Angriff auf alle Sinne
Von Uschi Obermaier können Joachim Gauck und die FDP in Sachen Freiheit so allerhand lernen.
Da ich selbst nicht musikalisch war, wollte ich das Nächstliegende, und das schien mir der Sex mit den Musikern.« Es gibt einige Aussagen Uschi Obermaiers, die man sich nur schwerlich im »Neuen Deutschland« der sechziger Jahre vorstellen kann. Bis heute wurde dieser erstaunlichen Frau kaum ein vollständiger Satz gewidmet. Umso mehr lohnt sich dies gerade in Zeiten, in denen die FDP und Joachim Gauck gemeinhin als Freiheitsexperten gelten.
»Freiheit ist ein so großes Thema für mich, und der bedingungslose Anspruch darauf zieht sich wie ein roter Faden durch mein Leben«, schreibt Obermaier. Zwar erklärte sie ihren dringenden Wunsch, »in die Welt zu treten«, in ihrer Biografie damit, dass sie als Kind wegen eines Hüftschadens lange Zeit in einer Schiene liegen musste. Und dass sie eine tolle Frau werden wollte, sei auf den heißgeliebten Vater zurückzuführen, der auf tolle Frauen stand und wegen ihnen die Familie verließ. Dennoch war es »der kleinen Uschi aus Bayern« nicht gerade in die Wiege gelegt, dass sie eines der ersten internationalen Topmodels werden sollte und so etwas wie die First Lady der Kommune 1 und der Rolling Stones, mit denen sie auf Tour ging.
Zu den westdeutschen Staatsfeinden der K1 geriet sie denn auch weniger wegen der Politik, die sie »bis dahin null interessiert« und die sie als freudlose Männerwelt wahrgenommen hatte. Was sie reizvoll fand, war, dass ihr Freund Rainer Langhans und seine Genossen aussahen wie eine Rockband und zusammenlebten in einer Art Familie, die sie sich selbst ausgesucht hatten. Ihr gefiel auch das Spielerische an den Aktionen der Kommune, die Drogen und die Happenings. Dage- gen waren deren endlose Sitzungen für sie langweilige »Hirnwäscheveranstaltungen«, bei denen sie regelmäßig einschlief. Dass in den einschlägigen Medien von Sexorgien in der K1 die Rede war, nennt Obermaier »eines von den großen Missverständnissen«. Ganz im Gegenteil empfand sie die männlichen Mitglieder der Kommune als »fast liebesunfähig und total verklemmt« und nannte sie »eine Selbsthilfegruppe von kopflastigen Typen«.
Dass Langhans alles »zu Tode analysierte«, tat der Liebe schließlich ebenso Abbruch wie die Neigung einiger Kommunarden, die gewonnenen Freiheiten freiwillig gegen neue Zwänge einzutauschen – indem sie in Sekten eintraten oder sich Selbstkasteiungstrips auferlegten. »Ich wollte alles durchmachen und im Jetzt und Hier leben, ohne auf die äußerlich schönen Sachen zu verzichten.« Deshalb fand sie auch die Haschrebellen noch lustiger als die K1; und in der Wohngemeinschaft, die sie selbst mitgestaltete, der »Highfishkommune«, drehte sich alles um Pop, Drogen, Kunst und Porno.
Den Mann ihres Lebens – Dieter Bockhorn, das personifizierte Nachtleben vom Hamburger Kiez – erkannte sie nach einem Blick in dessen Wohnung: eine »Mischung aus Kinderspielzimmer und Horrorkabinett. Zwischen Büsten, Musikboxen, Schädeln, Tierfellen standen wunderschöne Antiquitäten und Marihuanapflanzen – die Verbindung war ein perfekter Angriff auf alle Sinne.« Für diese Liebe nahm sie in Kauf, dass sie ständig um ihre Freiräume kämpfen musste: gegen Bockhorn selbst wie auch gegen seine Äffin Cheetah.
Das Geld, das sie als erfolgreiches Model verdiente, bringt sie schließlich auf jahrelangen Reisen mit Bockhorn nach Asien und Nordamerika in einem glamourösen Wohnmobil durch. Die Rückkehr ist ernüchternd; der Freundeskreis hat sich nach jahrelangem Drogenkonsum dezimiert. Obermaiers Aufträge werden mit zunehmendem Alter rarer. »Der Spaß hatte aufgehört, und es war Zahltag.« Das Paar setzt sich schließlich dauerhaft nach Kalifornien bzw. Baja California (Mexiko) ab. Die Beziehung ist wegen seiner Drogen- und Alkoholsucht nicht unproblematisch. Als Bockhorn bei einem Motorradunfall ums Leben kommt, ist sie dennoch am Boden zerstört und braucht lange, um ein neues Leben anzufangen – als Schmuckdesignerin und Silberschmiedin. Inzwischen hat Obermaier die US-amerikanische Staatsbürgerschaft angenommen und lebt in der Nähe von Los Angeles. Am 24. September wird sie 70 Jahre alt. Regina Stötzel, Jahrgang 1969, ist Mitglied der Chefredaktion von »nd«.