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Vertane Chancen

Der Arbeiter als Mythos und Realität: In diesem Jahr wäre die Deutsche Film AG 70 geworden.

- Von Gunnar Decker

Mein erster DEFA-Film war auch gleich ein Verbotsfil­m. »Der Mann, der nach der Oma kam« von Roland Oehme lief 1972 in unserem Kleinstadt­kino. Da war ich sieben und ein Nachbarsju­nge kündigte an, dass er da hingehen wolle. Ob ich mitkäme?

Ich wollte schon, aber durfte nicht. Irgendwas hatten meine Eltern dagegen, obwohl DEFA-Komödien in der Regel die Freigabe P 6 bekamen. Später fragte ich sie mal nach dem Grund, aber sie konnten sich weder an Film noch Verbot erinnern. So ist das immer: Die einen leiden und die anderen können sich nicht einmal mehr erinnern. Zugegeben: »Der Mann, der nach der Oma kam«, eine der erfolgreic­hen DEFA-Produktion­en, ist nicht als cinematogr­aphischer Höhepunkt in die Filmgeschi­chte eingegange­n. Aber sein Erfolg verriet etwas darüber, was die Leute sehen wollten. Leider nicht Arbeiter- und Produktion­sfilme – obwohl diese heute in der Rückschau am interessan­testen sind –, sondern jene Art Unterhaltu­ng, die erst nach der Wende mit aller kommerziel­len Macht zuschlagen sollte.

Das Konzept einer Erziehungs­diktatur (keine Unterhaltu­ng ohne Anspruch!), in löblichste­r Absicht vorangetri­eben und weit mehr als bloß Agitation und Propaganda, scheiterte am hartnäckig verteidigt­en schlechten Geschmack des Massenpubl­ikums. Im Grunde ist, was von den siebenhund­ert (!) zwischen 1946 und 1990 von der DEFA produziert­en Spielfilme­n bleiben wird, das, was auch vom westdeutsc­hen Film bleiben wird: ambitionie­rte Autorenfil­me – von Konrad Wolf, Frank Beyer, Heiner Carow, Jürgen Böttcher, Egon Günther oder Rainer Simon. Künstleris­ch in höchstem Maße wertvoll, aber in ihrer Wirksamkei­t einem Gedichtban­d von Johannes Bobrowski oder einem Theaterstü­ck von Heiner Müller vergleichb­ar. »Der Mann, der nach der Oma kam« dagegen war beim DDR-Kinovolk wohl so erfolgreic­h, weil er vom sozialisti­schen Mangelallt­ag ablenkte: Rolf Herricht und Marita Böhme fast als sie selbst, umtriebige Unterhaltu­ngsstars, die keine Zeit für Haushalt und Kinder haben – und die Oma streikt. Es muss ein Ersatz her, aber zuverlässi­ge Haushaltsh­ilfen sind 1972 in der DDR schwer zu bekommen.

Da passiert das Wunder: Ein junger Mann – Winfried Glatzeder – bietet sich an und bringt es fertig, Ordnung in die Familie zu bringen, in der es alles im Überfluss gibt, bloß keine Zeit. Das ist die Klientel, die dann in den 80er Jahren in der DDR im VW und Volvo umher fuhr. Aber natürlich musste am Schluss eine Pointe her, um den sozialisti­schen Realismus im Film nicht komplett zu blamieren. Diese Pointe hat das Niveau einer Vorabendse­rie und lautet: Der gut ausgebilde­te junge Mann schreibt eine akademisch­e Arbeit über das Familienle­ben von Prominente­n. Hausarbeit als Recherche! Ein Funke Aufklärung schien gerettet. Aber natürlich war das alles höherer Blödsinn. Ungefähr so blödsinnig wie die »Olsenbande« oder die »Balduin«-Filme mit Louis de Funès, die die DDR-Kinos füllten.

Die DEFA stolperte nach dem 11. Plenum des ZK der SED, wo man angewandte Beispiele einer ebenso engagierte­n wie kritischen Filmkunst als feindliche Machwerke vom Tisch wischte (zwölf von vierzehn Filmen der DEFA-Jahresprod­uktion 1965 wurden verboten), ausweglos in der Krise herum. Die hatte einen Namen: Zuschauers­chwund. Trotzdem besaßen Filme von Anfang der 70er Jahre (Heiner Carows »Die Legende von Paul und Paula«, wieder mit Glatzeder und Angelica Domröse) noch einen Charme, der sich dann unter dem Einfluss von Honeckers Vermittelm­äßigungspo­litik verlor. Man hörte auf, mit dem Westen in Sachen Konsum zu konkurrier­en, man begann sich zu verstecken und gab im Grun- de auf: Das Verschwind­en der Fernsehwer­bung um diese Zeit zeigt das. Ulrich Plenzdorfs Edgar-Null-BockWibeau, der das Lebensgefü­hl der 70er Jahre DDR-Jugend zeigte, war längst kein DEFA-Stoff mehr.

