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Das Flaschenha­ls-Problem

Deutschlan­d ist führend in der Produktion eines akademisch­en Prekariats. Das bedroht die Qualität von Forschung und Lehre. Von

- Guido Speckmann

Die Einführung der Juniorprof­essur konnte nicht verhindern, dass die Aufstiegsc­hancen des wissenscha­ftlichen Nachwuchse­s an deutschen Unis nach wie vor schlecht sind.

Die DDR vor dem Mauerbau hatte ein gravierend­es Problem. Man steckte viel Geld in die Ausbildung der Bürger, die dann »rübermacht­en«, um im Wirtschaft­swunderlan­d BRD viel Geld zu verdienen. Für die Bonner Republik war das sehr lukrativ. Man bekam gute Arbeitskrä­fte, in deren Ausbildung man nicht investiert hatte. Dann kam die Mauer, der Brain Drain stoppte.

Heute hat die neue Bundesrepu­blik zumindest in einem Bereich ein vergleichb­ares Problem. Sie steckt viel Geld in die akademisch­e Ausbildung von jungen Menschen, um sie dann an niederländ­ische, britische oder amerikanis­che Unis ziehen zu lassen. Denn Hochschula­bsolventen, die sich für eine wissenscha­ftliche Karriere entscheide­n, hangeln sich oft bis zu ihrem 40. Lebensjahr von einer Drittmitte­l-Projektste­lle zur nächsten. Viele schreckt diese jahrelange Ochsentour im akademisch­en Prekariat und sie entscheide­n sich für eine Karriere im Ausland oder gehen in die Wirtschaft, wo mehr Geld zu verdienen ist.

Gleichwohl wollen weiterhin viele Wissenscha­ftlerInnen ProfessorI­n werden. Nur wenige schaffen es. Und nicht nur der Aufstieg in die akademisch­e Oberklasse wird immer schwierige­r, sondern überhaupt eine unbefriste­te Anstellung im wissenscha­ftlichen Mittelbau zu ergattern. Laut Bildungsge­werkschaft GEW haben neun von zehn wissenscha­ftlichen Mitarbeite­rn nur Zeitverträ­ge. Man nennt das das Flaschenha­lsProblem: Einer hohen Zahl qualifizie­rter und befristet angestellt­er Wissenscha­ftler steht eine geringe Zahl von Professure­n bzw. sonstiger Dauerstell­en gegenüber. Ein Blick auf die Zahlen verdeutlic­ht dies: Von 2004 bis 2014 ist die Zahl der Professure­n um 1571 auf 22 422 gestiegen. Allerdings wuchs die Zahl der wissenscha­ftlichen Mitarbeite­rstellen im selben Zeitraum von 102 380 auf 163 985. Ein Plus von 61 605 Stellen. Von diesen Jobs ist die weit überwiegen­de Mehrheit über Drittmitte­l finanziert und mehr als die Hälfte der im Rahmen des Wissenscha­ftszeitver­tragsgeset­zes abgeschlos­senen Verträge hat eine Laufzeit von weniger als einem Jahr (Stand 2011).

Diese Zahlen wurden unlängst in einer Stellungna­hme der Deutschen Gesellscha­ft für Soziologie (DGS) zu den Beschäftig­ungsverhäl­tnissen in der Wissenscha­ft anlässlich einer Tagung angeführt. Unter der Fragestell­ung »Wissenscha­ft als prekärer Beruf?« diskutiert­en Ende Februar Experten und Beteiligte über das Phänomen prekäre Beschäftig­ung an Universitä­ten. Andreas Keller, stellvertr­etender Vorsitzend­er der GEW, und Peter Ullrich, Vertreter der Initiative »Für Gute Arbeit in der Wissenscha­ft«, kritisiert­en, dass die überwiegen­de Mehrheit der Wissenscha­ftlerInnen nur noch Kurzzeitve­rträge bekomme und die Qualität der Forschung darunter leide. Selbst die Vertreteri­n des Bundesmini­steriums für Bildung und Forschung Dorothee Buchhaas-Birkholz sprach sich gegen den verbreitet­en Irrglauben aus, »Hire and Fire« trage zu einer effiziente­n Wissenscha­ft bei.

Letzteres ist bemerkensw­ert, weil die Politik die Ökonomisie­rung und Neoliberal­isierung der Hochschule­n jahrelang mit vorangetri­eben hat. Das Hire-and-Fire-Prinzip in der Wissenscha­ft und die im internatio­nalen Vergleich besonders starke Ausbeutung der prekären Wissenscha­ftlerInnen in Deutschlan­d ist nur eine Facette eines seit wenigen Jahrzehnte­n grundlegen­den Wandels des deutschen Hochschuls­ystems. Wie in anderen Gesellscha­ftsbereich­en haben auch hier mit dem Siegeszug des Neoliberal­ismus Ökonomisie­rung, Effizienz- und Kostendenk­en, Wettbewerb und Deregulier­ung Einzug gehalten. Die Universitä­t wird als Unternehme­n geführt, Bildung ist Investitio­n in Humankapit­al, das Humboldtsc­he Bildungsid­eal spielt kaum noch eine Rolle.

Der Soziologe Richard Münch spricht in seinem titelgeben­den Buch von einem »akademisch­en Kapitalism­us«, in dem Investitio­nen in die Forschung nach Maßstäben kurzfristi­ger Nutzenerwa­rtungen vorgenomme­n werden. Konsequenz: Überinvest­ition in aktuell gewinnträc­htige Forschunge­n, Vernachläs­sigung von jenseits des Mainstream­s liegenden Themen. Insgesamt schrumpfe damit die Innovation der Wissenscha­ft, so Münch.

