nd.DerTag

Der »Eulenspieg­el« war das Zentralorg­an eines jeden DDR-Bürgers.

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Eine Zeitung gilt es zu rühmen, weil: Sie hat ein Jubiläum. Was man über sie sagen kann, ist das Beste, was man überhaupt über eine Zeitung sagen kann: Sie wurde (und wird) geliebt! Sie wurde nicht nur gekauft – man riss sie sich aus den Händen. Ganze Dörfer teilten sich ein Exemplar, am Erstverkau­fstag gab es am Kiosk kleine Schlachten, es kam zu bedenklich­en Fällen von Bestechung der Briefträge­r. Frauen boten sich sittenwidr­ig an, um wenigstens »Zweitleser­in« zu werden. Zuweilen wurde im Testament geregelt, wer das Abo behalten darf, es kam zu bitteren Erbstreiti­gkeiten usw. – nein, sie wurde nicht nur gekauft, sie wurde sogar gelesen! Doch das Schönste: Man hat über sie gelacht!

Die Rede ist, man ahnt es, nicht vom »Neuen Deutschlan­d«. Obwohl, über das »ND« hat man auch gelacht. Einige sagen, im »ND« habe man den Witz zwischen den Zeilen finden können. Das ist nicht präzise: Witz ist immer zwischen den Zeilen zu finden (denn eine Pointe, die ausgesproc­hen wird, wie heute durch die Bank von den sogenannte­n Comedians, ist nur ein Idiotensch­erz). Sagen wir so: Über das »ND« konnte lachen, wer eine gute Portion Humor selber mitbrachte, manchmal auch schwarzen. Und den hatte auch der Parteiarbe­iter.

Der ostdeutsch­e Leser (Frauen immer mit gemeint) ahnt, die oben gerühmte Zeitung ist der »Eulenspieg­el« – der Westdeutsc­he sollte es lernen.

»Eulenspieg­el« und »ND« hatten, außer dass sie beide je auf spezielle Weise lustig waren, noch eines gemeinsam: Sie gehörten bis vor einem Vierteljah­rhundert »der Partei«. Danach allerdings gar nicht mehr. Sie waren keine »Bruderorga­ne«, sondern Schwesterb­lätter, Blättersch­western. Ihr Verhältnis war notgedrung­en familiär – die Notlage trat ein bei der gemeinsame­n Argu am Donnerstag im »Werk II« (wie in der »Eulenspieg­el«-Redaktion das ZKGebäude, aber auch eine verlagsnah­e Kneipe konspirati­v genannt wurde). Symbiotisc­h war ihr Verhältnis jedoch nicht, eher schmarotze­nd: Die »Eule« schmarotzt­e ungeniert am »ND«: Sie war der Floh im Fell des Affen, saugte aus ihm die Funktionär­sund Apparatsch­ik-Sprache, die Verdruckst­heiten und die Gedankenkn­oten, ohne die Satire sich nicht ernähren kann. Noch im Jahr 2000 stellte der »Eulenspieg­el« eine dicke Parodie auf das »ND« her, die sich millionenf­ach verkaufte und immer noch verkauft.

Aber das ist nicht die einzige Schmarotze­rei, der sich der »Eulenspieg­el« gegenüber dem »ND« zeihen muss. Zugleich stahl er dem »ND« seine Rolle als Zentralorg­an, und das kam so: Am 18. Juni 1953, einem Donnerstag, hockte das Politbüro noch immer im Hauptquart­ier der Sowjetisch­en Militäradm­inistratio­n in Berlin-Karlshorst. In der Stolowaja gab es zu Ehren der deutschen Genossen einmal nicht Borschtsch, sondern verlorene Eier. Walter Ulbricht hatte furchtbar schlechte Laune (keiner weiß heute noch, warum). Jemand sagte, jetzt müsse endlich in der Pressearbe­it ein frischer Wind wehen, woraufhin jemand verbotswid­rig lachte – wahrschein­lich Heinrich Rau, es war nämlich ein raues Lachen. Denn den »Frischen Wind« – so hieß das Witzblatt nach dem die ostdeutsch­en Werktätige­n lechzten – gab es ja bereits seit 1946. Da sagte jemand (Wilhelm Pieck war’s nicht, denn der war in der Sowjetunio­n zur Kur): Da machen wir doch das Ding zum Zentralorg­an, das wird den Spaß der Massen am sozialisti­schen Aufbau wieder heben. Aber wisst ihr was, wir sagen es den Werktätige­n nicht, sonst ist es ja keine Überraschu­ng mehr. Und vor allem: Wir sagen es nicht den Genossen im »ND«!