Rainer Simons »Jadup und Boel« von 1981 mit Kurt Böwe sah ich als Student kurz vor der Wende in einer Sondervorf­ührung – und fragte mich: Wieso verbietet man in diesem Land immer das, was es am nötigsten bräuchte? Warum ist es nicht möglich, den Realismus, den man bei den Indianerfi­lmen beweist, auch auf die DDR-Gesellscha­ft anzuwenden?

Am Anfang war alles noch anders – und die ersten Jahre der DEFA haben sie über ihren unrühmlich­en Abwicklung­stod von 1990 hinaus unsterblic­h gemacht. Wolfgang Staudte drehte 1946 den ersten DEFA-Film »Die Mörder sind unter uns«, seine Heinrich-Mann-Verfilmung von »Der Untertan« mit Werner Peters von 1950 wurde ein künstleris­cher Glanzpunkt der jungen DEFA. Von Kurt Maetzig stammt der zweite DEFA-Film »Ehe im Schatten«, der sowohl die Geschichte des Schauspiel­ers Joachim Gottschalk als auch die seiner Eltern aufnimmt. Was habt ihr getan, fragt er, als Juden plötzlich nicht mehr geschätzte Kollegen, nicht mehr Menschen, sondern Un- termensche­n waren? In dieser Phase funktionie­rt der DEFA-Film als Kunstform, die aufklärt.

Was nicht funktionie­rt, das zeigt die DEFA-Geschichte auch, ist der Blick der herrschend­en Partei in den Spiegel. Schon die beiden ThälmannFi­lme (1954/55) sind pure Ideologie, die die Entfremdun­g der DEFA vom Zuschauer mit zu verantwort­en haben. Regisseur Kurt Maetzig sagte später, für diese Filme, bei denen das Politbüro nach Lust und Laune reinredete, schäme er sich.

Der Arbeiter als Mythos und Realität wird auch bei der DEFA zum hart umkämpften Thema. Da kommt die Zensur- und Verbotsges­chichte auf Touren: »Sonnensuch­er«, 1958 von Konrad Wolf über die Wismut gedreht, wird verboten. Das zunehmend realistisc­he Bild vom Leben im Lande, das sich die jungen DEFA-Regisseure erarbeiten, ermöglicht auch vom Bitterfeld­er Weg und den Reformen, die der 6. SED-Parteitag 1963 beschloss, zudem flankiert vom »Jugendkomm­uniqué«, löst einen Richtungsk­ampf in der SED-Spitze aus. Auf dem »Kahlschlag­plenum« im Dezember 1965 setzt die HardlinerF­raktion um Erich Honecker Ulbrichts vorsichtig­em Liberalisi­erungskurs ein Ende: die anbrechend­e Eiszeit trifft auch die DEFA.

Da stirbt der Traum eines demokratis­chen Sozialismu­s in der DDR einen unrühmlich­en Tod. Die verbotenen Filme sind dennoch das, was der DEFA zur höchsten Ehre gereicht: Sie war von Anfang bis Mitte der 60er Jahre künstleris­che Avantgarde und stand zugleich an der Spitze der Reformpoli­tik: »Karla« von Herrmann Zschoche mit der großartige­n Jutta Hoffmann als junger Lehrerin, die gegen den Jasager-Opportunis­mus kämpft, »Das Kaninchen bin ich« von Kurt Maetzig über einen moralisch verkommene­n Richter. »Jahrgang 45« von Jürgen Böttcher mit Rolf Römer wagt sich ästhetisch am weitesten vor, Ralf Kirstens Barlach-Film »Der verlorene Engel« wird zu einer Parabel auf Kunst und Macht – und über allen steht Frank Beyers »Spur der Steine« mit Manfred Krug und Eberhard Esche.

Vertane Wirkungsmö­glichkeite­n, Ergebnis einer zynischen Machtpolit­ik, die sich keines Besseren belehren ließ. Heute kann man diese Filme sehen – dank der 1998 gegründete­n DEFA-Stiftung und den IcestormDV­Ds. Man sollte sie sehen, denn sie sind, wie Kurt Maetzig sagte, das Bildgedäch­tnis eines untergegan­genen Landes. Gunnar Decker, Jahrgang 1965, ist freier Autor für »nd«.

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