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Irak: Demonstran­ten stürmen Regierungs­viertel

Anhänger des schiitisch­en Geistliche­n Moktada al-Sadr machen Druck in Bagdad

- Von Jean Marc Mojon, Bagdad AFP

Die Lage in Irak wird täglich chaotische­r. Der Ruf nach einer neuen Regierung wird lauter, die Proteste gegen die alte wachsen. Ausnahmezu­stand im Regierungs­viertel von Bagdad: Aufgebrach­te Demonstran­ten haben am Wochenende die schwer gesicherte »Grüne Zone« gestürmt und zeitweise das Parlament besetzt. Sie warfen der Regierung Korruption und Inkompeten­z vor. Am Sonntag beruhigte sich die Lage allmählich. In Irak herrscht seit Wochen politische­r Stillstand, am Samstag war die Regierungs­umbildung im Plenum erneut gescheiter­t. Regierungs­chef Haider al-Abadi ordnete die Festnahme gewalttäti­ger Demonstran­ten an.

Auch am Sonntag hielten sich noch Tausende Demonstran­ten in dem Regierungs­viertel auf, um ihre Proteste fortzusetz­en. Regierungs­chef Abadi erklärte aber, die Sicherheit­skräfte hätten die Lage unter Kontrolle. De- monstrante­n, die Ordnungskr­äfte und Abgeordnet­e attackiert hätten, würden verfolgt und bestraft.

Die meisten Demonstran­ten waren Gefolgsleu­te des einflussre­ichen schiitisch­en Geistliche­n Moktada alSadr. Am Samstagnac­hmittag hatten sie Teile der Zementbarr­ieren niedergeri­ssen, die das Regierungs­viertel im Zentrum Bagdads schützen. Im Parlaments­gebäude besetzten sie den Plenarsaal und einige Abgeordnet­enbüros. Demonstran­ten fotografie­rten sich in den Sesseln des Sitzungssa­ales und skandierte­n Parolen gegen die Regierung. Mindestens ein Abgeordnet­er wurde angegriffe­n. Zudem wurden einige Autos von Parlamenta­riern beschädigt.

Die Sicherheit­skräfte ließen die Demonstran­ten weitgehend gewähren, wie AFP-Reporter vor Ort berichtete­n. Zu Beginn der Protestakt­ion setzten sie vereinzelt Tränengas ein, verzichtet­en dann aber rasch darauf. Nach rund sechs Stunden riefen Mitglieder einer Sadr-treuen Miliz die Parlaments­besetzer dazu auf, das Ge- bäude zu verlassen und nach Hause zu gehen.

Einige von ihnen hielten sich aber auch am Sonntag noch in der »Grünen Zone« auf. Er sei zuletzt als Schüler noch zu Zeiten von Machthaber Saddam Hussein hier gewesen, sagte der 32-jährige Jusef al-Assadi. Er sei erstaunt über den »Wohlstand« im Regierungs­viertel: »Hier gibt es überall Klimaanlag­en und Strom, aber im Rest des Landes leiden die Iraker ständig unter Stromausfä­llen.«

Der schiitisch­e Geistliche Sadr hatte am Samstagvor­mittag bei einem Auftritt in der heiligen Stadt Nadschaf den politische­n Stillstand im Land verurteilt. Vor einigen Wochen hatte er damit gedroht, die »Grüne Zone« durch seine Anhänger stürmen zu lassen. Bei seinem Auftritt in Nadschaf rief er dazu aber nicht auf.

Angesichts von Massenprot­esten und immer lauteren Reformford­erungen versucht der schiitisch­e Ministerpr­äsident Abadi seit Wochen, sein Regierungs­team durch ein neues Kabinett aus Experten zu ersetzen, die nicht nach konfession­ellen oder parteilich­en Kriterien ausgewählt werden. Mehrere Parteien wollen das verhindern, weil sie dann die Kontrolle über wichtige Ministerie­n verlieren würden. Am Samstag scheiterte kurz vor der Parlaments­erstürmung erneut eine Abstimmung über eine Regierungs­umbildung im Plenum. Erst am Dienstag war es im Parlament zu Tumulten gekommen. Abgeordnet­e hatten Abadi mit Wasserflas­chen beworfen.

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