Klug, mutig und solidarisch
Die nächsten Schritte auf dem Weg zur verbindenden Partei. Katja Kipping und Bernd Riexinger über linke Strategie
Nach der Pleite bei den Landtagswahlen im März und vor dem Hintergrund des Aufstiegs der AfD diskutiert die Linkspartei über ihren Kurs. Fünf Vorschläge der beiden Vorsitzenden. Vieles wurde begonnen, aber ist damit schon ein Neuanfang gelungen? Veränderungen verlaufen langsam, gerade wenn wir alle mitnehmen wollen. Und das wollen wir. Gleichzeitig kann es leicht geschehen, dass die Geschwindigkeit gesellschaftlicher Veränderungen die manchmal mühseligen Prozesse in großen Organisationen überholt. Das kann eine Spannung, eine Bedrohung sein. Wenn wir die notwendige Weiterentwicklung klug, mutig und solidarisch angehen, kann sie aber auch einen Schub in die notwendige Richtung verleihen. Wenn uns das gemeinsam gelingt, wird die aktuelle Situation weniger eine Krise als vielmehr eine Chance für einen linken Aufbruch sein.
Die Partei DIE LINKE sieht sich nicht als Stellvertreterpartei, sondern als Organisation, die den Menschen in ihren Kämpfen für höhere Löhne und soziale Rechte, mehr Demokratie und Klimagerechtigkeit nützlich ist. DIE LINKE ist in einigen Orten an der Basis längst gesellschaftliche Partei. Aber da geht noch mehr.
Wir schlagen daher eine Gesamtstrategie vor, um die gesellschaftliche Verankerung der Partei zu stärken und unsere Parteikultur einer aktiven Mitgliederpartei weiterzuentwickeln. Entscheidend ist dabei, dass wir in den gesellschaftlichen Auseinandersetzungen (etwa um steigende Mieten, gegen die Privatisierung des örtlichen Krankenhauses) aktiv präsent sind und Menschen einladen, gemeinsam mit uns aktiv zu werden, um konkret etwas zu verändern. Es geht also nicht nur um die richtigen Forderungen, sondern darum, Prozesse praktisch (mit) zu organisieren: eine Politik zum Mitmachen, eine Politik, die vor Ort organisiert, in den Betrieben, Stadtteilen und Familien spürbar ist. Eine Politik, die den Menschen Mut macht, zusammen mit anderen ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Mit der Unterstützung von Streiks und Mietenprotesten, mit den vielen Initiativen zur Alltagsunterstützung, mit »DIE LINKE hilft« und der Flüchtlingshilfe gibt es schon viele Ansätze zu einer solidarischen Alltagspolitik der LINKEN. Wir können dabei an den Erfahrungen als Kümmerer-Partei anknüpfen. Unsere Partei ist in den ostdeutschen Bundesländern nicht nur in den Großstädten, sondern in Kleinstädten und im ländlichen Raum da anerkannt, wo sie in sozialen Vereinen, etwa Kleingartenvereinen, der Volkssolidarität, Sportvereinen, Bürgerinitiativen und lokalen Vereinen sowie in Gewerkschaften verankert ist und durch Mandatsträgerinnen und Mandatsträger über vielfältige kommunalpolitische Kompetenz verfügt. Der Kampf unserer dort Aktiven ist für uns daher ein maßgeblicher Anknüpfungspunkt. Eine konsequente soziale Interessenvertretung auf lokaler Ebene, eine solidarische Kommunalpolitik ist möglich – und notwendig. Sie ist die Grundlage für jede soziale Offensive, weil sie unmittelbar an den Ansprüchen der Bürgerinnen und Bürger an soziale und demokratische Verbesserungen anknüpfen kann und weil lokale Erfolge »Mut zu mehr« machen.
Wir wollen gemeinsam Schritte zu einer neuen Kultur der Selbstermächtigung und Beteiligung durch Organisierung an der Basis gehen. Dazu wollen wir bestehende Ansätze wie die Kampagne »Das muss drin sein.«, die Arbeit in Stadtteilen und Betrieben und von »DIE LINKE hilft« weiterentwickeln und dabei von positiven Erfahrungen lernen. Lasst uns gemeinsam unsere Parteistrukturen auf eine Willkommenskultur für Aktive einstellen!
