Massenproteste gegen TTIP
Zehntausende demonstrierten in Hannover gegen umstrittene Freihandelsabkommen
Der Protest gegen die Freihandelsabkommen TTIP und Ceta lässt nicht nach: In Hannover gingen am Wochenende rund 90 000 Menschen für gerechten Welthandel auf die Straße. In Barcelona trafen sich Kommunen zum ersten europaweiten Städtetreffen. Sie fordern in einer gemeinsamen Erklärung ein Stopp der Verhandlungen.
Gegen die Freihandelsabkommen TTIP und CETA haben am Samstag Zehntausende in Hannover demonstriert. Die Veranstalter sprechen von 90 000 Teilnehmer, die Polizei meldet 35 000. Irgendwie »wie Gorleben«. Ein Gedanke, der wach wird, als am Samstagvormittag über 30 Traktoren durch Hannovers Bankenviertel rollen. Zumal einige das wendländische »DAN«Kennzeichen haben und auch die rote Anti-Atom-Sonne zeigen. Doch neben ihr verkünden Spruchtafeln, was den Bauern ähnlich stinkt wie der strahlende Müll: das Freihandelsabkommen CETA, geplant zwischen der EU und Kanada, und die TTIP-Vereinbarungen, für die Präsident Barack Obama seitens des Vertragspartners USA die Europäer gewinnen will. Auch dies, so heißt es, sei ein Grund für seine Reise zur Eröffnung der Hannover-Messe. Deren Partnerland sind 2016 die Vereinigten Staaten.
Die Trecker knattern vorüber an den ersten Demonstranten auf dem Opernplatz und an einem großen aufgeblasenen »Trojanischen Pferd«, mitgebracht vom Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND). Ein Symbol soll es sein für die Freihandelsabkommen, die von Teilen der Wirtschaft und der Politik »wie ein Geschenk« begrüßt werden, in denen sich aber allerlei Ungutes für die Menschen im Land verberge. Wie in dem Holzpferd, das die Trojaner der Sage nach in ihrer Stadt als Gabe der Griechen begrüßten, aus dem dann aber feindliche Soldaten schlüpften. Wieder eine Parallele zu Gorleben: Dort ist es der Castorbehälter, der unter beschwichtigendem Gesäusel in punkto Sicherheit eingefahren wird, gefüllt mit hochgefährlichem Schrott.
Die Dimension der Demo kann es mit den größten Kundgebungen zu Gorleben aufnehmen. Waren beim Anti-Atom-Treck 1979 rund 120 000 Protestierer in Hannover, zählten die Veranstalter der Anti-TTIP-Kampagne etwa 90 000 Teilnehmer. Und so fantasievoll wie die Plakate, die im Wendland zu jeder Demo gehören, sind die Transparente auf dem Opernplatz allemal. Etwa die Dar- stellung zweier Schweine im Kapitalistengewand, teils in den US-Farben Rot, Weiß und Blau, mit Zylinder und Zigarre, mit den Pfoten die Hand der Bundeskanzlerin beim Unterschreiben des TTIP-Abkommens führend. Angela Merkels Augen sind verbunden, die Ohren verstopft. Sie soll nicht wissen, was sie da unterzeichnet.
Auch zahlreiche BürgerInnen wissen nicht, was hinter den Freihandelsabkommen steckt, welche Auswirkungen sie haben. Mehrmals ist diese Mahnung zu hören während der Demonstration. Etwa von Frank Immendorf, Sprecher der Initiative »Kleine und mittelständische Unternehmen gegen TTIP«. Vielen Selbstständigen sei nicht bewusst, was auf sie zukommt, warnt Immendorf und appelliert an die Menge: »Sprecht mit euren Chefs! Macht ihnen klar, dass dieses Abkommen nur Großunternehmen Erleichterung bringt.« Breite Aufklärung sei dringend notwendig.
Über 15 RednerInnen leisten ihren Beitrag dazu. Sie sprechen im Sinne von mehr als 100 Organisationen und Verbänden, die den Protest in Gang gebracht haben. Das Bündnis reicht von Naturschutz- und Umweltverbänden über kirchliche Initiativen, Künstlergemeinschaften und der Gewerkschaft ver.di bis zum Paritätischen Wohlfahrtsverband.
Nicht minder bunt ist die Palette derer, die sich in Gruppen oder mit Infoständen präsentieren. Orthodoxe Kommunisten sind ebenso zugegen wie Christen, die als Weg aus der TTIP-Bedrohung empfehlen: »Jesus rettet«.
Derweil wächst die Menge der DemonstrantInnen stetig. Erst drei Redner haben ihre Beiträge beendet, da sind der Opernplatz und die angrenzende Georgstraße, ein Boulevard mit vielen Nobelgeschäften, so gefüllt, dass die von den Veranstaltern genannten 90 000 glaubhaft erscheinen. Die Menschen stehen gedrängt beieinander, »hier bekommt man ja keine Luft mehr«, japst jemand. Weggehen? Geht nicht, zu dicht ist die Menge. Ordner sperren schließlich die Straße ab, bitten Protestler, die auch zwei Stunden nach Beginn noch aus dem Bahnhof strömen, in benachbarte Fußgängerzonen.
