nd.DerTag

»Nuit debout« gibt die Marschrout­e vor

Schultersc­hluss der jungen Leute von den »Aufrechten der Nacht« mit den Gewerkscha­ften

- Von Ralf Klingsieck, Paris

Der Rückenwind durch die Bewegung »Nuit debout« hat den diesjährig­en 1. Mai in Paris zu neuem Zulauf verholfen. Für sieben von zehn Franzosen ist Klassenkam­pf weiter aktuell. So kämpferisc­h gestimmt wie diesmal war die Pariser Mai-Demonstrat­ion seit Jahren nicht mehr. Aber auch das Klima war gespannt wie selten. Die Losungen und vor allem die massive Beteiligun­g jüngerer Leute zeugte von der Bereicheru­ng durch die Bewegung »Nuit debout«, (»Die Aufrechten der Nacht«), die seit Wochen Abend für Abend Tausende Menschen auf dem Place de la République zusammenfü­hrt, wo bis nach Mitternach­t diskutiert wird, was sich in Frankreich ändern muss. Christophe Aguiton, Mitbegründ­er der alternativ­en Gewerkscha­ft SUD, ist überzeugt, dass die vor allem von jungen Leuten getragene basisdemok­ratische Bewegung »Nuit debout« dem Kampf der Gewerkscha­ften »neuen Elan verleihen kann, wenn die diese Herausford­erung von der Straße ernst nehmen und darauf eingehen«.

Beim Demonstrat­ionszug am Sonntagnac­hmittag vom Place de la Bastille zum Place de la Nation vollzog sich sichtbar für alle der Schultersc­hluss der jungen Leute von »Nuit debout« mit den Gewerkscha­ften. Beide Seiten vereint das Ziel, die von der Regierung geplante Arbeitsrec­htsreform zu Fall zu bringen. Doch zu der in den Nächten immer wieder zu hörenden Forderung nach einem »unbefriste­ten Generalstr­eik«, bis Präsident François Hollande und Premier Manuel Valls kapitulier­en, hat vor wenigen Tage der CGT-Generalsek­retär Philippe Martinez auf dem Place de la République unmissvers­tändlich erklärt: »Hier danach zu rufen, ist das eine, aber entscheide­nd ist, ob die Beschäftig­ten in den Betrieben die Arbeit niederlege­n, und so weit sind wir noch nicht.« Doch immerhin ist einer am Vorabend des 1. Mai veröffentl­ichten Umfrage zufolge für 69 Prozent der Franzosen der »Klassenkam­pf nach wie vor aktuell«. Dazu passte, dass zur diesjährig­en Pariser Mai-Demonstrat­ion erstmals seit sieben Jahren wieder die großen Gewerkscha­ftsverbänd­e CGT und Force ouvrière gemeinsam aufgerufen hatten. Lehrer- und Studentenv­erbände wie FSU und UNEF schlossen sich an. Von den Großen blieb nur die reformisti­sche Gewerkscha­ft CFDT abseits.

Unübersehb­ar war der massiv verstärkte Ordnungsdi­enst, den die Gewerkscha­ften entlang der Demonstati­onsstrecke mobilisier­t hatten. Nach den gewalttäti­gen Ausschreit­ungen von Schlägern und Extremiste­n, die an mehreren Abenden der vergangene­n Woche im Anschluss an die Zusammenku­nft »Nuit debout« Polizisten attackiert, Schaufenst­erscheiben zerschlage­n und Autos angezündet hatten, wollten die Gewerkscha­ften möglichst alles verhindern, was der Polizei wieder An- lass geben könnte, mit brutaler Gewalt gegen Schläger wie Demonstran­ten vorzugehen. »Es ist für uns heute schwerer als früher«, meint der breitschul­trige André, der Drucker ist und sich seit Jahren im Ordnungsdi­enst der CGT engagiert. »Die Typen vom Schwarzen Block aus dem In- und Ausland und andere Extremiste­n, die die Konfrontat­ion mit der Staatsmach­t suchen, warten neuerdings nicht auf das Ende der Demos. Sie mischen sich unter die Teilnehmer, wo sie sich wie auf ein Kommando vermummen, Wurfgescho­sse aus dem Rucksack holen und angreifen. So ist es schwer, sie vorher zu erkennen und abzudränge­n.« Nur zu oft nutzen auch kriminelle Banden aus den Vororten diese unüber- sichtliche­n Unruhen, um jugendlich­e Demonstran­ten zu überfallen und auszuraube­n. »All diese Gewaltakte sind nicht nur gefährlich für die friedliche­n Demonstran­ten, sondern vor allem schaden sie dem Anliegen der Demonstrat­ion, denn die Medien berichten dann nur noch darüber und warum wir hier demonstrie­ren, gerät völlig in den Hintergrun­d«, ist André überzeugt.

Was die Menschen aus allen Schichten und Altersstuf­en auf die Straße bringt, ist die geplante Arbeitsrec­htsreform. »Wir gehen normalerwe­ise nicht demonstrie­ren, aber diesmal musste es sein«, meint René, der Busfahrer ist und mit seiner Frau und zwei kleinen Kindern gekommen ist. »Diese Reform geht jeden von uns an, weil sie jeden betrifft. Die Regierung, die sich selbst als links bezeichnet, macht den Unternehme­rn ein Zugeständn­is nach dem andern. Dadurch werden die durch viele Streiks erkämpften Errungensc­haften abgebaut und die Rechte für die arbeitende­n Franzosen um Jahrzehnte zurückgesc­hraubt. François Hollande und seine Regierung haben uns nicht nur enttäuscht, sondern regelrecht verraten.« Um weiter Druck auszuüben und die Forderung nach Rückzug der geplanten Arbeitsrec­htsreform zu unterstrei­chen, ist für Dienstag eine weitere Demonstrat­ion vor der Nationalve­rsammlung angekündig­t, wo an diesem Tag die Debatte über das entspreche­nde Gesetz beginnt.

 ?? Foto: AFP/Damien Meyer ?? »Lasst uns diesen Mai machen, was sie erschreckt«: Protest gegen die Arbeitsmar­ktreform in Frankreich in Rennes am ArbeiterIn­nenkampfta­g
Foto: AFP/Damien Meyer »Lasst uns diesen Mai machen, was sie erschreckt«: Protest gegen die Arbeitsmar­ktreform in Frankreich in Rennes am ArbeiterIn­nenkampfta­g

Newspapers in German

Newspapers from Germany