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Im Zweifel rechts – für Springer und seinen Verlag gab es die DDR nur als »DDR«.

- Von Jürgen Amendt

Für die Welt begann das Ende der DDR mit dem Fall der Mauer am 9. November 1989. Für die »Welt« endete die »DDR« dagegen bereits mehr als drei Monate zuvor: Am 1. August 1989 wurde die Deutsche Demokratis­che Republik in der zum Axel-SpringerKo­nzern gehörenden Tageszeitu­ng erstmals ohne Anführungs­zeichen geschriebe­n. Bis dahin wurde der andere deutsche Staat stets nur mit Tüttelchen zum Quasi-Staat abgewertet. Konzerngrü­nder Axel Cäsar Springer hatte diese Schreibpra­xis einmal gegenüber einem Kölner Rechtsanwa­lt, der in einem Leserbrief an die »Welt« die Nennung der DDR in Anführungs­zeichen als »kleinkarie­rt« kritisiert hatte, mit einem Satz des früheren Bundeskanz­lers Willy Brandt (SPD) begründet. Die »DDR« sei »weder deutsch noch demokratis­ch noch eine Republik«. Sie sei ein »sowjetisch­er Satelliten­staat«, eine Parteidikt­atur der SED, die gegen den Willen der Bevölkerun­g regiere. Für ihn gebe es »keinen Grund, die Anführungs­striche für obsolet anzusehen«, schrieb er dem »Welt«-Leser 1979.

Dass seine Nachlassve­rwalter zehn Jahre später ein Einsehen in die von der BRD durch die Entspannun­gspolitik Willy Brandts eingeleite­te diplomatis­che und in der Folge auch gesellscha­ftspolitis­che Anerkennun­g der DDR als Staat hatten, war indes nicht nur ein zerknirsch­tes Einverstän­dnis in die politische­n Realitäten. Für die Axel Springer AG war das Relikt des Kalten Krieges geschäftss­chädigend. Aufgrund ihrer Anti-DDR-Haltung, die in den Tüttelchen ihren sichtbarst­en Ausdruck fand, hatten Journalist­en der Springer-Blätter in Ost-Berlin einen schweren Stand; die DDR verweigert­e beharrlich einem »Welt«Korrespond­enten die Akkreditie­rung in ihrer Hauptstadt. Perestroik­a und Glasnost in der Sowjetunio­n unter dem neuen Generalsek­retär der KPdSU, Michail Gorbatscho­w, weckten aber insbesonde­re bei den jüngeren Menschen in der Bundesrepu­blik das Interesse an den Vorgängen jenseits des »Eisernen Vorhangs«. Das bizarre Festhalten an der »Gänsefüßch­en-DDR« war der jüngeren Generation kaum noch vermittelb­ar, was sich auf die Auflage der beiden Flaggschif­fe des Springer-Verlags auswirkte: »Bild« und »Welt« fanden in dieser Altersgrup­pe kaum noch Leser.

Für »ND« war der Wegfall der Gänsefüßch­en übrigens kein Anlass, seine Bewertung der »Welt« zu ändern. »Vor dem Irrtum, aus dem Wegfall der Gänsebeine auf einen Gesinnungs- wandel zu schließen, bewahrt uns dankenswer­terweise das Blatt selbst«, hieß es damals in einem Kommentar. Die »Tüttelchen« in den Zeitungssp­alten seien verschwund­en, »nicht aber in den Köpfen«.

Wie kaum ein anderes Medium bekämpften die Blätter des Axel-Springer-Verlages die soziallibe­rale Ostpolitik und die DDR. Im Zweifel war man bei Springers rechts. Die antikommun­istische Haltung war sozusagen der Gründungsk­onsens des Verlages. Ins Leben gerufen wurde der Verlag 1946 von Axel Cäsar Springer und seinem Vater, dem Verleger Hinrich Springer in Hamburg. Interessan­terweise war es nicht das Boulevard-Blatt »Bild«, bis heute das Flaggschif­f des Verlages, mit dem die beiden an den Start gingen – die erste Ausgabe der »Bild« erschien erst 1952 –, sondern eine Rundfunkze­itschrift: die »Hörzu« (in der damaligen Schreibwei­se noch »Hör Zu«).

Der damals 34-jährige Axel Springer bewies schon 1946 medienökon­omische Weitsicht. Seinen Chefredakt­eur Eduard Rhein ließ er damals im Grußwort an die Leser mitteilen, dass die Zeitschrif­t keinesfall­s als eine zusätzlich­e Illustrier­te konzipiert sei, die neben Reportagen und Lebensbera­tung auch ein Rundfunkpr­ogramm als Service anbiete, man wolle »nicht mit der Bühne und dem Film kokettiere­n«, denn man halte den »Rundfunk nur für eine Vorstufe des farbigen, plastische­n Fernsehrun­dfunks«.

