Farbenspiele zum 1. Mai
390 000 bei Gewerkschaftskundgebungen / Neonaziaufmarsch in Plauen
Berlin. Am Tag der Arbeit haben sich 390 000 Menschen an mehr als 500 Veranstaltungen und Kundgebungen des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) beteiligt. Die Kundgebungen standen unter dem Motto »Zeit für mehr Solidarität«. Bei der zentralen Veranstaltung in Stuttgart rief der Gewerkschaftsbund zu mehr Engagement gegen Rechts auf. »Was die Rechtspopulisten fordern, das hat nichts, aber auch gar nichts zu tun mit sozialem Zusammenhalt, nichts mit sozialer Gerechtigkeit, nichts mit fairer Globalisierung und schon gar nichts mit Solidarität«, erklärte DGBChef Reiner Hoffmann. In Krefeld sprach sich der ver.di-Vorsitzende Frank Bsirske für einen Kurswechsel in der Rentenpolitik aus. »Nach jahrzehntelanger Arbeit haben alle Menschen das Recht, ein anständiges Leben in Würde führen zu können«, sagte er.
Wie in den vergangenen Jahren versuchten Neonazis auch dieses Jahr, den 1. Mai für ihre Zwecke zu missbrauchen – unter anderem in der vogtländischen Stadt Plauen. Nachdem sich die Polizei offenbar nicht in der Lage sah, eine geplante Demonstration der extremen Rechten abzusichern, wurde der Protestzug aufgelöst. In der Folge gingen Neonazis aggressiv gegen die Polizei vor, die mit dem Einsatz von Wasserwerfern und Pfefferspray antwortete. Immer wieder versuchten die Rechtsextremen, linke Gegendemonstranten zu attackieren. Organisiert wurde der Aufmarsch von dem »Nationalen und sozialen Aktionsbündnis 1. Mai«, das sich unter anderem aus Kadern der Partei »III. Weg« zusammensetzt. In Berlin rief die NPD zu Versammlungen auf. In Schwerin behauptete NPD-Chef Frank Franz, dass sich das Verbotsverfahren in Karlsruhe nicht alleine gegen die NPD, sondern gegen alle »Wutbürger« richte. Er rief dazu auf »die Volksverräter in den Parlamenten« bei der Landtagswahl »abzustrafen«.
Mit zahlreichen Veranstaltungen haben die Gewerkschaften den 1. Mai begangen. Auf Kundgebungen setzte der DGB Signale gegen Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus und rief zu Solidarität in der Gesellschaft auf. Vielerorts eroberten aber Neonazis die Straßen.
Tausende kamen zu den 1. Mai-Umzügen in Hamburg. Am Vorabend war es vor allem im alternativen Schanzenviertel zu Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Polizei gekommen. Unter dem Motto »Zeit für mehr Solidarität« kamen am Sonntag mehrere Tausend Teilnehmer zur 1. Mai-Demonstration des DGB Hamburg. Mitglieder der DGB-Gewerkschaften, von SPD, Grünen, LINKE, DKP und SDAJ zogen durch die Straßen von Hamburg-Wandsbek und Barmbek, einem alten Arbeiterstadtteil. Kurden, aber auch Türken demonstrierten für ihre Rechte. In den vorderen Reihen marschierten Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz, Bürgerschaftspräsidentin Carola Veit (beide SPD) und Kirsten Fehrs, Bischöfin der Evangelisch-Lutherischen Kirche im Sprengel Hamburg und Lübeck für mehr soziale Gerechtigkeit. Der Umzug endete am Museum für Arbeit, wo zahlreiche politische Gruppen und Initiativen Stände aufgebaut hatten.
Katja Karger vom DGB Hamburg forderte in ihrer Ansprache »mehr Solidarität für die Schwachen« der Gesellschaft. Als sie den »lieben Bürgermeister Olaf Scholz« begrüßte, war der Beifall recht schwach, es gab aber auch keine Pfiffe. Karger kritisierte provokant niedrige Lohnangebote der Unternehmerorganisationen bei ständig steigenden Gewinnen. Sie verurteilte darüber hinaus Bestrebungen der Arbeitgeberverbände, den Mindestlohn für Flüchtlinge auszuhebeln und stattdessen ein »zweijähriges Praktikum« anzubieten. Das sei nicht hinzunehmen, so Karger, die eine »sozialere Stadt« forderte: »Solidarität kennt keine Grenzen.«
Annelie Buntenbach vom Bundesvorstand des DGB forderte in ihrer Re- de: »Die Schere zwischen Arm und Reich darf nicht weiter auseinandergehen.« Auch sie kritisierte, dass »die Wirtschaft boomt «, doch deren Unternehmer vertreterin den Tarifverhandlungen keine akzeptablen Angebote vorlegen würden. Sie sprach den Kollegen »solidarische Unterstützung zu, die jetzt im Tarifstreit stehen«. Den mittlerweile erkämpften Mindestlohn wertete Buntenbach als Erfolg: »Vier Millionen Menschen haben jetzt mehr Geld in der Tasche.« Prognosen, wonach der Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde die Wirtschaft zum Absturz bringen würde, hätten sich nicht bewahrheitet.
