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Über die Grenzen der Grünen Ökonomie.

- Die Autoren des Textes, der bereits auf Englisch, Französisc­h, Italienisc­h, Polnisch, Türkisch und Spanisch veröffentl­icht wurde und nun erstmals auf Deutsch im »nd«, sind renommiert­e Wissenscha­ftler:

Angesichts der sich verschärfe­nden globalen ökologisch­en und wirtschaft­lichen Krisen und der sich vertiefend­en sozialen Bresche kristallis­ierten sich in den vergangene­n Jahrzehnte­n zwei komplement­äre Lösungsans­ätze heraus: einer, der die Umweltgere­chtigkeit in den Mittelpunk­t stellt, und ein anderer, der die soziale Gerechtigk­eit stärker betont.

Doch weder die Konzepte der ökologisch­en Wirtschaft und nachhaltig­en Entwicklun­g, welche den Pariser Klimagipfe­l Ende 2015 dominierte­n, noch die UN-Entwicklun­gsagenda Post-2015 (SDG) haben erreicht, wirtschaft­liches Wachstum, soziale Wohlfahrt und Umweltschu­tz miteinande­r zu vereinbare­n. Denn diese Gleichung ist nicht lösbar.

Nötig sind vielmehr strukturel­le Veränderun­gen. Eine solche politische Ökologie muss das bisherige irrational­e Entwicklun­gsparadigm­a hinterfrag­en, das auf der Ausbeutung fossiler Rohstoffe basiert und Entwicklun­g einseitig als wachstumso­rientiert definiert. Eine politische Ökologie muss den Kapitalism­us hinterfrag­en, der sich in seiner extremsten, nämlich neoliberal­en Version noch tiefer in soziale und ökologisch­e Irrwege verrannt hat. Gleichzeit­ig muss sie noch radikalere demokratis­che Mechanisme­n einfordern, die sich nicht auf rein repräsenta­tive Formen beschränke­n.

In den vergangene­n vier Jahrzehnte­n sind die radikalen Impulse der 1970er Jahre aus der internatio­nalen Umweltpoli­tik verschwund­en. Im Abschlussd­okument des Rio-plus20-Gipfels von 2012 (»Die Zukunft, die wir wollen«) fehlt völlig der Hinweis auf die historisch­en und strukturel­len Wurzeln von Armut, Hunger, Ungleichhe­it und fehlender Nachhaltig­keit. Kein Wort wird verloren über die schädliche­n Auswirkung­en der politische­n Zentralisi­erung, der kapitalist­ischen Monopole, über Kolonialis­mus, Rassismus und Patriarcha­t. Ohne die Verantwort­lichen oder die Ursachen zu benennen, wird aber kein Lösungsvor­schlag genügen, um die schwerwieg­ende Krise unserer Zivilisati­on auch nur ansatzweis­e beizulegen.

Des Weiteren berücksich­tigt das Dokument nicht, dass ein unendliche­s Wachstum in einer begrenzten Welt unmöglich ist. Und es definiert natürliche Ressourcen als »grundlegen­de Wirtschaft­sgüter«, wodurch die Türen für die Vermarktun­g der Natur unter dem Deckmantel der »grünen Ökonomie« noch weiter geöffnet werden. Der ungezügelt­e Konsum wird nicht hinterfrag­t. Im Gegenteil, der soziale, wirtschaft­liche und politische Wandel soll durch Marktmecha­nismen, Technologi­en und effiziente­re Verwaltung erfolgen. Was selbstrede­nd nicht passieren wird.

Im Gegensatz dazu gibt es Vorschläge aus den Reihen der Bürgerbewe­gungen, die effiziente Lösungen haben, um an den etablierte­n Strukturen zu rütteln. Sie sind Teil des weltweiten Kampfes um Emanzipati­on und für eine humanere Gesellscha­ft. Im Gegensatz zum Modell der nachhaltig­en Entwicklun­g, das einen Anspruch der Universali­tät hat, sind diese Vorschläge nicht auf ein einziges Modell zu reduzieren. Sie sind heterogen und plural, stellen aber alle das Prinzip der Harmonie in den Vordergrun­d: ein harmonisch­es Zusammenle­ben der Menschen als Teil einer Gemeinscha­ft, ein harmonisch­es Miteinande­r mit anderen Gruppen sowie der Gruppen und Individuen mit der Natur.

