Ketzerin aus dem Kloster
Elfriede Jelinek: Wortspiele des Zorns.
Sie ist eine stolz verhemmte Frau. Die durch Texte wirken will, nicht durch eigene öffentliche Präsenz. Sie hat viel fürs Theater geschrieben, aber im Theaterbetrieb blieb sie stets eine Fremde. Immer wirkt sie wie ein Mensch, den Räume bedrohen. Die FPÖ forderte 1995 in Wien: »Freiheit der Kunst statt sozialistischer Staatskünstler!« und fragte per Plakat: »Lieben Sie Jelinek, Peymann – oder Kunst und Kultur?« Einar Schleef inszenierte wuchtig-zart ihr »Sportstück«, schleuderte es genial in die Theatergeschichte: diese archetypische Abrechnung mit moderner Athletik als einer Fortsetzung imperialer Kriegführung. Und im Kino: Michael Hanekes Film »Die Klavierspielerin«, eine böse Menschenerhel- lung nach dem gleichnamigen Roman der Jelinek.
Die Autorin wurde im Oktober 1946 in der österreichischen Steiermark geboren. »wir sind lockvögel baby« hieß ihr erster Roman. Der tragödische Schmerz der weiblichen Emanzipation, die Würde der Außenseiterin und der Schlamm der gesellschaftlichen Niedertracht wurden zum Kern ihrer Prosa und Dramatik (»Lust«, »Totenauberg«, »In den Alpen«).
Jelinek schreibt mit einem beinahe hermetischen Zorn, schreibt mit wundweh zerfaserter Kraft gegen mörderische Zustände an. Dramatik gegen das Wortpatronenhülsen-Lager des politischen, medialen Vokabulars. Sie nennt sich eine »Spaziergängerin in der Sprache«. Spaziergang mit Ten- denz zum Amok. Das Wort bietet eine Bedeutung an, springt in Analogien, es hetzt durch überbordende Metaphorik, es knutscht jeden sich anbietenden Kalauer, es reißt Assoziationen auf wie Krater ein Stück Erde; das Wort kann sich nicht halten, es will nicht an sich halten, es ist die Kehrseite des Schweigens, es will dies Schweigen nur immer herausschreien. Im Grunde gesteht diese Autorin mit jedem Text ihre tiefgreifende Angst vor dem Monströsen der Moderne. Vor diesen ideologischen Verblendungen, den revolutionären Opfermythen, den wahnpolitischen Ergebenheiten. Dieses tragische Gegenüber von Mensch und kollektiven Normen. Es gibt keine Brücke vom Ich zum Wir. Auf beiden Seiten schlagen zwar Herzen. Aber nur immer zurück. Krankheit, Bosheit, Mehrheit. Die Einsamkeit als unsere Wesenheit.
»Stecken, Stab und Stangl« – Jelinek entstammt einer slawisch-jüdischen Familie – nahm den Mord an vier Roma im Burgenland zum Anlass einer klirrend-grotesken Abrechnung mit medial inszenierter Volksverhetzung. Oder der Fließtext »Bambiland«, entstanden unter dem Eindruck des Irakkrieges: ein Wutwurf gegen die Feigheit des öffentlichen Geistes und die Barbarei der Gewöhnung (»sie können Häuser in Brand stecken, aber bitte nicht unseren Fernseher!«). »Das schweigende Mädchen« erhebt den Prozess gegen Beate Zschäpe zum bohrenden, drückenden, beißend sarkastischen Konzert des Ekels vor deutschblassem Kameradschaftsgeist und -geistern.
Jelineks Werk, so Heiner Müller, komme aus dem Jahrtausend der befreiten Frau, das noch nicht anbrach. Dass diese Schriftstellerin den Nobelpreis für Literatur bekam, war eine grandiose Rache an Österreich. Ihre Texte sind wie dämonische Häuser, mit Messern tapeziert – wehe dem, der sich anlehnen will. Das Verhältnis zur Sprache wird von der musikalischen Ausbildung bestimmt; Jelinek hat Geige gelernt, nicht das brave Leben. Die einstige Klosterschülerin bestätigt, dass die wichtigste Arbeit der Religion darin besteht, Ketzer auszubilden. Hans-Dieter Schütt, Jahrgang 1948, leitete viele Jahre das Feuilleton des »nd«.