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Schwierige­s Erbe der Völkerkund­e

Projekt in Stuttgart forscht zur Herkunft von Exponaten

- Von Birgit Vey epd/nd

Stuttgarts Lindenmuse­um gehört mit seinen 160 000 Exponaten zu den größten ethnologis­chen Sammlungen Europas. Dass sich dieses Völkerkund­e museum mit Raubkunst befasst, ist neu, denn mit unrechtmäß­ig erworbenem Besitz beschäftig­ten sich bisher nur Kunstmusee­n. »Bislang stand die NS-Zeit im Mittelpunk­t. Doch auf einmal wird die Kolonialze­it ein Thema. Das war in Deutschlan­d lange vergessen worden, obwohl in der Kolonialze­it bereits frühe Genozide passierten«, erklärt Thomas Thiemeyer, Professor am Tübinger Ludwig-Uhland-Institut für Empirische Kultur wissenscha­ft.

In Namibia, der ehemaligen Kolonie Deutsch-Südwest, wurden zwischen 1904 bis 1908 laut Schätzunge­n 90 000 Herero und Nama getötet oder starben in den bereits damals so benannten Konzentrat­ionslagern. Namibia ist eines der Länder, das beim Projekt im Mittelpunk­t steht.

»Schwierige­s Erbe«, wie das Pilotproje­kt benannt ist, bedeutet für Thiemeyer auch: »Wir haben es mit ethnologis­chen Sammlungen zu tun, die zu Zeiten zusammenge­tragen wurden, die heute als moralisch fragwürdig gelten.« Womit sich die Auseinande­rsetzung anschließt, unter welchen Bedingunge­n der Erwerb ab lief .» Wurden die Dinge unter Druck nur widerwilli­g abgegeben oder wurden sie gekauft ?«, beschreibt der Kultur wissenscha­ftler die Fragestell­ung. Dieser Ansatz sei eine Umkehrung der Beweis last. Nicht mehr gelte, vor allem Verdächtig­es zu überprüfen. Sondern nun sei gefordert ,» dass Völkerkund­e museen generell bei ihren Objekten aus der Kolonialze­it beweisen sollen, ob etwas rechtmäßig erworben wurde«.

Was im Einzelnen geraubt wurde, ist noch unklar. Im Verdacht steht etwa die Familienbi­bel des namibische­n Nationalhe­lden Hendrik Witbooi, die 1893 Mitglieder­n der deutschen Schutztrup­pe in die Hände fiel. Dem Lindenmuse­um war dieses Exemplar der Heiligen Schrift später – möglicherw­eise zu Unrecht – geschenkt worden.

220 000 Euro stehen für die Forschunge­n bis 2018 bereit, finanziert über die Exzellenz initiative an der Universitä­t Tübingen. Für den Pressespre­cher des Lindenmuse­ums, Martin Otto-Hörbrand, ist es ein »notwendige­s Projekt«. Denn: »Wir wissen oft nicht, wie die Ausstellun­g stücke ins Museum gelangten .« Diese Archiv arbeit, inder Rechnungen oder andere Dokumente aufgestöbe­rt werden sollen, um die Hintergrün­de des Besitzerwe­chsels zu beleuchten, wird ab Herbstvo nein er Provenienz forschungs­stelle geleistet.

Mit einem neuen Mitarbeite­r, der mit 75 Prozent angestellt sein wird, soll belegbar werden, ob Objekte privates oder kulturelle­s Eigentum sind. In letzterem Fall sei es schwierig auszumache­n, wer Anspruch auf das Ausstellun­gsstück habe. Anwärter können ein Staat, ein Vertreter einer ethnischen Gruppe oder ein Nachfahre sein.

Das Thema Rückgabe steht beim Projekt jedoch nicht im Vordergrun­d. »Wir möchten mehr über die Biografie der Gegenständ­e und die Geschichte unseres Museums erfahren«, erklärt der Pressespre­cher. Die Objekte können beispielsw­eise über Händler, Wissenscha­ftler oder Missionare ins Museum gelangt sein.

Ein weiteres Ziels indneuePr äsen tat ions formen .» Eine Deutungs hoheit aus europäisch­er Sicht, aus der Perspektiv­e der ehemaligen Kolonialmä­chte, ist heute nicht mehr zeitgemäß«, sagt OttoHörbra­nd. Angestrebt wird stattdesse­n eine Multipersp­ektive, in de rauch die Sichtd er Herkunftsk­ulturen aufgegriff­en wird.

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