Auch Sony fing mal bescheiden an: im Jahr 1946. Als Wegbegleiter der DDR-Bürger war die Firma von Anfang an erfolgreich.
Den unweigerlich letzten Versuch der DDR, in der Unterhaltungselektronik Weltniveau zu erreichen, hat mir Jörg Mantzsch im Leipziger Handelshof präsentiert. Es war während der Herbstmesse 1989, und das volkseigene Kombinat Rundfunk und Fernsehen (RFT) wartete mit einer Neuheit auf, die Standbetreuer Mantzsch zufolge über ein »dem internationalen Trend entsprechendes Design« verfügte.
Dieser (tatsächlich) letzte Schrei, dieser, wie wir heute wissen: Schwanengesang, war der Stereo-Kassettenrekorder SKR 1000, den es auch als Variante SKR 1100 und SKR 1200 gab. Er hatte abnehmbare Boxen, in seiner höchsten Ausstattung (SKR 1000) einen 5-Kanal-Grafik-Equalizer, moderne SMD-Bauelemente und vier Lautsprecher. Davon war noch eine Billigvariante entwickelt worden, welche keine vier, sondern nur zwei Lautsprecher hatte und mit 1700 DDRMark für die Jugend entwickelt worden war. Mantzsch war sich sicher: An diesen Geräten könne man sehen, »uns von RFT ist ein ziemlicher Schub nach vorn gelungen«. Hier sei erreicht worden, was zuvor schon »bei unseren Farbfernsehern der 4. Generation gelungen war«. In Qualität und Lebensdauer würden internationale Standards erfüllt.
Mantzsch sagte das laut und selbstbewusst. Alle Nachbarn konnten es hören, die da im Handelshof links und rechts von RFT ihre Schätze ausgebreitet hatten: Philips, Grundig, Sharp, Mitsubishi und natürlich auch der japanische Elektronikkonzern Sony. Zur eher vertraulichen Information des Standbetreuers gehörte dies: Im DDR-Handel werde es demnächst CD-Player geben, wenn auch vorerst noch aus ausländischer Produktion.
Weder Mantzsch noch ich konnten ahnen, auf welche Weise sich diese Aussage binnen kurzem erfüllen würde. Und man stelle sich unsere Gesichter vor, wenn ein Zeitreisender aus der Zukunft uns folgende Internet-Annonce (Internet, was soll denn das sein?) aus dem Jahr 2016 vorgelesen hätte: »Hallo Leute, ich glaube hier bin ich nun endlich richtig. Ich suche die Anlage, die in den DDR-Zeiten für sage und schreibe 15 000 Mark verkauft worden ist. Wer weiß den Typ? Ich glaube sie war von AKAI, ist aber nicht sicher. Sie bestand aus Phono, Kasettenteil, Amp, Tuner und 2 Boxen. Alles im klassisch silbernen Stil ... Es wäre prima, wenn jemand nähere Angaben machen kann. Google hat nämlich überhaupt keine Ahnung, was ich will, immer wenn ich DDR schreibe, will mir einer Arbeitsspeicher verkaufen …«
Vor drei Jahren veröffentlichte das Weltunternehmen Sony Music gemeinsam mit dem aus DDR-Zeiten bekannten Label Amiga eine DVD zu den X. Weltfestspielen der Jugend und Studenten in Berlin 1973. Unter dem Titel »Die junge Welt ist in Berlin zu Gast« ließen die beiden Unternehmen auf diese Weise die bewegten Tage wiederaufleben. Zur Stimmung damals trugen die Programme auf 95 Bühnen im Ostberliner Stadtgebiet bei. 25 000 Gäste aus 140 Staaten waren in die DDR gekommen. Auf dieser Doppel-DVD wird insbesondere der Beitrag der Jugendsendung »Rund« zu Gehör gebracht, die wesentlich zur weltoffenen Atmosphäre dieses sozialistischen Ostberliner Sommermärchens beitrug.
