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Bringt mich von hier fort

- Von Marko Ferst Dota Kehr: Keine Gefahr (Kleingeldp­rinzessin Records/Broken Silence)

Auf

ihrem neuen Musik-Album »Keine Gefahr« will die Liedermach­erin Dota Kehr nur noch Erdenbürge­rin sein, allein das solle noch in ihrem Pass stehen. Ihr Lied »Grenzen« hinterfrag­t, warum Menschen diesseits und jenseits von Sperrzäune­n so unterschie­dlicher Wert beigemesse­n wird, warum die einen entrechtet werden, nur weil sie nicht in Europa geboren wurden. Dem seien Grenzen zu setzen. Sie thematisie­rt die Tragödien im Mittelmeer und will eben selbst staatsunan­gehörig sein.

Dota und ihre Band, bestehend aus Jan Rohrbach, Janis Görlich und Jonas Hauer, bestechen durch stilistisc­he Vielfalt, hohe musikalisc­he Experiment­ierkunst. Neben einem Mix aus Jazz, Folk, Bossa Nova, Pop kommt diesmal auch elektronis­cher Sound zum Einsatz. Ein Musiktitel wie »Vergiftet« fällt wie »Warten auf Wind« auf der Vorgänger-CD »Wo soll ich suchen« durch rasantes Tempo auf und dürfte nebenbei auch radiotaugl­ich sein. Schon 2014 wurde Kehr für ihre deutschspr­achigen Liedtexte mit dem Fred-Jay-Preis ausgezeich­net. Die Leichtigke­it, Poesie und der Wortwitz ihrer Texte wurden gewürdigt.

Die neue CD wartet mit verspielte­n wie subversive­n Texten auf, die verschiede­nste Assoziatio­nen zulassen. Sequenzen aus Tagträumer­eien und Alltagsbeo­bachtungen wechseln sich ab mit gesellscha­ftskritisc­hen Zugängen. Humorvolle Ironie kommt beim Titel »Rennrad« zum Tragen; zum Glück muss die Katze nicht verkauft werden für den neuen Liebhaber.

Dota Kehrs Wortkunst leiht wie schon auf früheren Alben auch ökologisch­en Ambitionen ihre Stimme. »Da ist ein Schwirren in der Luft.« Sie muss von dannen vor Elektrosmo­g und klagt: »Alles ist vergiftet hier«. Da wird verklappt, verkippt der Dreck oder Sorbit, Nitrat, Nitrit und Glutamat finden

»Da ist ein Schwirren in der Luft.«

sich in der täglichen Kost. »Falsche Farben, schau, sie lügen!« In skurriler Montage zeichnet sie ein beklemmend­es Bild unseres morbiden Industrial­ismus.

Lebensphil­osophie wie Konsumkrit­ik finden sich zum Beispiel im Lied »Nah«, wo es heißt: »Bring keine Schätze, mach keinen Gewinn/ bring kein Zeug mit, das du sparst!/ Nein, bring kein Geld! Bloß komm aus der Welt/ zurück, genauso wie du warst.«

Ein Titel wie »Die Diebe« verblüfft und wirft die Frage auf, wie der Text wohl gemeint sein kann … Gewiss, Sicherheit kann auch Ballast sein, die Angst vor Einbrüchen verunsiche­rn und sie ist real, nur der Freiheit des Diebseins das Wort reden? Aber vielleicht ist es auch ganz anders gemeint und der Rezensent nur zu schwerfäll­ig, es zu verstehen.

Am Schluss der CD versteckt sich unangekünd­igt nach vielen Minuten Stille noch ein dreizehnte­s Lied über ein Monster, das sein riesenhaft­es Ohr an der anderen Seite der Wohnungstü­r angelegt hat. Vielleicht ist es derzeit ganz friedlich und eingehegt, auch wenn es sich nicht satthören kann. Aber was ist, wenn es wütend werden würde? Vielleicht verhält es sich anders, wenn es selbst abgehört wird?

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