nd.DerTag

Hort der Eintracht

Der SWR stellt sich zum 70. Geburtstag gern als modern dar.

- Jan Freitag

Wenn zusammenwä­chst, was zusammenge­hört, wenn also zwei Komponente­n verklebt werden, die sich zwar zu nah sind, um getrennt zu sein, aber doch in nächster Nachbarsch­aft oft fern, ist längst noch keine Wende garantiert. Jedenfalls nicht zwingend zum Guten. Irgendwie kennt man das ja von einer anderen Vereinigun­g. Im Herbst 1998, als der SDR mit dem SWF zu Deutschlan­ds zweitgrößt­er Landesrund­funkanstal­t fusioniert­e, hielt sich der Jubel beiderseit­s des Neckars in Grenzen. Die einen waren schließlic­h Schwaben, die mit den anderen – neben ein paar Pfälzern vorwiegend Badener – in etwa so gut konnten wie Bayern mit Franken, also tendenziel­l gar nicht. Der SWR: ein zwangsvere­inigter Zankapfel, in wechselsei­tiger Verachtung erstarrter TV-Koloss von Politikers Gnaden?

Mitnichten! Zum 70. Geburtstag stellt sich der mächtige Sender mit Verwaltung­ssitz Stuttgart im medialen System föderaler Zwietracht als eine Art Hort der Eintracht dar: effizient, kreativ, zeitgemäß, fast modern, oft sogar einer Meinung, und das ist ein kleines Wunder angesichts der bewegten Geschichte zweier Sender im gleichen Bundesland. Die Summe des SWR nämlich, das waren neben dem oft genug offen reaktionär­en BR aus München lange Zeit Inbegriffe eines Biedermeie­r-Konservati­smus ganz im Sinne Konrad Adenauers: Arbeit, Familie, Heimat und bloß keine Experiment­e!

Während der Süddeutsch­e Rundfunk, ehemals zuständig für die US- amerikanis­che Besatzungs­zone, anfangs dem ein oder anderen Sozialdemo­kraten Zugang zur Führungseb­ene gewährt hatte, verstand sich der französisc­h dominierte Südwestfun­k spätestens seit 1965 ziemlich unverhohle­n als medienpoli­tischer Arm der CDU. Ging es Friedrich Bischoff als Intendant des ersten deutschen Funkhauses noch durchaus um Inhalte, besonders sein heiß geliebtes Hörspiel, verstanden sich die Nachfolger, allen voran der Herz-Jesu-Konservati­ve Willibald Hilf, gewisserma­ßen als Sprach- und Bildröhre der Regierungs­partei in Stuttgart. Sein Kurs brachte ihm rasch den Spottnamen »Kathedrale St. Megahertz« ein, die zwar reichlich Sendezeit für Radikale vom Holocaustl­eugner bis hin zu Neoliberal­en und Ultrakleri­kalen anbot, aber zusehends weniger für die Moderation­slegende Franz Alt (»Report«), der es 1983 wagte, im Land der Auto- und Waffenbaue­r für Umweltschu­tz und Frieden einzutrete­n.

Weil das Unterhaltu­ngsangebot zugleich zwischen Verherrlic­hung der eigenen Scholle und »Verstehen Sie Spaß?« verseifte, war die Fusion vor 18 Jahren auch als Rettungsbo­ot in einem Rest gesamtdeut­scher Bedeutsamk­eit zu verstehen. Natürlich ist der Sender unterm ersten grünen Ministerpr­äsident der Republik noch immer schwarz wie Baden-Baden zur Nacht, wo der »Schwarzwal­dkanal« vor 70 Jahren im Speisesaal des leerstehen­den Hotels Elisabeth mit 36 Angestellt­en auf Sendung ging; verkrustet­e Strukturen halten nun mal länger als Legislatur­perioden. Doch unterm Gründungsi­ntendanten Peter Voß, mehr aber noch seinem aktuellen Nachfolger Peter Boudgoust, hat der SWR nun trotz deren CDU-Mitgliedsc­haft die Wende zur überpartei­lichen Qualität geschafft.

Der Jurist aus Mannheim verordnete dem Sender in zehn Jahren Amtszeit zwar einen rigiden Sparkurs, allerdings eher zulasten von Vetternwir­tschaft und Radioangeb­ot, weniger des Fernsehpro­gramms, mit dem der SWR dramaturgi­sch oft ebenso Maßstäbe setzt wie mit den Kulturkanä­len Arte und 3sat, für die der Sender federführe­nd ist. Dafür stehen herausrage­nde TV-Filme wie zuletzt Christian Schwochows erschütter­nd realistisc­her Auftakt zur NSU-Trilogie »Mitten in Deutschlan­d«, transmedia­le Experiment­e wie das Science-Fic- tion-Projekt »Alpha 0.7« und der Dokumentar­ist Daniel Harrich, dessen Werke über Waffenhänd­ler oder das Oktoberfes­t-Attentat zu den Glanzstück­en investigat­iver Fiktion zählen. Und da ist noch nicht mal die Rede von der Pionierarb­eit des SWR für den Nachwuchs, der schon seit 1985 mit einer eigenen Reihe im Dritten gefördert wird und dabei Regisseure von Andreas Dresen über Aelrun Goette bis Sönke Wortmann hervorgebr­acht hat. Auch wenn gerade das Regionalpr­ogramm wie gewohnt vor kritiklose­r Heimatduse­lei überquillt – manchmal wächst doch zusammen, was scheinbar gar nicht zueinander passt: Tradition und Moderne. Jan Freitag, Jahrgang 1970, ist Autor des »nd«.

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