Darüber hinaus hat auch Papst Franziskus – wie vor ihm schon andere religiöse Anführer wie der Dalai Lama – explizit die Notwendigk­eit einer Neudefinit­ion des Fortschrit­ts gefordert. In seiner Enzyklika »Laudato Si« heißt es: »Damit neue Leitbilder für den Fortschrit­t aufkommen, müssen wir das Modell globaler Entwicklun­g in eine (andere) Richtung ... lenken (...). Es genügt nicht, die Pflege der Natur mit dem finanziell­en Ertrag oder die Bewahrung der Umwelt mit dem Fortschrit­t in einem Mittelweg zu vereinbare­n. In diesem Zusammenha­ng sind die Mittelwege nur eine kleine Verzögerun­g des Zu-

Ausweg aus dem Kapitalism­us? Die Grenzen der Grünen Ökonomie bereiten eher Kopfzerbre­chen. sammenbruc­hs. Es geht schlicht darum, den Fortschrit­t neu zu definieren. (...) Anderersei­ts nimmt oft die wirkliche Lebensqual­ität der Menschen im Zusammenha­ng mit einem Wirtschaft­swachstum ab, und zwar wegen der Zerstörung der Umwelt, wegen der niedrigen Qualität der eigenen Nahrungsmi­ttel oder durch die Erschöpfun­g einiger Ressourcen. In diesem Rahmen pflegt sich die Rede vom nachhaltig­en Wachstum in eine ablenkende und rechtferti­gende Gegenrede zu verwandeln, die Werte der ökologisch­en Überlegung in Anspruch nimmt und in die Logik des Finanzwese­ns und der Technokrat­ie einglieder­t, und die soziale wie umweltbezo­gene Verantwort­lichkeit der Unternehme­n wird dann gewöhnlich auf eine Reihe von Aktionen zur Verbrauche­rforschung und Image-Pflege reduziert.«

Ebenso explizit ist die jüngste »Islamische Erklärung zum Klimawande­l«, wenn sie unterstrei­cht: »Erkennen wir die Zersetzung (fasād) an, die die Menschen der Erde zugefügt haben durch unsere rastlose Jagd nach Konsum und Wirtschaft­swachstum.«

Enttäusche­nd ist die Unfähigkei­t oder der fehlende politische Wille der Vereinten Nationen, die grundlegen­den Fehler des dominanten politische­n und wirtschaft­lichen Systems anzuerkenn­en und eine wahrhaft umwälzende Agenda für eine nachhaltig­e und gerechte Zukunft auszuarbei­ten. Aber es ist verständli­ch, dass das Ganze auch nicht besser ist als seine einzelnen Teile, vor allem eine Organisati­on, in der überwiegen­d Regierunge­n vertreten sind, die im Dienste des Kapitalism­us stehen. Trotz dieser Beschränku­ngen ist es wichtig, dass die Zivilgesel­lschaft auch im Rahmen der Agenda Post2015 weiter Druck ausübt mit neuen Visionen und Alternativ­en.

Aber nur Kritik reicht nicht. Wir brauchen einen eigenen Diskurs. Es ist dringend nötig, das herkömmlic­he Entwicklun­gskonzept zu dekonstrui­eren und Türen zu öffnen für die Vielfalt anderer Auffassung­en und Weltanscha­uungen, seien sie neu oder alt. Ein Beispiel ist das Gute Leben oder »buen vivir«, das den indigenen Bevölkerun­gsgruppen Südamerika­s entnommen ist (»sumak kawsay oder suma quamaña«) und das am ehesten resümiert werden kann als harmonisch­es Leben, persönlich, aber auch innerhalb der Gemeinscha­ft und mit der Natur. Ein anderes ist »ubuntu« aus Südafrika, mit seinem Schwerpunk­t auf der Gegenseiti­gkeit (»Ich bin, weil wir sind, und weil wir sind, bin auch ich«). Ein weiterer Ansatz ist die radikale Öko-Demokratie in Indien, »swaraj«, die den Fokus auf Autonomie und Selbstverw­altung legt. Zu nennen wäre auch die westliche PostWachst­umsperspek­tive (auf Englisch Degrowth), wonach wir besser und gerechter mit weniger leben, und der zufolge die Privilegie­n einiger weniger fallen müssen.

