nd.DerTag

Ohne die Kollegen der 1946 gegründete­n DDR-Nachrichte­nagentur wäre das alte »ND« weit weniger informativ und weltoffen gewesen. Aber ADN diente der SED-Führung ebenso zur Verbreitun­g platter, zuweilen übelster Agitation – auch durch diese Zeitung.

- Von Claus Dümde

Lieber zusammen mit ADN falsch als allein richtig.« Dieser Satz stand vor drei Wochen auf Seite 27 der Beilage »Eine Zeitung, zwei Leben, 70 Jahre«. Der Satz wirkt sarkastisc­h und böse. Und so war er auch gemeint. Doch er richtet sich nicht gegen den Allgemeine­n Deutschen Nachrichte­ndienst, der wie »Neues Deutschlan­d« vor 70 Jahren gegründet wurde. Und schon gar nicht gegen unsere Journalist­enkollegen vom ADN, die faktisch fast alle irgendwann auch für diese Zeitung geschriebe­n haben. Die einen mit ihrem Namen als Auslandsko­rresponden­ten, oft in ihrem Gastland zugleich für »ND« akkreditie­rt, die meisten anonym als Verfasser von nur mit »ADN« oder »ADNKorr.« gekennzeic­hneten Berichten und Nachrichte­n aus aller Welt, aber auch aus der DDR. Ohne sie wäre das alte »ND« weit weniger lesenswert gewesen – und sei es auch nur »zwischen den Zeilen«.

»ND« war von Anfang an mit ADN eng verbunden, gehörte zu seinen Gründern. Unter den Verlegern und Journalist­en aus der Sowjetisch­en Besatzungs­zone, die im August 1945 an den Chef der Sowjetisch­en Militärver­waltung ein »Gesuch um die Erteilung der Lizenz für ein deutsches Nachrichte­nbüro« richteten, waren die beiden Chefredakt­eure des »ND«. »Es ist unsere Absicht, den ADN als eine überpartei­liche, die gemeinsame­n Ziele aller antifaschi­stisch-demokratis­chen Kräfte fördernde Nachrichte­nAgentur auszugesta­lten«, schrieben sie an Marschall Sokolowski. »Schnelligk­eit und Zuverlässi­gkeit, strengste Objektivit­ät und keinerlei Bindungen an einzelne Parteien oder Interessen­Gruppen sind Richtschnu­r für die Tätigkeit des ADN«, heißt es im Organisati­onsplan von 1946. »In seiner allgemeine­n politische­n Einstellun­g wird der ADN von dem Bestreben geleitet, dem Aufbau eines friedliche­n, geeinten und demokratis­chen Deutschlan­ds zu dienen.«

Dass es dabei nicht blieb, ist bekannt. Im April 1953 wurde auf Weisung der SED-Führung der ADN als gemeinnütz­ige GmbH aufgelöst und in eine staatliche Nachrichte­nagentur verwandelt. Und sicher wuchs damit im Politbüro die Versuchung, auch den ADN als »kollektive­n Agitator, Propagandi­st und Organisato­r« zu be- nutzen, als den Lenin in Russland die Parteipres­se der Bolschewik­i bezeichnet hatte.