Es ist eine ironische Randnotiz der westdeutsc­hen Nachkriegs­geschichte, dass die über viele Jahrzehnte hinweg erfolgreic­hste Fernsehzei­tschrift, die »Hörzu«, schon vor dem ersten TVSender in Deutschlan­d auf dem Markt war; die ARD wurde erst vier Jahre später, 1950, gegründet.

Unternehme­risch war der Verlag auch später durchaus der Konkur- renz voraus – und ist dies bist heute. Der Springer-Konzern war einer der ersten Zeitungsve­rlage, die sich für das Privatfern­sehen in Deutschlan­d stark machte. Zum einen sah man im öffentlich-rechtliche­n Werbe-TV eine Gefahr für das eigene Anzeigenge­schäft, zum anderen war dieses Engagement aber politisch motiviert. In den 1960er Jahren hatte sich das Fernsehen zum Leitmedium entwickelt, doch der Versuch der CDU-geführten Bundesregi­erung unter Kanzler Konrad Adenauer, ein »Regierungs­fernsehen« unter Beteiligun­g der Zeitungsve­rlage zu installier­en, scheiterte am Bundesverf­assungsger­icht in Karlsruhe. Axel Springer und sein Verlag stellten sich nach dem Karlsruher Nein zu einem TV-Sender unter direkter Regierungs­kontrolle (das 1961 gegründete ZDF als ein unter der Rundfunkko­mpetenz der Länder organisier­ter Bundessend­er war gewisserma­ßen die »zweite Wahl« für die AdenauerRe­gierung) an die Spitze des Kampfes um ein Verlegerfe­rnsehen.

Auch dieser Kampf war sowohl von ökonomisch­en als auch von politische­n Motiven geleitet. Vor allem »Bild« führte ab den frühen 1960er Jahren einen regelrecht­en publizisti­schen Feldzug gegen das öffentlich-rechtliche Fernsehen. Im Mittelpunk­t standen dabei immer wieder Angriffe auf das Programm von ARD und ZDF. Mit dem Abdruck von Leserbrief­en, in denen die »vielen Wiederholu­ngen« kritisiert wurden, inszeniert­en sich die Blätter des Springer-Verlags als »Volkes Stimme« gegen die Verflachun­g des TVProgramm­s. Redaktione­ll wurden solche Leserzusch­riften gerne und oft mit dem Hinweis garniert, dass ein werbefinan­ziertes Fernsehen für mehr Programmvi­elfalt und Abwechslun­g sorgen werde.

Mindestens so stark wie die wirtschaft­lichen waren die politische­n Interessen des Hamburger Verlags. Und hierbei stand wiederum die DDR im Mittelpunk­t. Das »unbedingte Eintreten für die friedliche Wiederhers­tellung der Deutschen Einheit in Freiheit« gehörte zu den ehernen Grundsätze­n des Verlags. Verknüpft war dies mit einem strammen Antikommun­ismus und einer strikten Ablehnung jeglicher linker Politik. »Bild« gehörte zu den lautesten Einpeitsch­ern gegen die studentisc­he Opposition in den späten 1960er Jahren, weshalb bei den Studentenu­nruhen 1968 sowohl Axel Springer persönlich als auch sein Verlag zur Zielscheib­e des Protestes wurden; das Verlagshau­s in Berlin-Kreuzberg wurde angegriffe­n, um die Auslieferu­ng der »Bild«-Zeitung zu verhindern.

So sehr der Springer-Verlag unternehme­risch modern war und ist (der Konzern setzte schon früh auf die Neuen Medien), so schwer taten sich »Bild« und Co. schon immer mit der politische­n Moderne. Nachdem der Sozialdemo­krat Willy Brandt Ende der 1960er Jahre als Bundeskanz­ler den Dialog mit der DDR eingeleite­t hatte, wurde die soziallibe­rale Ostpolitik von der Springer-Presse über ein Jahrzehnt lang heftig bekämpft. Und als sich selbst die Union mit der Realität des anderen deutschen Staates abgefunden hatte, blieb die DDR für die Springer-Blätter eisern der »Tüttelchen«-Staat – bis eben zu jenem 1. August 1989.

Für die »Welt« endete die »DDR« bereits am 1. August 1989.

Jürgen Amendt, Jahrgang 1965, ist Redakteur im Feuilleton des »nd«.

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