Unser Ziel ist es, schrittweise zu einer kampagnenfähigen und aktiven Mitgliederpartei zu wachsen. Also nicht nur Menschen eine Stimme zu geben, sondern sie zu ermutigen, selbst die Stimme zu erheben. 1. Offensive des Zuhörens und Organisierens in sozialen Brennpunkten In diesem Sinne wollen wir die Aktiven der Partei, die Abgeordneten und den neuen Parteivorstand zu einer »Offensive des Zuhörens« in ihren Wohngebieten und den sozialen Brennpunkten einladen. Dabei sollen die Erfahrungen der Menschen und ihre Hoffnungen im Mittelpunkt stehen. Wir beginnen mit Fragen: Was muss sich ändern, was sind die Wünsche, wer will dafür aktiv werden? Wir legen damit einen Grundstein für eine andere Kommunikation der Partei, die auch im Bundestagswahlkampf fortgesetzt werden soll. Die Menschen haben ja Recht, wenn sie von der formelhaften Sprache der Politikerkaste erschöpft sind.
Die Zuhöroffensive wollen wir verbinden mit Angeboten zur Vernetzung der Betroffenen in benachteiligten Stadtteilen. Wahlauswertungen zeigen: Diese Menschen gehen zwar halb so oft wählen, stimmen aber doppelt so oft für linke Parteien. Bei den letzten Wahlen hat die AfD überdurchschnittlich stark in sozialen Brennpunkten abgeschnitten. Wir nehmen die Herausforderung an. Der Erfahrung von Machtlosigkeit, in der viele Menschen sich nur noch als Spielball »fremder Mächte« erleben, wollen wir die Erfahrung entgegensetzen, dass sich nicht durch Ausgrenzung der Schwächsten, sondern nur durch Solidarität und gemeinsamen Kampf die eigene Lage verbessert. Wir wollen Modellprojekte in benachteiligten Wohnvierteln entwickeln, die (Selbst-)Organisierung vor Ort und die nachhaltige Verankerung der LINKEN fördern. Vielerorts sind bereits Genoss_innen mit Sozialberatungen, Erwerbslosenfrühstücken, Mieter_innen-Initiativen aktiv – daran wollen wir anknüpfen, bestehende Initiativen unterstützen und beim Aufbau neuer voneinander lernen. 2. Stärkere Verankerung an der Basis der Gewerkschaften: Zusammen für die Aufwertung der sozialen Dienstleistungen! Die stärkere Verankerung der LINKEN in den Gewerkschaften ist eine zentrale Zukunftsfrage für linke Politik in den nächsten Jahren. Angesichts der erschreckenden Wahlergebnisse der AfD bei den Gewerkschaftsmitgliedern wollen wir den Kampf um die Köpfe auch verstärkt an der Gewerkschaftsbasis führen. Als LINKE wenden wir uns an alle Lohnabhängigen, nicht nur an diejenigen, die in prekäre Arbeitsverhältnissen stecken. In den nächsten Jahren wollen wir daran arbeiten, mit einer Initiative für ein »neues Normalarbeitsverhältnis« eine solidarische Perspektive in den Betrieben und Gewerkschaften für ein Bündnis von Erwerbslosen, prekär Beschäftigten und den Beschäftigten, die in sozialversicherungspflichtiger Vollzeit arbeiten, zu stärken. Wir wollen die Beschäftigten auch stärker direkt ansprechen und zur Organisierung in der LINKEN einladen. Da wir unsere Kräfte fokussieren müssen, liegt ein Schwerpunkt dabei auf den sozialen Dienstleistungen. Unterfinanzierung und Wettbewerbsorientierung führen hier zu verstärkten Protesten, Streiks und neuen Bündnismöglichkeiten. Wir wollen die Kämpfe um eine Aufwertung der sozialen Dienstleistungen und um mehr Personal in Bildung, Pflege und Gesundheit unterstützen. Es geht dabei auch darum, die gesellschaftliche Basis für unsere Perspektive eines Ausbaus und der demokratischen Gestaltung der Öffentlichen Daseinsfürsorge zu verbreitern. 3. Neue Mitgliederoffensive In den letzten Jahren ist es uns gelungen, viele neue Mitglieder zu ge- winnen. Angesichts der Mitgliederentwicklung in den ostdeutschen Landesverbänden und der in Westdeutschland weiter schwachen Verankerung auf dem Land, muss eine Offensive zur Gewinnung neuer Mitglieder ein wichtiger Schwerpunkt für die gesamte Partei sein. Wir wollen die Mitgliederwerbung auf Bundesebene mit neuen Methoden - auch im Bundestagswahlkampf – und in gezielter Verknüpfung mit aktuellen gesellschaftlichen Auseinandersetzungen weiterentwickeln. Darüber hinaus wollen wir die Landes- und Kreisverbände bei der Gewinnung und aktiven Einbeziehung von Neumitgliedern unterstützen.