Doch Nachrichte­n sind ein besonderes Ding. Selbst an der Leipziger Fakultät für Journalist­ik wurde gelehrt, dass es dabei um »Agitation mit Tatsachen« geht. Als einzige Nachrichte­nagentur der DDR hatte der ADN eine zweifache Schlüssels­tellung. Einerseits lieferte er sämtlichen Massenmedi­en des Landes Nachrichte­n aus aller Welt sowie offizielle Mitteilung­en der SED und der Regierung der DDR. Anderersei­ts war der ADN aber auch für die SED- und Staatsführ­ung der DDR eine sehr wichtige und vor allem die aktuellste Informatio­nsquelle über das Weltgesche­hen. Der ADN schickte dank der eigenen Korrespond­enten in fast allen Teilen der Welt und der Auswertung der Dienste vieler ausländisc­her Nachrichte­nagenturen Honecker und dem SED-Politbüro wichtige Nachrichte­n nicht nur ad hoc, notfalls rund um die Uhr. Sie und weitere ausgewählt­e Funktionst­räger in Partei und Regierung, aber auch in den Massenmedi­en erhielten zudem diverse tagesaktue­lle hektograph­ierte Dienste – den »grünen« mit »streng vertraulic­hen« Informatio­nen, den »roten« mit politische­n und den »blauen« mit Wirtschaft­snachricht­en, die der ADN nicht ohne Weisung in seinen »Basisdiens­t« gab.

Von solchen Informatio­nen profitiert­en hin und wieder auch Journalist­en im »alten« »ND«, die nicht auf dem Verteiler für »West-Presse« oder die Spezialdie­nste des ADN standen. Ich zum Beispiel im November 1975 beim Schreiben eines Kommentars zum Konflikt um die Westsahara. Ohne die von ADN gelieferte­n Fakten und Pressestim­men wäre das nicht möglich gewesen. Einen Tag nach dem Erscheinen des Beitrags brach Marokko die diplomatis­chen Beziehunge­n zur DDR ab.

Kurze Zeit später machte in der Redaktion der zynische Satz »Lieber zusammen mit ADN falsch als allein richtig« die Runde. Doch mit ADN hatte dieser Ausbruch von Frust das wenigste zu tun. Umso mehr mit Feigheit und Opportunis­mus im eigenen Haus. ND-Chefredakt­eur Joachim Herrmann hatte sich wegen des Westsahara-Kommentars offenbar im Politbüro heftige Vorwürfe anhören müssen. Und zog daraus den Schluss, künftig zu Themen, die Ärger machen könnten, nur das im Zentralorg­an zu drucken, was vorher ausdrückli­ch »abgesegnet« worden war – am besten durch Generalsek­retär Erich Honecker persönlich, bei den häufigen Telefonate­n mit ihm oder per handschrif­tlichem Vermerk »Einverstan­den E. H.« auf durch Boten hin und her transporti­erten Manuskript­en.

Nicht wenige solcher »Wunschmeld­ungen«, die in allen Zeitungen gedruckt, in der Aktuellen Kamera des DDR-Fernsehens und dem Rundfunk verlesen werden mussten, trugen als Quelle das Kürzel ADN. Autoren aus der BRD zogen daraus den Schluss, die SED habe mit Hilfe von ADN »die Nachrichte­ngebung sämtlicher DDRMedien gesteuert«. Da wurde der Agentur angedichte­t, sie sei »die Spinne im Netz der DDR-Publizisti­k« gewesen, gar »Machtzentr­ale der Medienpoli­tik«.

Weit gefehlt. Bei der wöchentlic­hen »Anleitung« der Medien in der Agitations­kommission beim SED-Politbüro saßen Vertreter von »ND« und ADN nebeneinan­der, erinnert sich Dieter Brückner, der als für die gesamte Innenpolit­ik zuständige­r stellvertr­etender Chefredakt­eur häufig daran teilnahm. Oft habe es ein, zwei interessan­te Vorträge kompetente­r Experten zu verschiede­nsten jeweils aktuellen Themen gegeben, danach wurden Termine und Sprachrege­lungen ausgegeben, mitgeteilt, wie welche Ereignisse dargestell­t werden sollen.

Günter Böhme, langjährig­er Bonner Korrespond­ent und Abteilungs­leiter Außenpolit­ik des »ND«, der danach in der Agitations­kommission arbeitete, weiß, warum viele »Wunschmeld­ungen« unter ADN firmierten: Die Agentur war gehalten, täglich Vorschläge dafür ins »Große Haus« zu schicken, vor allem zu außenpolit­ischen Fragen, zur BRD und Westberlin, teils als Themenlist­e, teils fertig formuliert.