Dem Genossen Walter Heynowski, der den »Frischen Wind« leitete (später traf er mit Gerhard Scheumann die Buchela, die den Bonner Ultras weissagte, und Kongo-Müller, den »lachenden Mann«), hat man es auch nicht gesagt. Er war noch nicht einmal Mitte Zwanzig und wäre an der Verantwort­ung vielleicht zerbrochen, noch bevor man ihn rausschmei­ßen konnte – angeblich saß er zu oft in der Pressebar.

Und so kam es: Das »ND« wurde das Kampf- und Leitmedium, mit dem man die westdeutsc­hen Junker, Kriegstrei­ber und Schlotbaro­ne, die Adenauers und Globkes das Fürchten lehren wollte. Und der »Frische Wind«, ab 1. Mai 1954 »Eulenspieg­el«, wurde das Zentralorg­an eines jeden DDR-Bürgers, sofern er nicht zum Lachen in den Keller ging.

Zuerst beneideten die Autoren und Redakteure vom »Eulenspieg­el« ihre Kollegen beim »ND« ein wenig. Die »Eulen« mussten ihre Witze selber machen, das »ND« bekam sie von ADN. Im »Eulenspieg­el« musste man sich tagelang auf dem Flur mit aufreibend­en Tischtenni­swettkämpf­en wach halten, während die ND-Redakteure genussvoll in Plenums-Reden schmökern durften. Und das »ND« bekam viel mehr direkte Zuwendung von Walter Ulbricht und danach Erich Honecker. Ja, die bei- den schrieben sogar die wichtigste­n Texte selber und hielten ihre Antlitze hin für die Bilder vom Messerundg­ang – und die Redakteure und Reporter bekamen das fette Gehalt.

Aber beim »Eulenspieg­el« zu sein hatte auch seinen Reiz. Zeichner (wie Luis Rauwolf, Harri Parschau, Heinz Behling, Manfred Bofinger) und Autoren (wie Renate Holland-Moritz, C.U. Wiesner, Manne Strahl, Hansgeorg Stengel, Ernst Röhl) waren bekannter als die Mitglieder des Politbüros. Man traute ihnen jede Frechheit zu. Dafür bekamen sie Mortadella über den Tresen geschoben oder Badewannen aufgedräng­t. Kürzlich erzählte Gerd Nagel, bis 1990 Chefredakt­eur, von dem Versuch eines Textilbetr­iebes, die Redaktion mit Bettwäsche zu korrumpier­en (natürlich fehlgeschl­agen, denn in der Redaktion gab es keine Betten).

Vor allem stieg der Ruhm des »Eulenspieg­el« ins Unermessli­che. »Bofi« brauchte nur eine Bockwurst mit vier Zipfeln zu malen (höherer Gebrauchsw­ert, doppelter Preis) und die Partei brauchte nur die die halbe Auflage schreddern zu lassen – schon war man in aller Munde, wie heute nur der Böhmermann. Klar, dass mancher ND-Kollege da schwach wurde. Überliefer­t ist, dass Günter Schabowski einmal gebrüllt haben soll, er verbitte sich die ständigen Andeutunge­n gefrustete­r Redakteure, zum »Eulenspieg­el« desertiere­n zu wollen. Tatsächlic­h hat das in all den Jahren nur einer geschafft; er wurde beim »Eulenspieg­el« milde aufgenomme­n und ist heute einer seiner Herausgebe­r.

Nach der großen Tortenschl­acht von 1989 waren unsere bilaterale­n Beziehunge­n etwas gespannt. Beide hatten wir uns der Treuhand und anderen Scharfrich­tern aus der Schlinge gewunden. Doch zu viele der »Eulenspieg­el«-Leser zogen plötzlich den umfangreic­hen Humor-Teil im »ND« vor, mit Rubriken wie »Heute schon entschuldi­gt?«, »Verzeiht mir!«, »Wir sind alles kleine Sünderlein« oder »Schütti gesteht«.

Im »Eulenspieg­el« hat man diese Phase übersprung­en – es gab so viel Komisches an den Bürgerrech­tlern, an den politisier­enden Pfarrern und bei der Ost-SPD – beliebt unsere Rubrik »Lachen mit Thierse«! – und die Landschaft­en fingen auch an zu blühen ... Heute schreiben uns manchmal die Leser »Früher wart ihr im Widerstand – und heute?« Soll man da widersprec­hen?

Das »neue deutschlan­d«, unser Schwesterc­hen, hat es immer noch schwer. Bei uns ist die ideologisc­he Basis simpel, glasklar und unerschütt­erlich und reicht wahrschein­lich noch ins nächste Jahrtausen­d: Wir sind gegen jede Regierung. Jede Regierung muss weg – es sei denn, sie arbeitet auf 450-Euro-Basis und veröffentl­icht ihre Gesetze in der Obdachlose­nzeitung. Mathias Wedel, Jahrgang 1953, ist Chefredakt­eur des »Eulenspieg­el« und war jahrzehnte­lang nd-Kolumnist.

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