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»Theater ist keine Strafe«

Die Ruhrfestsp­iele feiern 70. Geburtstag / Aktuelle Produktion­en zum Thema Migration

- Von Dorothea Hülsmeier dpa/nd

Es begann mit »Kunst gegen Kohle« – nun werden die Ruhrfestsp­iele 70 Jahre alt und gehören zu den renommiert­esten Theaterfes­tivals Europas. Zum Jubiläum stellen sie das Mittelmeer in den Fokus. Die Geschichte bewegt auch noch 70 Jahre später: Im eisigen Nachkriegs­winter 1946/1947 fuhren Hamburger Theaterleu­te mit einem Lastwagen ins Ruhrgebiet, um Kohle für ihre Spielstätt­en aufzutreib­en. Kumpel der Zeche König Ludwig 4/5 in Recklingha­usen halfen den frierenden Künstlern – und schleusten die Kohle an der englischen Besatzungs­macht vorbei. Im Sommer darauf kamen die Schauspiel­er zurück ins Revier und bedankten sich mit Theaterauf­führungen. »Kunst gegen Kohle« – die Ruhrfestsp­iele, eine Verbrüderu­ng von Künstlern und Kumpel, waren geboren.

Heute sind bis auf eine Grube alle Zechen im Revier stillgeleg­t, und es gibt nur noch einige tausend Bergleute. Die Ruhrfestsp­iele aber sind eines der größten und renommiert­esten Theaterfes­tivals in Europa. Nicht elegant wie in Salzburg, sondern bodenständ­ig geht es im Recklingha­usener Festspielh­aus zu. Gespielt wird auch in alten Industrieh­allen und Zelten.

»Die Ruhrfestsp­iele sind von der Theaterkar­te nicht mehr wegzudenke­n«, sagt Intendant Frank Hoffman. Der 62-jährige Luxemburge­r hatte das vom Deutschen Gewerkscha­ftsbund (DGB) mitfinanzi­erte Festival 2005 in einer Krise übernommen. In der Ära des Berliner Volksbühne­n-Leiters Frank Castorf hatte sich die Zuschauerz­ahl der Ruhrfestsp­iele 2004 auf nur noch etwa 22 000 halbiert.

In seiner rund zehnjährig­en Intendanz steigerte Hoffmann die Zuschauerz­ahl des sechswöchi­gen Festivals mit inzwischen mehr als 100 Produktion­en und über 300 Vorstellun­gen auf über 80 000. Damit übertrumpf­t Hoffmann mit einem Budget von nur rund sieben Millionen Euro die auch finanziell besser gestellte Ruhrtrienn­ale.

Das Erfolgsgeh­eimnis der Ruhrfestsp­iele ist die Dichte an Premieren und Uraufführu­ngen aus dem deutschspr­achigen Raum, die in Kooperatio­n mit den wichtigste­n Bühnen von Dresden über Berlin bis Hamburg und München und Wien entstehen. »Wir haben eine besondere Stellung, und die füllen wir auch aus«, sagt Hoffmann. »Die Ruhrfestsp­iele sind ein Fenster nach draußen.«

Und das Festival hat auch einen politische­n Anspruch. Zum 70. Geburtstag kreisen zahlreiche Produktion­en um die Flüchtling­skrise und Migration. Das diesjährig­e Motto Frank Hoffmann, Intendant der Ruhrfestsp­iele »Mittelmeer – Mare Nostrum?« hat Hoffmann dabei mit einem Fragezeich­en versehen. Denn was die Römer in der Antike »unser Meer« nann- ten, ist heute für Tausende Flüchtling­e auf der Suche nach einer sicheren Heimat eine todbringen­de Grenze.

»Wir können nicht an der Wirklichke­it vorbeigehe­n«, sagt Hoffmann. »Da wo es weh tut, müssen die Kunst und das Theater aktiv werden.« Das Flüchtling­sthema sei in vielen Stücken präsent. So bearbeitet Romeo Castellucc­i die »Orestie« von Aischylos, während Elfriede Jelinek aus der 2500 Jahre alten Tragödie »Die Schutzfleh­enden« des griechisch­en Dichters ein hochaktuel­les Theaterstü­ck gemacht hat. In dem Stück »Die lebenden Toten« beschreibt der dänische Autor Christian Lollike einen Zombie-Angriff auf dem Mittelmeer, den die EU-Grenzschut­zorganisat­ion Frontex abzuwehren versucht.

»Auch wenn es um harte Themen geht, ist Theater keine Strafe, sondern ein Fest«, betont Intendant Hoffmann. »Das wird manchmal verwechsel­t.« Theater dürfe den Menschen auch Freude bereiten. »Dadurch öffnet man die Herzen, aber auch die Köpfe.«

So werden die Festspiele denn auch am 3. Mai mit Carlo Goldonis Komödie »Diener zweier Herren« eröffnet. Regisseur ist Christian Stückl, der als Intendant des Münchner Volkstheat­ers Erfolge feiert und die Oberammerg­auer Passionssp­iele neu belebt hat.

Jedes Jahr zieht es auch große Schauspiel­er nach Recklingha­usen: Hanna Schygulla, Peter Simonische­k, Ulrich Matthes oder Fritzi Haberlandt sind diesmal dabei. Intendant Hoffmann bleibt noch bis 2018. Dann endet sein Vertrag. Und die Ruhrfestsp­iele müssen einen ebenso erfolgvers­prechenden neuen Intendante­n suchen.

»Da wo es weh tut, müssen die Kunst und das Theater aktiv werden.«

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Foto: dpa/Marcel Kusch Das Ruhrfestsp­ielhaus in Recklingha­usen

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