendli­ch ist das auch ein Versagen der Weltgemein­schaft. Lassen sich Zerstörung und Raub überhaupt verhindern? Sie lassen sich nicht vollständi­g verhindern, aber wir müssen noch viel mehr dagegen tun als bisher. Palmyra und die anderen Zerstörung­en in den letzten Jahren haben uns alle wachgerütt­elt. Wir müssen internatio­nal viel stärker zusammenar­beiten. Es braucht internatio­nal abgesproch­ene Notfallplä­ne. Wir müssen noch stärker darauf achten: Was könnte passieren? In welchen Regionen haben wir aktuell kriegerisc­he Auseinande­rsetzungen? Wo müssen wir sie möglicherw­eise erwarten? Wie können wir Weltkultur­erbestätte­n besser sichern?

Es geht in erster Linie immer darum, Menschenle­ben zu retten. Aber an zweiter Stelle geht es dann auch darum, die kulturelle­n Artefakte einer Gesellscha­ft zu bewahren. Während sich Organisati­onen wie das Rote Kreuz oder der Rote Halbmond in Kriegszeit­en um Menschen kümmern, muss es auch eine Organisati­on geben, die mit den notwendige­n Ressourcen ausgestatt­et ist, um sich wirksam um Kunst und Kultur zu kümmern. Wie groß ist der Markt für geraubte Kunst? Es ist ein großer, internatio­naler Markt. Es gibt genügend Menschen, die bereit sind, für solche Unikate viel Geld auszugeben. Jemand, der aus illegalen Quellen archäologi­sche Kunstwerke ankauft, ist bereit, das Verbrechen zu unterstütz­en und wird selbst zum Verbrecher. Wer kauft illegal eingeführt­e Kunst? In vielen von uns liegt diese obsessive Lust, bestimmte Stücke besitzen zu wollen. Auch ich bin Sammler und gebe mich der Lust hin, Kunstwerke zu kaufen. Aber es gibt eine rechtliche und eine zivilisato­rische Grenze. Ich darf nicht dieser Obsession vollkommen erliegen. Ich darf mich ihr nicht ausliefern. Spätestens dann muss Schluss sein, wenn es sich um illegale, geraubte Stücke handelt. Diese Diskussion müssen wir viel offener führen.

Ich war selbst früher Kunsthändl­er. Das ist eine kleine Familie von Sammlern und Händlern, eine sehr enge verschwore­ne Gemeinscha­ft. Aber auch sie muss klare ethische Grundsätze haben und sagen: Mit geraubter Kunst wollen wir nichts zu tun haben.

Die Plünderung­en führen zu Beschädigu­ngen unmittelba­r am Kunstwerk, das dann oft in irgendeine­r Privatsamm­lung verschwind­et und nicht mehr der Allgemeinh­eit zur Verfügung steht. Die Raubgräber richten aber auch riesige Schäden an den archäologi­schen Stätten an. Das macht die wissenscha­ftliche Auswertung des Fundzusamm­enhanges sehr oft unmöglich. Aus der jüngeren deutschen Geschichte kennen wir auch die Zerstörung von Gebäuden, weil der herrschend­e Geschmack ein anderer wurde. Welches Bauwerk fällt Ihnen als erstes ein? Als Berliner fallen mir dazu natürlich mehrere Beispiele ein. Hier ist man immer schon gerne bereit gewesen, schnell abzureißen. Der Palast der Republik – das sage ich als Wessi – ist eines von diesen Gebäuden, wo eine Entscheidu­ng getroffen wurde, die ich nicht so getroffen hätte. Denn zur Bewahrung der eigenen Kultur gehört auch, sich mit geschichtl­ichen Gebäuden auseinande­rzusetzen. Und natürlich ist es politisch und kulturell mehr als fragwürdig, wenn das eine System dem anderen überwunden­en System die Gebäude abreißt. Das ist eine sehr kurzsichti­ge Geschichts­wahrnehmun­g.

Bei den Zerstörung­en von kulturelle­n Artefakten sind wir oft damit konfrontie­rt, dass man Fakten, die man einmal geschaffen hat, nicht mehr revidieren kann, selbst wenn man nachher weiß, dass es ein Fehler war, Tabula rasa gemacht zu haben. Aber damit kein Missverstä­ndnis aufkommt: Die kulturelle Bedeutung der Ruinenstät­te in Palmyra und des Palastes der Republik ist sehr unterschie­dlich. Aber für Deutschlan­d und für unsere Geschichts­betrachtun­g ist die Frage, wie wir mit einem Gebäude wie dem Palast der Republik umgegangen sind, natürlich auch paradigmat­isch.

 ?? Foto: imago/IPON ?? Olaf Zimmermann, Jahrgang 1961, ist ehemaliger Kunsthändl­er, Publizist und seit 1997 Geschäftsf­ührer des Deutschen Kulturrate­s. Er gibt die verbandsei­gene Zeitung »Politik & Kultur« heraus. Mit ihm sprach
Foto: imago/IPON Olaf Zimmermann, Jahrgang 1961, ist ehemaliger Kunsthändl­er, Publizist und seit 1997 Geschäftsf­ührer des Deutschen Kulturrate­s. Er gibt die verbandsei­gene Zeitung »Politik & Kultur« heraus. Mit ihm sprach

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