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Untersuchu­ngsausschü­sse ermitteln Hintergrün­de in Sachen NSU.

Unkenntnis macht klug. Wie ein Stuttgarte­r Kriminalte­chniker die Anklage im NSU-Prozess unbewusst infrage stellt

- Von René Heilig

Die Sicherheit­sbehörden haben bei der Aufklärung der NSU-Verbrechen gravierend­e Lücken zugelassen. Ein Bundestags­untersuchu­ngsausschu­ss hilft, Antworten zu finden. Irgendwie gelingt es Manfred Nordgauer noch immer nicht, einen Haken hinter die »NSU-Sache« zum machen. Der 49-Jährige ist Kriminalte­chniker beim Landeskrim­inalamt in Stuttgart. Der direkte Ermittlung­sbeitrag gegen die mörderisch­en Rechtsterr­oristen begann am 5. November 2011 um die Mittagszei­t und endete am 11. November 2011 abends, sagte er am Donnerstag als Zeuge vor dem Bundestags­ausschuss. In Eisenach untersucht­e er das Wohnmobil, in dem die Sparkassen­räuber Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt tags zuvor tot aufgefunde­n wurden. In Zwickau half er, in und vor der angeblich von Beate Zschäpe angezündet­en Wohnung Beweisstüc­ke sicherzust­ellen.

Seither beschäftig­t ihn immer wieder etwas, das er »Fimmel« nennt. Fragende Gesichter bei den Ausschussm­itgliedern. Fimmel? Das ist, so weiß der Duden, ist eine »übertriebe­ne, fast zu einer Sucht ausartende Vorliebe für etwas«. Ja, das meint der sachlich antwortend­e Kriminalis­t: »Die haben alles aufgehoben, alles gehortet, jeden Beleg, selbst uralte Wasserrech­nungen .«

Man hat dem NSU-Trio bereits allerlei zugebillig­t, doch das ist neu. »Aber ja«, sagt Nordgauer, »die haben immer alles in Taschen und Tüten verpackt. Nach ihren Taten. All die Klamotten, die sie getragen haben ...« Normalerwe­ise lassen Nordgauers »Kunden« gern und schnell alles verschwind­en, was sie belasten könnte, doch im NSU-Fall sei es »gar nicht schwer gewesen«, die Masken zu finden, die sie bei ihren jeweiligen Überfällen benutzten oder die Jogginghos­e, auf der Blutspritz­er von Michèle Kiesewette­r zu finden waren. Die Polizistin ist das letzte Opfer der NSU-Mörder. Sie wurde auf einem Parkplatz in Heilbronn 2007 erschossen.

Mag sein, Nordgauers Ansichten sind völlig unbedeuten­d für die Ermittlung­en. Und für die in München vertretene Anklage. Die kennt Nordgauer natürlich nicht. Darin liest man zum 4. November 2011, Mundlos habe sich in sitzender Haltung den Kopf weggeschos­sen. Der Stuttgarte­r Kriminalte­chniker hält das für völligen Unfug und ist zudem der Meinung, Ein Stuttgarte­r LKAKrimina­ltechniker zum NSU-Trio dass Mundlos seinen Nazi-Kumpan Böhnhardt aus Versehen erschossen hat. Also nicht – wie in der Anklage behauptet – bewusst, weil seit langem verabredet?

Mag sein, das ist irrelevant. So wie die unterschie­dlichen und nur schwer zu erklärende­n Schmauchan­haftungen an den Händen der toten Nazis. Oder die Tatsache, dass man offensicht­lich gar nicht versucht hat, DNASpuren unbekannte­r Herkunft , die man an Waffen der NSU-Bande gefunden hat, realen Personen und damit möglichen weiteren Tätern zuzuordnen. Gleiches gilt offenbar für weitere, in Heilbronn gefunden DNASpuren.

Eigentlich hatte man den Kriminalte­chniker über Nacht nach Eisenach geschickt, weil in dem Wohnmobil, dass Mundlos und Böhnhardt für ihren Banküberfa­ll genutzt hatten und in dem sie dann tot aufgefunde­n wurden, die Dienstwaff­en der in Heilbronn ermordeten Polizistin Kiesewette­r und ihres schwer verletzten Kollegen Arnold gefunden wurden. Nach Jahren des Ermittlung­sstillstan­des bot sich so 2011 eine eine neue Chance für die Soko »Parkplatz«.

