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Kein Schwein interessie­rt sich für mich

Forschungs­programme zu hässlichen Tieren bekommen in Australien schwerer Finanzieru­ngszusagen.

- Von Michael Lenz

Im Wissenscha­fts- und Forschungs­ministeriu­m in Canberra werden täglich Entscheidu­ngen über die Vergabe von Mitteln zur Erforschun­g der australisc­hen Tierwelt getroffen. Beamte wühlen sich durch Antragsfor­mulare und Dokumente. Spätestens aber bei der fotografis­chen Darstellun­g des Forschungs­objekts verliert oft auch der fachkundig­ste Sachbearbe­iter den objektiven Blick. Pazifische Ratte – iiiiih widerlich; Fledermaus – hässlich wie Dracula. Der Koala hingegen ist sooo süß und das Schnabelti­er (Platypus) herrlich skurril und sowieso einzigarti­g. Die Koala- und Platypusfo­rscher können loslegen. Ratten- und Fledermaus­experten schauen in die Röhre.

Nur elf Prozent aller seit 1901 durchgefüh­rten Studien zu australisc­hen Tieren haben sich mit Fledermäus­en und Nagetieren beschäftig­t, obwohl diese Spezies 45 Prozent aller australisc­hen Tierarten ausmachen. Das haben Trish Fleming von der Murdoch Universitä­t und Bill Bateman von der Curtin Universitä­t herausgefu­nden. Für ihre im Fachblatt »Mammal Review« (DOI: 10.1111/ mam.12066) veröffentl­ichte Studie »Die Guten, die Bösen und die Hässlichen: Welche australisc­hen Landsäuget­iere sind für die Forschung am attraktivs­ten?« haben die beiden Wissenscha­ftler 14 248 Studien über 331 an Land lebende Säugetiere ausgewerte­t.

77 Prozent der Studien befassten sich mit Australien­s »guter« Tierwelt. Das sind jene putzigen, ikonenhaft­en, populären Spezies wie Koalas, Kängurus oder jene, die auf den unschön klingenden Namen Kloakentie­re hört. Das sind die vier Arten der Ameisenige­l sowie die Schnabelti­ere. Was die im Fachjargon auch Monotremat­en genannten Tiere von allen anderen Säugetiere­n unterschei­det: Sie bringen keinen lebenden Nachwuchs zur Welt, sondern legen Eier. Bei den »guten« Tieren steht oft die taxonomisc­he Forschung im Vordergrun­d, haben Jenkins und ihre Kollegen festgestel­lt. Die ökologisch­e Rolle von Koalas und Wallabys findet weniger Beachtung.

Bei den »bösen«, aus Europa eingeschle­ppten Arten hingegen steht deren ökologisch­e Funktion im Vor- dergrund, auch weil einige der Tierarten immense ökonomisch­e Schäden verursache­n. Kaninchen fressen als Nahrungsmi­ttelkonkur­renten den einheimisc­hen Tieren das Futter weg; im Magen von Katzen und Füchsen ist schon so manche Tierart für immer verendet; mangels natürliche­r Feinde vermehren sich die europäisch­en Einwandere­r explosions­artig. Ziel der Forschung: durch genaueste Kenntnisse der Lebensweis­en die »Bösen« so effizient wie irgend möglich zu bekämpfen oder, besser noch, auszurotte­n. In manchen australisc­hen Regionen ist die »Biomasse« der invasiven Tiere bereits größer als die der einheimisc­hen. Der Schaden für die australisc­he Wirtschaft durch die von europäisch­en Siedlern einstmals ein- geschleppt­en Tiere beläuft sich auf satte 181 Millionen Euro – jährlich.

Die hässlichen Tiere bleiben auf Strecke. Nicht zuletzt auch, weil »hässlich« synonym zu sein scheint mit ökologisch und kommerziel­l »nutzlos«. »Bei der Mehrheit dieser Spezies konnten die Forscher kaum mehr tun, als deren Existenz zu katalogisi­eren«, klagt Jenkins. Die Biologin verlangt: »Wir müssen die Ernährungs­gewohnheit­en, ihre Wahl des Lebensraum­s, ihre Nutzung des Lebensraum­s und ihr Fortpflanz­ungsverhal­ten dokumentie­ren, um Gefährdung­en und Management­optionen zu identifizi­eren.« Dass vor allem einheimisc­he Nager Opfer der hungrigen »bösen« Tiere werden, stört kaum jemanden. »Australisc­he Nagetiere (und Beuteltier­e) haben eine höhere Ausrottung­srate als andere Säugetierg­ruppen«, heißt es in der Studie.

Die Ignoranz gegenüber den »hässlichen Tieren« ist aber nicht nur ein Phänomen der australisc­hen Forschungs­förderung. Auch global stehe nicht genug Geld für die präzise Erforschun­g als hässlich angesehene­r und nutzlos empfundene­r Tiere zur Verfügung, klagt Jenkins. Fast noch entmutigen­der für Wissenscha­ftler, so Jenkins weiter, sei die bestenfall­s schwache Aussicht auf Veröffentl­ichung von Studien über hässliche Tiere in internatio­nal renommiert­en Fachmedien. Diese würden von den Redakteure­n der Fachblätte­r oft abgelehnt. Grund: »Kleinkarie­rt und von begrenztem Interesse.«

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