Denn auch dort können sie dank kräftiger Verstärker die Reden gut hören. Etwa die von Georg Janßen, Sprecher der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft. Wenn TTIP zustande kommt, so schimpft er, werde der Einfluss mächtiger Agrarkonzerne dazu führen, dass der ohnehin miserable Milchpreis noch weiter sinkt. Das sei existenzbedrohend, und deshalb sei auch die rot-grüne Landesregierung in Niedersachsen aufgefordert, »eine gerade Furche gegen TTIP zu ziehen«.
Angesprochen fühlen darf sich Niedersachsens Agrarminister Christian Meyer. Der Grünenpolitiker steht im Kreis der Demonstranten, hört auf- merksam zu. Doch überzeugen muss Bauernvertreter Janßen ihn nicht. Erst vor wenigen Tagen hatte Meyer in einem NDR-Interview seine ablehnende Haltung zu TTIP unterstrichen: Die Bauern wären die großen Verlierer des Abkommens, könnten nicht mithalten mit den Niedrigpreisen der US-Anbieter, die europäische Standards nicht beachten müssten. Das könne Sachen auf unsre Teller bringen, die wir nicht wollen, warnte Meyer, nannte Chlorhühner und genmanipulierte Lebensmittel als Beispiele.
Ein klares Nein zu TTIP ist dann auch während eines kleinen »Parteientalks« von der Demobühne zu hören: Sowohl von der Grünen-Vorsitzenden Simone Peter als auch vom stellvertretenden Vorsitzenden der LINKEN, Tobias Pflüger. Offenbar nicht durchringen zu einer klaren Absage mag sich der SPD-Bundestagsabgeordnete Matthias Miersch. Dass es einen »großen Parteikonvent« geben werde, auf dem die Handelsabkommen Thema seien und dass die Sozialdemokraten »großes Verständnis für die Bedenken« der Demonstranten habe, sagt der Politiker. Die Menge reagiert mit Pfeifkonzert und Buhrufen.
»Brenzlig« wird es auf der Bühne, als Tobias Pflüger der Grünen-Chefin sinngemäß Doppelzüngigkeit vorwirft: Schließlich habe der grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann die Freihandelsabkommen befürwortet. »Wir haben eine klare Beschlusslage gegen CETA und TTIP«, erwidert Peter, zur Haltung ihres Parteifreundes in Stuttgart sagt sie nichts.
Weitere Politiker sind eingetroffen: Grünen-Vorsitzender Anton Hofreiter ist dabei, auch die Bundestagsabgeordneten Diether Dehm (LINKE) und Jürgen Trittin (Grüne) haben sich eingefunden. Die Rednerliste wird abgearbeitet, die Mahnungen dürften angekommen sein, zusammengefasst: Abgebaut würden Standards im Verbraucher- und Umweltschutz, abgebaut würde Soziales, abgebaut würde Demokratie, abgebaut würden viele Rechte der Arbeitnehmer, unter anderem das Recht auf gewerkschaftliche Organisierung.
Und an Barack Obama und Angela Merkel geht die Botschaft: »Wir stehen auf gegen Handelsverträge, die Demokratie und Rechtsstaat aushöhlen und machen uns stark für einen gerechten Welthandel, der sich an Arbeitnehmerrechten, Sozial-, Umweltund Verbraucherstandards statt an Konzerninteressen orientiert.« Aus gleichen Gründen möge auch dem CETA-Abkommenen mit Kanada nicht zugestimmt werden.
Es ist Zeit für den Zug durch die Stadt. Auch ein Stück Aufklärung. Die Menschen, die zum Einkauf in der City sind, werden womöglich angestoßen, zu fragen: Was ist das überhaupt – TTIP? Durch die Straßen schallen Sprechchöre, dazwischen dröhnen Trommeln und – ungewohnte Klänge auf einer Demonstration in Hannover – eine Schalmeiengruppe bläst in ihre Instrumente. Die »beste Mucke bei der Demo« aber, so ist von jungen Menschen zu hören, sei mit seinen wummernden Bässen der Technowagen gewesen. Die Bürgerinitiative aus Lüchow-Dannenberg hatte ihn mitgebracht, ihr hatte er schon oft laute Dienste geleistet beim Widerstand in Sachen Gorleben. Und vielleicht wummert er ja auch auf einer der nächsten Großdemonstrationen gegen TTIP – am 24. September in acht deutschen Städten.
»Wir stehen auf gegen Handelsverträge, die Demokratie aushöhlen, und machen uns stark für einen gerechten Welthandel.« Botschaft an Barack Obama und Angela Merkel