4. Ein Bollwerk gegen Rassismus: Die Solidarität organisieren!
Vielerorts werden Geflüchtete, aktive Antifaschist_innen und Mitglieder unserer Partei von rechts bedroht. In dieser Situation lassen wir uns nicht einschüchtern. Wir stehen zusammen und sind solidarisch mit den Opfern rechter Gewalt und stehen auf der Seite derjenigen, die sich den Rechten aktiv entgegenstellen.
Der Ausgrenzung von Geflüchteten setzen zahllose Initiativen längst eine praktische Solidarität entgegen. Doch bisher sind sie gegenüber der rechten Hetze nur selten sichtbar. DIE LINKE kann hier dazu beitragen, die gesellschaftliche Stimmung insgesamt nach links zu verschieben, wenn wir helfen, diese unabhängigen Initiativen bundesweit zu vernetzen, Ressourcen zu bündeln und ihre Anliegen politisch zu unterstützen. Dabei knüpfen wir an den Initiativen »Welcome2stay« und »Aufstehen gegen Rassismus« an. Unsere Parole lautet: Solidarity, nicht Charity! Wir knüpfen damit auch an die Erfahrungen von Blockupy und Solidaritätsstrukturen gegen die Troika-Politik in Griechenland an.
Wir wollen gemeinsam mit den Akteuren beraten, wie solch ein Solidaritätsnetzwerk aussehen kann, um nachhaltige und unabhängige Strukturen der Selbsthilfe vor Ort aufzubauen. Verbinden wollen wir diese Initiative mit praktischen Angeboten für all diejenigen, die in den letzten Monaten neu zu uns gekommen sind – und einer Mitgliederoffensive für diejenigen, die angesichts der aktuellen Zuspitzung für Solidarität Partei ergreifen wollen. Die außerparlamentarische »Lage« ist derzeit dadurch geprägt, dass sich die vielen wichtigen Initiativen im Kampf gegen rechts, für die Unterstützung von Geflüchteten nicht zu einer gemeinsamen Bewegung verknüpfen – und Antifaschismus von der sozialen Gerechtigkeitsfrage getrennt bleibt. Bisher fehlt ein linker Aufbruch gegen Nationalismus und schwarz-rotgrünen Neoliberalismus – ein gemeinsamer Ausdruck jenseits all der wichtigen Einzelthemen und nötigen Abwehrkämpfe. Ein Ausdruck, der Mut gibt und deutlich macht: Wir, das gesellschaftliche Lager der Solidarität, sind viele! Gemeinsam mit Sozialverbänden, Gewerkschaften, sozialen Bewegungen, Attac, Migrant_innenverbänden und Antifa-Initiativen wollen wir eine neue Initiative für eine massive Umverteilung voranbringen. In der maximalen Breite und der nötigen Radikalität, mit niedrigschwelligen Angeboten und Mitteln des zivilen Ungehorsams. Lasst uns diesen Vorschlag in die Diskussionen in den Bündnissen gegen rechts, in den Flüchtlingsinitiativen, Gewerkschaften und dem Umfairteilen-Bündnis einbringen!
Wenn wir es schaffen, den Kampf für soziale Gerechtigkeit mit dem Einsatz gegen Rassismus und rechten Kulturkampf zu verbinden und eine gemeinsame Initiative für eine solidarische Gesellschaft zu starten, kann ein neues Momentum für gemeinsame linke Politik entstehen.