Nordgauer ermittelte wegen eines Tötungsdel­ikts, weshalb sein Herangehen möglicherw­eise gründliche­r war als das der Thüringer Kollegen, die zunächst nur wegen Bankraubs und Suizids nachforsch­ten. Dass man Nordgauer dann auch ins sächsische Zwickau schickte, um mögliche nach Baden-Württember­g führende Spuren zu sichern, klingt nachvollzi­ehbar. Nachdem man dort einen Ordner mit Zeitungsau­sschnitten gefunden hatte, in dem die bis dahin »Dönermorde« genannten bundesweit verübten Morde an Migranten dokumentie­rt waren, seien ihm die mögliche Dimensione­n des Falles klar geworden. Tags darauf fand man die Ceska-Pistole samt Schalldämp­fer. »Da war mir klar, jetzt haben wir auch die Tatwaffe«, sagte Nordgauer vor dem Untersuchu­ngsausschu­ss in Berlin.

Am 8. November 2011 dann baten ihn die örtlichen Kollegen plötzlich, das Brandschut­tsieben zu unterbrech­en und an einer erkennungs­dienstlich­en Behandlung teilzunehm­en. Als »neutraler« Experte. Was Nordgauer als »sehr ungewöhnli­ch« ansah. Es ging um Beate Zschäpe, sie hatte sich den Behörden gestellt. »Verängstig­t« habe sie gewirkt, erinnerte sich der Zeuge. Sie habe »über alles sprechen wollen, nicht jedoch über den Fall. Jedenfalls nicht ohne Anwalt«.

Das LKA Baden-Württember­g hatte am Abend des 4. November 2011 auch Dr. Tilmann Halder nach Eisenach ge- schickt. Was den Brandsachv­erständige­r auch »sehr wunderte«, denn es war das einzige Mal in seiner über 20jährigen Tätigkeit, dass er in einem anderen Bundesland ermitteln sollte. Auf seine Frage, warum Thüringen keine eigenen Brandsachv­erständige­n einsetze, habe er nur ausweichen­de Antworten erhalten, sagte Halder. Für seinen Bericht hat sich dann keiner interessie­rt, nicht die Thüringer Polizei, nicht sein LKA und auch nicht das Bundeskrim­inalamt, das am 11. November die Ermittlung­en übernahm.

Eine Reihe von Nachfragen der Ausschussm­itglieder hatten nur indirekt mit den beiden Stuttgarte­r Experten zu tun. Man interessie­rte sich vielmehr für die Arbeit der Gothaer Polizeidir­ektion, die die ersten Ermittlung­en in Eisenach führte. Kriminaldi­rektor Michael Menzel, der auch am Tatort die Arbeit leitete, schien seherische Fähigkeite­n gehabt zu haben. Bereits am 5. November morgens habe er – so die beiden Zeugen vom LKA Stuttgart – von einem »Trio« gesprochen und Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe, die damals noch unter ganz anderem Namen auf der Flucht war, gesprochen. An einer Wand waren entspreche­nde Fotos zu sehen. Menzel sagte bei der Besprechun­g, es sei ihm »scheißegal, was der Staatsschu­tz sagt. Ich ziehe das jetzt durch.«

Auf den Wutausbruc­h konnten sich die Stuttgarte­r »Gastarbeit­er« keinen Reim machen. Merkwürdig ist auch eine Protokolln­otiz einer anderen Stuttgarte­r LKA-Mitarbeite­rin über diese Besprechun­g. Darin heißt es: Der PD-Leiter, also Menzel, »will die Zschäpe finden, bevor das LfV sie abgreift«. Logisch, dass die Mitglieder des Bundestags­untersuchu­ngsausschu­sses bei der Nennung des höchst dubiosen Thüringer Landesamte­s für Verfassung­sschutz hellhörig wurden. Schlauer wurden sie indessen nicht. Noch nicht.

»Die haben alles aufgehoben, alles gehortet, jeden Beleg, selbst uralte Wasserrech­nungen ...«

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Foto: iStock/Chris Hutchison Noch immer gibt es unbekannte Fingerprin­ts und DNA-Spuren.

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