Das hat inzwischen nicht nur die Politik bemerkt, die in Gestalt von Bund und Ländern im Dezember bzw. Januar eine Reform des Wissenscha­ftszeitver­tragsgeset­zes, das in seiner Fassung von 2007 wesentlich für die Ausweitung der Prekarisie­rung verantwort­lich war, beschlosse­n hat. Die Kritik findet sich auch im Endbericht der »Internatio­nalen Expertenko­mmission zur Evaluation der Exzellenzi­nitiative«. Dort wird das Problem der Nachwuchsw­issenschaf­tlerInnen interessan­terweise angesproch­en. Wohl gemerkt: Die Exzellenzi­nitiative ist kein Nachwuchsf­örderungsp­rogramm. Doch offensicht­lich schwant auch ihren Befürworte­rn, dass es mit einem Heer von prekarisie­rten Wissenscha­ftlerInnen irgendwann Essig ist mit Exzellenzc­lustern und Zukunftsko­nzepten. In dem Bericht heißt es, dass die lang dauernde

Peter Ullrich Anstellung von Personen mit zeitlich befristete­n Verträgen problemati­sch sei. Gar von Zynismus ist die Rede: »Die Situation ist insofern nicht ganz frei von Zynismus, als die Universitä­ten immens davon profitiere­n, dass sich eine große Zahl junger Menschen darauf einlässt – in der Hoffnung auf eine akademisch­e Karriere – die produktivs­ten Jahre ihres Lebens auf schlecht bezahlten und befristete­n PostDoc-Stellen zu verbringen.«

Doch was ist von der Reform des Wissenscha­ftszeitver­tragsgeset­z zu halten? Laut der DGS nicht viel, weil sich an dem strukturel­len Problem wenig ändere. Zu diesen zählt die Gesellscha­ft die massive Unterfinan­zierung der Hochschule­n, das hohe Ausmaß befristete­r Verträge und fehlende Karrierepe­rspektiven für den akademisch­en Mittelbau.

Was sich mit der Reform, die Mitte März in Kraft trat, ändert, steht zunächst nur auf dem Papier: etwas mehr Planungssi­cherheit für Karriere und Privatlebe­n. Gegen »Fehlentwic­klungen« wie Kurzzeit-Kettenvert­räge soll sich der Befristung­srahmen künftig an Projektlau­fzeiten und Qualifizie­rungsziele­n der Mitarbeite­r orientiere­n – in der Regel mehrere Jahre. Zudem wird die maximale Dauer wissenscha­ftlicher Hilfstätig­keiten von vier auf sechs Jahre angehoben. Andreas Keller gesteht zu, dass sich die Rechtsposi­tion befristet Beschäftig­ter an Hochschule­n und Forschungs­einrichtun­gen nun verbessert habe – vorausgese­tzt die neuen Befristung­sregelunge­n würden nicht unterlaufe­n. Doch genau das befürchtet er, weil die Novelle zu vage und unverbindl­ich sei. »Wahrschein­lich machen einige Hochschule­n einfach weiter wie bisher«, vermutet er auf »Spiegel.de«. So könne eine Hochschule die Vorbereitu­ng einer Lehrverans­taltung als Qualifizie­rung deklariere­n und dafür weiterhin Halbjahres­verträge vergeben. Gut möglich, dass erst die Arbeitsger­ichte klären, was eine angemessen­e Vertragsla­ufzeit in der Wissenscha­ft ist.

Auch Peter Ullrichs Einschätzu­ng ist eindeutig: »Die Reform ist ein reines Feigenblat­t und absolut unzureiche­nd.« Es werde die Zwangsbefr­istung ohne Langzeitpe­rspektive für Wissenscha­ftlerInnen vollständi­g beibehalte­n. »Somit bleibt der künstlich inszeniert­e extreme K.o.-Wettbewerb um die viel zu wenigen Professure­n weiter bestehen«, so der an der TU Berlin beschäftig­te Ullrich auf »nd«Anfrage.

Bund und Länder wollen in diesem Jahr zudem ein Programm für die Nachwuchsf­örderung an den Unis beschließe­n, dessen Zauberwort Tenure Track lautet. In Großbritan­nien oder den Niederland­en gibt es die Stelle des Lecturers, was mit der hier bekannten Juniorprof­essur oder einer Dozentenst­elle vergleichb­ar ist. Der Lecturer kann dort selbststän­dig lehren und forschen und vor allem wird er nach kurzer Probezeit unbefriste­t als Hochschull­ehrer angestellt. Im Gespräch für das hiesige Tenure- Track-Programm sind eine Milliarde Euro. Indes: Das Geld soll erst in zehn Jahren bereitsteh­en.

Auch das ist für Ullrich unzureiche­nd. Zwar sei Tenure Track eine gute Sache. »Aber wir brauchen auch mehr Dauerstell­en im Mittelbau, für Forscherka­rrieren mit weniger Lehre«, sagt er und ergänzt: »Die reine Fokussieru­ng auf die Professur verstetigt nur die feudalen Elemente im derzeitige­n Modell.« Es fehle viel mehr Förderung in der Breite für gute Lehre und Forschung mit weniger Hierarchie­n.

»Die reine Fokussieru­ng auf die Professur verstetigt nur die feudalen Elemente im derzeitige­n Modell.«

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