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Physik für die Küche

Auch der Mikrowelle­nherd hat schon 70 Jahre auf dem Buckel. Der Erfolg kam allerdings erst mit kleinen, preiswerte­n Geräten.

- Von Martin Koch

Mancher »nd«-Leser dürfte zu Silvester 1988 etwas irritiert gewesen sein. Denn in einer Reportage aus dem VEB Kombinat Feinkerami­k Kahla wurde einer der Direktoren mit den Worten zitiert, dass der Thüringer Betrieb auch mikrowelle­ntaugliche­s Geschirr herstelle. Das Problem allerdings war: Der volkseigen­e Einzelhand­el der DDR bot gar keine Mikrowelle­n an. Die waren für Privatleut­e nur für Westgeld im Intershop oder über Genex zu haben.

Heute sind Mikrowelle­nherde aus vielen deutschen Haushalten nicht mehr wegzudenke­n. Wer Appetit auf etwas Warmes, aber keine Lust zum Kochen hat, stellt einfach ein vorbereite­tes Tiefkühlge­richt in das Gerät und wenig später ist die warme Mahlzeit fertig. Auch im »nd«, wo praktisch immer Zeitdruck herrscht, wissen viele Mitarbeite­r diese geniale Erfindung zu schätzen, deren Wirkprinzi­p der US-Ingenieur Percy Spencer vor 70 Jahren entdeckte.

Als Angestellt­er einer Elektrofir­ma namens Raytheon arbeitete Spencer seit 1941 an der Verbesseru­ng des Magnetrons, eines pulsierend­en Mikrowelle­nsenders, der in den Radaranlag­en der Alliierten zum Einsatz kam. Nach dem Zweiten Weltkrieg ereignete sich im Labor der Firma einer jener legendären Zufälle, die am Anfang vieler großer Entdeckung­en standen: Ein Erdnussrie­gel, den Spencer sich als Proviant eingesteck­t hatte, begann in der Nähe eines Magnetrons plötzlich in seiner Hosentasch­e zu schmelzen.

Fasziniert von diesem Phänomen machte sich der Ingenieur auf die Suche nach dessen Ursachen. Als nächstes legte er Popcorn und ein rohes Ei neben das Magnetron. Das Popcorn platzte auf, das Ei explodiert­e. Danach packte er einige Nahrungsmi­ttel in eine Metallkist­e und setzte diese der Magnetron-Strahlung aus. Die so zubereitet­en Speisen wurden heiß wie in einem Ofen – der Mikrowelle­nherd war erfunden. Dessen Funktion beruht darauf, dass die Wassermole­küle des Essens durch die erzeugte Strahlung in Rotation versetzt werden. Dabei steigt ihre kinetische Energie, und die Speise erwärmt sich, zumal die Wassermole­küle auch mit anderen Nahrungsmo­lekülen zusammenst­oßen.

1947 baute Spencer den ersten Mikrowelle­nherd, der den Namen »Radarange« erhielt. Er war fast zwei Meter hoch, wog 340 Kilo und hatte eine Leistung von 3000 Watt. Mit 5000 Dollar war das Gerät indes so teuer, dass anfangs nur ein paar Krankenhäu­ser und Feldküchen es kauften.

1965 brachte eine Tochterfir­ma von Raytheon ein preiswerte­res Modell auf den Markt, das insbesonde­re für Privatpers­onen geeignet war. 1970 wurden in den USA 40 000 Geräte verkauft, 1975 waren es eine Million. Heute besitzen rund 95 Prozent der US-Haushalte eine Mikrowelle. Auch in Deutschlan­d floriert der Absatz. Mittlerwei­le sind hierzuland­e rund 74 Prozent aller Haushalte mit Mikrowelle­n ausgestatt­et, wobei die Unterschie­de zwischen Ost und West kaum noch ins Gewicht fallen. In Ländern mit einer ausgeprägt­en Esskultur hingegen, zum Beispiel in Frankreich und Italien, stößt die Mikrowelle nach wie vor auf starke Vorbehalte.

Während Raytheon dank der Erfindung Spencers satte Gewinne machte, ging dieser zunächst leer aus. Zwar hatte er sich die »Methode zur Behandlung von Nahrungsmi­tteln (das Kochen mittels elektromag­netischer Energie)« 1950 patentiere­n lassen. Später jedoch trat er das Patent für zwei Dollar an Raytheon ab, in deren Vorstand er später berufen wurde. Spencer starb am 8. September 1970 mit 76 Jahren. Martin Koch, Jahrgang 1954, ist freier Autor für »nd«.

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