Ja, auch der Sony-Konzern war bei der Erinnerung daran mit von der Partie und half so bei der »Ostalgie«, wie böse Zungen behaupten würden. Sind da ältere Ambitionen einzukalkulieren? Haben Sony und die SED vielleicht historische Berührungspunkte? Sony war zu DDR-Zeiten eine Weltmarke; sie hatte 1946, also zeitgleich mit der führenden DDRStaatspartei SED, das Licht der Welt erblickt. In der Tat, der Konzern Sony aus dem »nichtsozialistischen Wirtschaftsgebiet (NSW)« kam in der DDR begrenzt zum Zuge, weil Japan seinerzeit ein pazifistischer Staat war, was der SED außenpolitisch ins Kalkül passte.
Sony war Mitte der 70er Jahre Sinnbild für moderne, schicke Heimelektronik. Dort wurde der Walkman erfunden und damit enorm viel Geld verdient. Und der übers Westfernsehen in die DDR eindringende Satz »It’s not a trick – it’s a Sony«, das war nicht bloß eine Werbebotschaft, das war eine Art Zauberspruch.
Zu den Glücklichen, die ein SonyGerät in der DDR erwerben konnten, gehörte ich freilich nicht. Und doch muss das zeitweilig und punktuell möglich gewesen sein, zumindest so lange, bis die heimische RFT-Produktion halbwegs mit den westlichen Vorgaben mithalten konnte. Sony in dieser Billigform wurde heilig gehalten und in Ehren sowieso. Erst recht galt dies für die teuren Sony-Systeme im DDR-Handel. Der mit seiner Anzeige zitierte Internetnutzer hat es auf ein äußerst teures, aber auch wirklich hochwertiges Gerät abgesehen. Plattenspieler und Lautsprecherboxen würden auch heute keine allzu schlechte Figur machen. Den Receiver hätte man damals im Westen mit ca. 600 US-Dollar bezahlen müssen.
1974 erwarb ich von meinem Jugendweihegeld ein Radio »Stern Elite 2000«, ein großes Kofferradio mit Holzgehäuse, das eine Art Spitzenprodukt der heimischen Elektroindustrie war. Es steckte voller Transistoren, die hatten damals einen Klang wie heute vielleicht »Festplatte«. Hätte ich noch 200 DDR-Mark mehr gespart, dann hätte es für einen Radiorekorder gereicht, also für ein Gerät, das Radiofunktion und das Kassettenteil kombinierte. Das übersprang ich aber, weil es dann doch gleich ein richtiges Tonband sein sollte, ein vierspuriges mit dem Namen ZK 140. Dem Vernehmen nach aus polnischer Gestattungsproduktion, nicht eine Sony-Lizenz, sondern eine von Grundig. Ich habe mich prächtig amüsiert. Die Welt war für eine Weile in Ordnung.
Nicht nur die DDR, auch Sony fing mal bescheiden an als eine Art Garagenfirma, wie man heute sagen würde. Der Erfolg war ihr nicht an der Wiege gesungen worden, Sony wurde am 7. Mai 1946 von Akio Morita und Masaru Ibuka als Kommunikationsindustrieunternehmen im damals fast vollständig zerstörten Tokio gegründet. Ein oft vernommener Gründungsmythos lautet, Sonys erstes Produkt sei ein automatischer Reiskocher gewesen. Tatsächlich hatte eine Vorgängerfirma an einem Reiskocher gearbeitet; es gelang aber nicht, einen funktionstüchtigen Prototypen zu entwickeln, so dass die Arbeiten eingestellt wurden. Während in der DDR in diesen Jahren an elektrischen Kochplatten gebastelt wurde, die dann irgendwann auch funktionierten.
Der Schwerpunkt von Sony lag von Anfang an im Entwickeln und Herstellen von Produkten der Unterhaltungselektronik. Der Durchbruch gelang mit dem Erwerb einer Lizenz zur Herstellung von Transistoren von den US-amerikanischen Bell Laboratories. Das Unternehmen brachte daraufhin sein erstes Transistorradio auf den Markt.