Buntenbach kritisierte den massiven »Missbrauch von Leiharbeit und Werkverträgen«. Werkverträge würden genutzt, um Löhne zu drücken. Krankenhaus konzerne würden darüber hinaus durch die Aufteilung ihrer Unternehmen in kleine Einheiten Arbeitnehmer rechte und Betriebsräte aus hebeln. Besonders klagte sie Unternehmender Fleisch verarbeitung an, die Rumänen undBulga ren zu Billig konditionen einstellen und sie über ihre Rechte im Unklaren ließen, zumal diese angeworbenen Wanderarbeiter in der Regel kein Deutsch sprechen würden.
Neben der zentralen DGB-Demo hatten örtliche Organisationen des Gewerkschaftsbund es in den Hamburger Stadtteilen H ar burgund Berge dorf zu eigenen Veranstaltungen aufgerufen. Für Unverständnis hatte im Vorfeld die Einladung von Wirtschafts senator Frank Horch( parteilos) zur Festveranstaltung des DGB Harburg gesorgt, zumal dieser in der Vergangenheit lange Zeit Präsident der Hamburgischen Handelskammer war, die nicht gerade für ihre Arbeitnehmer freundlichkeit bekannt ist. Horch war zudem in Leitungsfunktionen von Thyssen-Krupp gewesen. Man wolle zum 1. Mai »keine Ja-Sa- ger« als Redner haben, verteidigte Detlef Baade vom DGB-Harburg die Einladung Horchs: »Es ist wichtig, dass man miteinander spricht. Die Politik muss in diesem Fall auch dem Bürger mal zuhören.«
Für Sonntag war ab 18 Uhr (nach Redaktionsschluss) eine weitere Demo unter dem Motto »Klasse gegen Klasse« am Bahnhof Altona angekündigt. Aufgerufen hatte eine Gruppe namens Revolutionäre Linke. Diese hatte für den Vortag zu einer als »Klassenfest gegen Staat und Kapital« bezeichneten Musikveranstaltung eingeladen, die ab 16 Uhr am »Schanzenbahnhof« nahe der Roten Flora stattfand.
Im Laufe des Samstagabends kam es im Schanzenviertel immer wieder zu Auseinandersetzungen zwischen Gruppen von Demonstranten und Polizei. Weiterhin wurde am Sonnabend im Hamburger Stadtteil Ottensen laut linksunten.indymedia ein Biosupermarkt geplündert. »Wir sind gegen eine Welt, in der die Menschen in Gewinnerinnen und Verliererinnen eingeteilt sind«, heißt es in einer Meldung bei indymedia. »In der einige wenige sehr reich sind, während viele andere sich nicht einmal genug zu essen leisten können.«
Auch in anderen deutschen Städten mobilisierten Gewerkschaften, Organisationen und Parteien nach eigenen Angaben zu zahlreichen Veranstaltungen. In Braunschweig betonte Christiane Benner, Zweite Vorsitzende der IG Metall: »Wir akzeptieren nicht, dass auf dem Rücken von Beschäftigten Kosten gespart werden sollen und reguläre durch prekäre Beschäftigung ersetzt wird. Wir wollen keine Amazonisierung der Arbeitswelt und keine rechtsfreien Räume wie im Silicon Valley.«
Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft hatte mit Blick auf die Integration geflüchteter Menschen und Asylsuchender in Würzburg deutlich gemacht: »Das Menschenrecht auf Bildung gilt für alle Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen – ohne Ausnahme und ungeachtet ihres Aufenthaltsstatus'. Alle Geflüchteten und Asylsuchenden müssen von Anfang an Zugang zu Bildung bekommen«, betonte GEW-Vorsitzende Marlis Tepe während der Kundgebung.
An den 15 Mai-Kundgebungen in Sachsen haben sich rund 18 000 Menschen beteiligt. Die Vorsitzende des DGB-Bezirks Sachsen, Iris Kloppich, sagte auf der Kundgebung in Annaberg-Buchholz: »Lohndumping muss in Sachsen der Vergangenheit angehören. Gute Tarifverträge sind für uns der Standard, der für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Sachsen gelten muss.« In Zwickau wurde die Rede von Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) von rechtsradikalen Störern unterbrochen, teilte der DGB mit.