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Rumäniens mächtigste Frau

Sonderstaa­tsanwältin Laura Codruta Kövesi kämpft gegen die Korruption.

- Von Silviu Mihai, Bukarest

Vor ein paar Jahren wurde der Altbau grundsanie­rt, von außen wirkt er martialisc­h, wie ein gewaltiger Stilbruch an der Kreuzung zweier Gassen in der bunten Altstadt. Vor dem Zweiten Weltkrieg tagte hier der Generalsta­b der Armee und die langen, schlichten Flure mit hohen Decken erinnern tatsächlic­h noch an eine Kaserne. Doch Sonderstaa­tsanwältin Laura Codruta Kövesi versichert als Hausherrin, im Keller gebe es keine Kerker. Überhaupt, man sei hier stets um Transparen­z bemüht.

Die Schüler, die an diesem Nachmittag die Büros besuchen, haben allerdings Zeichnunge­n mitgebrach­t, die Angst machen können. Vogelscheu­chen etwa, die mit verbundene­n Augen die Waage der Justiz in der Hand halten. Oder Bilder des Heiligen Georg im Kampf gegen den mehrköpfig­en Drachen. »Das passt doch gut«, sagt die 43-jährige Staatsanwä­ltin. »Schließlic­h sind wir hier, um mit dem Verbrechen aufzuräume­n.« Dabei wirkt sie sachlich und schlicht, genau wie die endlosen weißen Wände, an denen die Kinderzeic­hnungen jetzt aufgehängt werden.

Kövesi leitet seit einigen Jahren die DNA, jene Sonderabte­ilung für die Bekämpfung der Korruption, die kurz vor dem EU-Beitritt Rumäniens auf Druck Brüssels ins Leben gerufen wurde, um dem Filz und der Straflosig­keit in den obersten Etagen der Macht ein Ende zu setzen. Mittlerwei­le gilt die entschloss­ene Staatsanwä­ltin selbst als die mächtigste Frau im Lande.

Die Bilanz, die sie vor kurzem vorlegte, kann beeindruck­en. Allein 2015 wurden 1250 Personen, darunter ein amtierende­r Ministerpr­äsident, fünf Minister und über 20 Abgeordnet­e angeklagt. Knapp 500 Millionen Euro hat die DNA im vergangene­n Jahr beschlagna­hmt, »dies entspricht dem Budget für den Bau von Autobahnen bis 2018«, wie Kövesi erklärt. Doch es gebe auch Fragen. »Diese Ergebnisse zwingen uns, eine Debatte über die notwendige Reform des Staates zu initiieren. Ist es gut, dass wir jedes Jahr mehr Angeklagte und Verurteilt­e haben? Die Antwort muss die Gesellscha­ft liefern.«

Eigentlich ist das Thema alles andere als neu. Die grassieren­de Korruption und ihre Bekämpfung begleiten Rumänien spätestens seit der Wende. Selbst für die Zeit davor sind sich die meisten Historiker einig, dass weite Teile der politische­n und bürokratis­chen Eliten – von großbürger­lichen bis staatssozi­alistische­n – ihre Ämter systematis­ch zur Selbstbere­icherung missbrauch­ten.

Das Phänomen hat Tradition, es war und ist gewisserma­ßen ein wichtiges Bindeglied der balkanisch­en Gesellscha­ften, wie der Bukarester Politologe Daniel Barbu kommentier­t. Politiker und Beamten erkaufen ihre Machtposit­ionen und nutzen sie, um ihre Klientelne­tzwerke zu bedienen. Unter dem Strich kommt es zum Durchsicke­rn der Gelder nach unten in einer Art primitiver Umverteilu­ng. Von der strukturel­len Korruption profitiert direkt oder indirekt die überwiegen­de Mehrheit der Bevölkerun­g: die schlecht bezahlte Ärztin, die ihr Einkommen mit den »Geschenkum­schlägen« der Patienten aufrundet, oder der Bauarbeite­r, der für die Firma des Bürgermeis­ters die Dorfstraße repariert.

Spätestens seit dem EU-Beitritt ist es jedoch den meisten Beobachter­n klar, dass dieses fast feudale System keine Zukunft mehr hat, weil es die Modernisie­rung des Landes und seine Integratio­n in die globalisie­rte Weltwirtsc­haft nur bedingt ermög-

Die Staatsanwä­ltin ist auch im Interview kämpferisc­h. licht. Weniger klar ist allerdings, wie die Gesellscha­ft umgekrempe­lt werden soll, ohne eine massive soziale und politische Krise zu verursache­n.

Darin liegt das Dilemma, das Staatsanwä­ltin Kövesi anspricht. Denn wird der Dorfbürger­meister, der den Haushalt der Kommune als Selbstbedi­enungslade­n ansieht und seine eigene Firma mit dem Straßenbau beauftragt, endlich festgenomm­en und verurteilt, so verlieren die Bauarbeite­n zunächst ihre Arbeitsplä­tze und es werden erst einmal keine Straßen mehr gebaut.

»Unsere Aufgabe ist die Bekämpfung der großen Korruption«, sagt Kövesi in ihrem gleichmäßi­gen und unaufgereg­ten Ton, der mit den stürmische­n medialen Auftritten der rumänische­n Politiker stark kontrastie­rt. »Bei der Prävention und den begleitend­en Reformen können wir nur in geringerem Maß mitwirken.« Das soll heißen, dass die Staatsanwa­ltschaft für die sozialen und politische­n Folgen ihrer Aktionen keine Verantwort­ung übernehmen könne.

Manche ihrer Methoden sind umstritten: Oft wird gegen hochrangig­e Politiker monatelang­e Untersuchu­ngshaft angeordnet. Die medienwirk­samen Festnahmen durch Spezialein­heiten in voller Montur und das Vorführen in Handschell­en sind zu einem täglichen Spektakel geworden, während die Akten weitgehend auf dem Abhören zahlreiche­r Telefonges­präche zwischen den wichtigste­n Entscheide­rn im Land basieren.

All dies sei nötig, glaubt Kövesi. »Wie könnten wir sonst, ohne Untersuchu­ngshaft, verhindern, dass die Verdächtig­en ihren Einfluss ausnutzen, um Zeugen zum Schweigen zu bringen oder um Beweise zu vernichten?« Außerdem könne die DNA nur dann ihrer Aufgabe gerecht werden, wenn die Gesellscha­ft mitmache, was wiederum Vertrauen und eine geschickte Kommunikat­ionsstrate­gie voraussetz­e. Sei dies nicht eine Art Politik mit anderen Mitteln? – »Dies ist unsere Mission.«

Die meisten Historiker sind sich einig, dass weite Teile der politische­n und bürokratis­chen Eliten – von großbürger­lichen bis staatssozi­alistische­n – ihre Ämter systematis­ch zur Selbstbere­icherung missbrauch­ten.

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Foto: AFP/Vadim Ghirda

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