Die DDR, man glaubt es kaum, sah lange Zeit gar nicht so rückständig aus, sie brachte immerhin nicht nur mein »Stern Elite 2000« als Transistor-Kofferradio zustande, sondern den weltweit ersten VolltransistorFernsehapparat. Eine Billigvariante war das nicht. Er diente, wie mein Radio, als eine Möglichkeit, bei den Leuten Geld »abzuschöpfen«, wie der damals gängige Begriff hieß. Er bedarf heute schon der Erklärung, nämlich, dass die aufwendigen Grundbedürfnisse unter der Führung der SED so billig befriedigt wurden, dass die Leute Geld anhäuften, das sie auch irgendwie wieder los werden sollten. Der SKK 1200, den mir Jörg Mantzsch im DDR-Spätherbst anpries, war im Vergleich zum SKR 1000 vielleicht billig – aber ob das die Menschen damals so empfunden haben, die heute »Zielgruppe« heißen? Einen Walkman aus eigener Produktion brachte die heimische Elektronikindustrie schließlich auch in den Handel – was seinen Preis betraf, fiel er ebenfalls unter das Kapitel »Abschöpfen«.
Doch war der Systemkampf auf dem Feld der Elektronik ein ungleicher, und er wurde es immer mehr, als die Transistoren von Mikrochips (oder integrierten Schaltkreisen) abgelöst wurden. Der technologische Abstand war bald schon so groß, dass es bei den internen SED-Informationen für die eigenen Genossen Ende der 80er Jahre nur noch hieß, es sei schon viel gewonnen, wenn der Rückstand zum Westen nicht noch größer wür- de. Die via Sowjetrakete ins Weltall geschossene Multispektralkamera von Carl Zeiss Jena war für sich bestimmt eine wissenschaftliche Meisterleistung, aber es wurde von ihr in den DDR-Medien ein solches Aufhebens gemacht, dass die Leute nur noch von »Multispektakelkamera« sprachen.
Der Werbezirkus war das bekannte Pfeifen im Walde. Der von Erich Honecker präsentierte Mega-Chip markierte das Problem eher, als dass er es löste. Was unter großen Mühen im Staat der SED selbst produziert wurde, das strich der Westen einfach von der Embargoliste. So einfach hatte es die andere Seite. Die Welt war zu dieser Zeit nicht mehr in Ordnung. Und geriet wenig später in eine neue Ordnung, die vielleicht auch wieder nur eine neue Unordnung ist.
Sony ist geblieben, die SED hat gewissermaßen ihre Boxen abgelegt und sich umbenannt. Der Partei ist ihr Staat DDR abhanden gekommen. Aber als Insider-Begriff feiern die magischen drei Buchstaben »DDR« fröhlich Urständ und sind im Computerzeitalter sozusagen auferstanden. Die zitierte Annonce gibt Auskunft: DDR – das markiert heutzutage einen bestimmten Typ von Speicherbausteinen.
Allerdings – alles fließt. Auf seine besten Tage scheint auch der Konzern Sony inzwischen bereits zurückzublicken. Inzwischen hat er wesentliche Eigenschaften seines SEDPendants übernommen: Die Schwerfälligkeit, den gewaltigen Wasserkopf, das Ausruhen auf einstigem Lorbeer, das Kopieren und Nachmachen von Innovationen. Sony gilt als Dinosaurier, aber wird noch gegrüßt.
Die Kassettenrekorder, die Tonbänder, die Transistoren, die wenigen importierten Elektronik-Konsumgüter – all das ist auf dem großen Elektro-Schrotthaufen der Geschichte gelandet. Nur für dieses einst superteure Kofferradio, das ich mir von meinem Jugendweihegeld gekauft hatte, gilt das nicht. Der »Stern Elite 2000« steht heute in meiner Datsche. Und spielt und spielt und spielt.
Die DDR, man glaubt es kaum, sah lange Zeit gar nicht so rückständig aus, sie brachte immerhin nicht nur mein »Stern Elite 2000« als Transistor-Kofferradio zustande, sondern den weltweit ersten VolltransistorFernsehapparat. Eine Billigvariante war das nicht.
Matthias Krauß, Jahrgang 1960, ist freier Autor für »nd«.