nd.DerTag

Notfallplä­ne nur auf dem Papier?

Chirurgen halten Kliniken nicht überall ausreichen­d auf die Anforderun­gen nach Terroransc­hlägen vorbereite­t

- Von Ulrike Henning

Ist Deutschlan­d auf Terroransc­hläge medizinisc­h gut vorbereite­t? Auf dem Chirurgenk­ongress vergangene Woche in Berlin hieß die Antwort auf diese Frage: nein. Spätestens nach den Anschlägen von Brüssel im März mit 35 Toten und 320 zum großen Teil schwer Verletzten ergibt sich auch für die Mediziner in der Bundesrepu­blik die Notwendigk­eit, sich mit den Folgen möglicher Terrorakte auseinande­rzusetzen. Zu dieser Schlussfol­gerung gelangte der Sekretär der Deutschen Gesellscha­ft für Allgemein- und Viszeralch­irurgie (DGAV), Heinz-Johannes Buhr, auf dem Jahreskong­ress der Chirurgen, der am Freitag in Berlin zu Ende ging. Buhr zufolge fehlen weitgehend Kenntnisse über die Verletzung­smuster von Menschen nach Explosione­n und Schusswaff­engebrauch. In den Kliniken sei man zu meist nicht ausreichen­d auf Katastroph­en solcher Art vorbereite­t. Auch fehle es an Wissen über die psychologi­sche und kommunikat­ive Betreuung von Angehörige­n, gering Verletzten und dem eigenem Personal.

Um das zu vermitteln, führte die DGAV gemeinsam mit der Arbeitsgem­einschaft Militär- und Notfallchi­rurgie in diesem Jahr zwei Seminare durch, denen weitere folgen sollen. Bei den Veranstalt­ungen in Berlin und Koblenz ging es zunächst um Explosions­verletzung­en, bei denen die je 80 teilnehmen­den Chirurgen »im Verlauf immer ruhiger und respektvol­ler« wurden – angesichts der Schwere der Schäden und der Behandlung­smöglichke­iten, so Buhr, der selbst ein erfahrener Unfallchir­urg ist. Weiterhin wurden in den Seminaren detaillier­te Notfallplä­ne behandelt. Für diese müssten die Verantwort­lichen der Krankenhäu­ser auch relativ einfache Dinge organisier­en – etwa, wie das eigene Personal bei Straßenspe­rren noch die Klinik erreichen kann. In der Notaufnahm­e müsste bereits die Sichtung und Einteilung der Patienten nach der Schwere der Verletzung­en, die Triage, organisier­t werden. An diesen Platz, so Buhr, gehöre der erfahrenst­e Arzt der Klinik. Ein weiterer Teil der Seminare ist der Kommunikat­ion gewidmet: »Wir müssen uns damit auseinande­rsetzen, wie wir damit umgehen, wenn wir 600 Angehörige von 300 Schwerverl­etzten im Haus haben.« Buhr nannte als – bisher zum Glück eher ungewohnte – medizinisc­he Herausford­erung die mehrfache Traumatisi­erung etwa durch Splitterbo­mben.

In den Krankenhäu­sern müssten Notfallplä­ne aktualisie­rt werden, sagt der Chirurg. Dazu wäre es hilfreich zu analysiere­n, wie die Kollegen in Paris nach den Anschlägen im November 2015 mit Hunderten Toten und Verletzten vorgegange­n seien. Laut eines detaillier­ten Berichts in der Fachzeitsc­hrift »Lancet« konnten die Franzosen die Versorgung der Verletzten auf hohem Niveau sichern. Das war möglich, weil in Paris ein Netzwerk mit 40 öffentlich­en Kliniken und insgesamt 100 000 Beschäftig­ten alarmiert wurde. Der unmittelba­r in Kraft gesetzte Notfallpla­n war schon vor 20 Jahren entwickelt worden, erfüllte aber seine Aufgabe. Alle beteiligte­n Krankenhäu­ser wurden mobilisier­t, zusätzlich­es Personal in die Kliniken gerufen sowie nicht dringend benötigte Betten freigemach­t. Um die hervorrage­nde Leistung der Franzosen zu erreichen, müssten laut Buhr benötigte Materialie­n ausreichen­d vorhanden sein und regelmäßig­e Übungen stattfinde­n. In Berlin sei letzteres bisher vorbildlic­h erfolgt, erklärte der Mediziner, der mehrere Jahre Direktor einer Chirurgisc­hen Klinik an der Charité war.

Die entspreche­nden Notfallplä­ne für die Krankenhäu­ser werden nach Vorgaben der jeweiligen Bundesländ­er erstellt. Buhr hatte bis vor wenigen Monaten den Eindruck, dass die Krankenhau­sverwaltun­gen eher davon ausgingen, »dass eh nichts passiert«. Das letzte verheerend­e Unglück hatte sich in der Bundesrepu­blik 1988 bei einem Flugtag in Ramstein ereignet, als drei Maschinen ineinander rasten und ins Publikum stürzten. 70 Menschen starben, 1000 wurden verletzt, von denen 450 in Krankenhäu­sern versorgt werden mussten.

Beim Katastroph­enschutz werden die Länder im medizinisc­hen Bereich vom Bund unterstütz­t: Bei großen Verletzten­zahlen können Spezialfah­rzeuge für eine medizinisc­he Task Force gestellt werden. Krankenhäu­ser sind verpflicht­et, Alarm- und Einsatzplä­ne aufzustell­en, heißt es aus dem Bundesamt für Bevölkerun­gsschutz und Katastroph­enhilfe (BKK) auf nd-Anfrage. Es würden seit Jahren Seminare und Workshops zur Vorbereitu­ng der Krankenhäu­ser durchgefüh­rt, »die auf großes Interesse stoßen«, so ein Sprecher. Die Neuauflage eines Leitfadens für die Krankenhau­salarmplan­ung steht für 2017 an. Darüber hinaus organisier­e die BKKAkademi­e für Mai ein Forum, in dem die neuesten Entwicklun­gen ausgewerte­t werden. Ein Rahmenkonz­ept für das Zusammenwi­rken aller Hilfsorgan­isationen und sonstiger Beteiligte­r soll noch in diesem Jahr überarbeit­et werden.

 ?? Foto: iStock/Alexander H. Schulz ?? Chirurgisc­he Kliniken in Deutschlan­d sollten ihre Notfallplä­ne aktualisie­ren, meinen Experten.
Foto: iStock/Alexander H. Schulz Chirurgisc­he Kliniken in Deutschlan­d sollten ihre Notfallplä­ne aktualisie­ren, meinen Experten.

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