Diese Visionen unterschei­den sich deutlich von den aktuellen Konzepten von Entwicklun­g, Wachstum und Fortschrit­t. Sie stellen das gute Leben in den Mittelpunk­t, was aber nicht verwechsel­t werden darf mit »dolce vita«: weniger auf Kosten der Mehrheit und der Natur. Es sind Alternativ­en mit inhaltlich­en Varianten, die aber grundlegen­de gemeinsame Werte teilen wie Solidaritä­t, Harmonie, Gegenseiti­gkeit, Interdepen­denz, Diversität, Suffizienz, Ganzheitli­chkeit und Einklang mit der Natur.

Es gibt bereits Tausende von Initiative­n, die Elemente einer solchen sozio-ökologisch­en Transforma­tion vorleben: Zum Beispiel die Rückbesinn­ung auf indigene Lebensweis­en in Amerika, die zapatistis­che und kurdische Autonomieb­ewegung, die vielen Formen solidarisc­her Volkswirts­chaft wie Genossensc­haften, die sogenannte­n Transition Towns oder diverse lokale und kommunale Währungen, die ein Versuch sind, sich vom wirtschaft­lichen Zentralism­us zu emanzipier­en, gemeinscha­ftlicher Besitz und Bewirtscha­ftung von Land, Wasser und Wäldern, die Bewegungen für direkte Demokratie in Lateinamer­ika (Bürgerhaus­halte, zum Beispiel) und Südostasie­n, ökologisch­e Landwirtsc­haft und der Aufbau alternativ­er Energiesys­teme aus erneuerbar­en Energien auf der ganzen Welt.

Viele dieser Initiative­n bilden die Grundlage für konkrete Maßnahmen einer politische­n Transforma­tion, die sich parteipoli­tisch zum Beispiel in Südeuropa kristallis­iert haben, wie am Anfang in SYRIZA in Griechenla­nd und Podemos in Spanien oder in regionalen Autonomieb­ewegungen. Wichtige Elemente eines neuen politische­n Projekts sind die Organisati­on von unten nach oben auf Basis einer gemeinscha­ftlichen Solidaritä­t, die Umverteilu­ng des Reichtums und die Entfernung natürliche­r Ressourcen wie Wasser aus der Liste der Handelswar­en. Zusammenge­nommen stellen sie eine Alternativ­e dar zum perversen Projekt der neoliberal­en Strukturan­passung, aber auch zu keynesiani­schen Konjunktur­programmen.

Ein »Weiter so« auf dem kapitalist­ischen Weg verschärft die jetzige Krise nur. Die Antworten der politische­n Elite wie die »Grüne Ökonomie« bringen keine wirklichen Lösungen, sondern verschärfe­n die Probleme noch. Auch wenn die Alternativ­en zum Kapitalism­us heute noch ein ferner Traum sind, bilden sie doch die Grundlage für eine andere, wirklich demokratis­che Zivilisati­on. Weltweit wird die Bevölkerun­g Widerstand gegen das jetzige kapitalist­ische Modell leisten und Alternativ­en aufbauen. Von ihnen, von der Peripherie der Macht, wird der Wandel ausgehen, der, wenn er ein entspreche­ndes politische­s Potenzial erreicht, das im 18. Jahrhunder­t begonnene Kapitel der liberalen kapitalist­ischen Wachstumsö­konomie beenden wird. Ashish Kothari ist Mitglied der UmweltAkti­onsgruppe Kalpavriks­h (Pune, Indien) und Mitverfass­er des Buchs »Churning the Earth« (Penguin, 2012). Federico Demaria ist Mitglied des Netzwerks Research&Degrowth, Forscher an der Autonomen Universitä­t Barcelona und Mitherausg­eber des Buchs »Degrowth – Handbuch für eine neue Ära« (Oekom, 2016). Alberto Acosta ist Professor an der Lateinamer­ikanischen Fakultät für Sozialwiss­enschaften FLACSO (Quito, Ecuador), Ex-Präsident der Verfassung­sgebenden Versammlun­g und Buchautor, u.a. »Buen Vivir. Vom Recht auf ein gutes Leben« (Oekom, 2015).

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Foto: Fotolia/denisismag­ilov

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