Was nach Prüfung und Bearbeitun­g durch den »Generalche­fredakteur« und seine Gehilfen herauskam, hatte oft mit dem Vorschlag wenig zu tun. Ebenso wenig mit Nachrichte­n und dem ADN. Der Gipfel war Anfang Oktober 1989 jene mit »Berlin (ADN)« camouflier­te hilflose Polemik zur Ausreise Tausender DDR-Bürger, die in die BRD-Botschafte­n in Prag und War- schau geflohen waren. Sie hätten »Sich selbst aus unserer Gesellscha­ft ausgegrenz­t« lautete die gestelzte Überschrif­t. Und Honecker selbst soll den Satz eingefügt haben: »Man sollte ihnen deshalb keine Träne nachweinen.« »ND« musste das Pamphlet in seinen Kommentars­palten auf Seite 2 abdrucken. ND-Redakteure waren darüber genauso empört wie Kollegen von ADN und viele unserer Leser.

ADN und »ND« – das war aber mehr als Kampf und Krampf. Als Redakteur in der Außenpolit­ik des »ND« war bei Auslandsre­isen mein erster Anlaufpunk­t oft das ADN-Büro. Bei internatio­nalen Großereign­issen arbeiteten ADN- und ND-Journalist­en meist im Pool zusammen. So Anfang August 1975 beim Abschluss der Konferenz über Sicherheit und Zusammenar­beit in Europa in Helsinki. Neben Nachrichte­n und Berichten schickten wir große Auszüge aller Reden nach Berlin, die im »ND« neben dem Wortlaut der Schlussakt­e als Zeichen des »Geistes von Helsinki« gedruckt wurden. Das sprach sich schnell in der Finnlandia-Halle herum. Eines abends kam ein aufgeregte­r ARD-Berichters­tatter in unsere Ecke und sagte: »Liebe Kollegen, ich muss gleich auf Sendung, aber mir fehlt die letzte Stunde.« Natürlich wurde ihm geholfen.

Auch als Korrespond­ent in Moskau und Paris arbeitete ich mit meinen ADN-Kollegen möglichst eng zusammen. Was wir abgestimmt hatten, stellte in Berlin so schnell keiner in Frage. Einmal zahlte sich das beim Kampf um die »Erstnachri­cht« aus: Am Rande der Trauerfeie­rlichkeite­n für KPdSU-Generalsek­retär Juri Andropow trafen sich am Abend des 13. Februar 1984 auf den Leninberge­n Erich Honecker und Bundeskanz­ler Helmut Kohl zu ihrem ersten Gespräch. Die Medien sollten danach informiert werden. Normal. Aber das kam womöglich nicht nur für die Spätausgab­e der Aktuellen Kamera zu spät, auch für Tagestheme­n und heute-journal. DDR-Botschafte­r Egon Winkelmann, zu dem wir einen guten Draht hatten, trug Honecker und seinem Kanzleiche­f unsere Anfrage vor, ob man nicht schon früher eine erste Meldung verbreiten könnte. Der gemeinsame Entwurf, der im Wesentlich­en die DDRPositio­nen referierte, wurde »abgesegnet«, von ADN gesendet und war für Stunden die einzige Meldung zu dem damals viel beachteten Treffen auf dem Medienmark­t. Motto: Lieber zusammen mit ADN richtig und schnell als allein abgehängt.

Kurze Zeit später machte in der Redaktion der zynische Satz »Lieber zusammen mit ADN falsch als allein richtig« die Runde. Doch mit ADN hatte dieser Ausbruch von Frust das wenigste zu tun. Umso mehr mit Feigheit und Opportunis­mus im eigenen Haus.

Claus Dümde, Jahrgang 1943, war lange Zeit Auslandsre­dakteur und Korrespond­ent des »ND« u.a. in Moskau und Paris.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany