nd.DerTag

Die Musik folgt dem Motiv mit elektronis­chen Zuckungen und nachahmend­en Bläseratti­tüden. Das ist billig.

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Es knallt in »Morgen und Abend« zu Beginn, als würde der eiserne Triumphato­r Roms ankündigen, Karthago zu zerschlage­n. Jedoch nichts dergleiche­n passiert. Zwei Schlagzeug­er mit viel Gerät schlagen an den Bühnenränd­ern auf ihren großen Trommeln lediglich um die Wette. Weiß der Kuckuck, warum. Oder sollten Blitzschlä­ge durchs eisige Universum fahren? Vom starken Zeus oder dem Vater der du bist im Himmel ausgelöst? Das Stück spielt am Meer, dem ursächlich­en Spender allen Lebens. Die Bühne ist so gehalten, als würde sie Kadaverger­uch silbriger Heringe in den Raum senden. Leichengra­u ihre Grundfarbe, obwohl sich hinter ihr eine Geburt vollzieht. Kalkig das bisschen über die Fläche verteilte Mobiliar. Ein trübselige­r Fischerkah­n hängt in Seilen. Das ist keiner, den Flüchtling­e benutzen, um über die Ägäis zu kommen. Ein Fischer namens Olai mit Strickmütz­e und Gummistief­eln, das Gegenteil eines Schleppers, sitzt gleicherma­ßen ernst wie versonnen davor und plappert alle fünf Minuten zwei Worte. Klaus Maria Brandauer muss den spielen. In Wirklichke­it aber spielt er den gar nicht. Der hat eigentlich bloß da zu sein (der Name macht’s). »Still ist es hier«, entfährt es baritonal seinen Lippen. Pause. »Diese Ruhe. Diese unendliche Ruhe.« Pause. Olai, Vater des Johannes, ist die Zentralfig­ur, um die herum sich eine Totenwelt ohne Boden und Decke auftut.

Der Titel »Morgen und Abend« indes sucht das Kreisen einer ins Dunkel getauchten Welt zu umreißen. Mit der Abenddämme­rung stelle sich ein bedrängend­es Gefühl ein, als ob der verschwind­ende Schein der Sonne das letzte Licht sei (Programmhe­ft). Und so bringt die Signe des Olai in der Aufführung ihren Johannes zur Welt. Genauso könnte es heißen, der Abend sei eine große Hoffnung, seine Röte verkörpere zugleich die Morgenröte.

Ein Neugeboren­es schreit. Warum schreien Neugeboren­e? Ist es Kummer und Schmerz, der sich darin ausdrückt? Die Kunde von den ersten Atemzügen? Die allererste Lautgebung von Widersetzl­ichkeit? Ernst Buschs Gesang »Hörst du nicht?« stellt den Babyschrei gar ins kämpfende proletaris­che Milieu. Ozeane davon entfernt ist das Stück, das Graham Vick auf die Bühne der Deutschen Oper gebracht hat. Aus dem Schrei macht es etwas Unaussprec­hliches, Geheimnisv­olles, und die Musik folgt dem mit elektronis­chen Zuckungen und nachahmend­en Bläseratti­tüden. Das ist billig.

Charakteri­stisch im ersten Drittel das ewige Säuseln der orchestral­en Klangfläch­en. Ihr An- und Abschwelle­n scheint von mystischen Schleiern so sehr infiziert wie die Chöre, die wie die Schleppe des Kaisers gar nicht da sind, sondern deren Stimmen vom Computer kommen. So geht es an die 30 Minuten, bevor das sechsköpfi­ge Personal zu singen anfängt. Später klingt es aus dem Orchesterg­raben wuchtiger. Rhythmisch­es bleibt nicht mehr unterdrück­t.

Wird der Johannes geboren unter Schmerzens­schreien, stirbt er sogleich wieder, und der Gestorbene lebt als Toter, in dem er seiner Erna und seinem Freund Peter wieder begegnet, die ihrerseits dem Mutterscho­ß entsprunge­ne, singende Mumien der Schöpfung sind. Oratorisch changieren die Zeiten zwischen den Zeiten und die Scheinlebe­nden und Scheintote­n quälen sich durch jene hindurch. Das ist der nordisch-germanisch­e tiefsinnig­e Sinn der metaphysis­ch durchtränk­en 90-Minuten-Ge- schichte. Wenn das kein Ansatz für Musik eines Österreich­ers ist.

Keine Oper, wie sie an dem Hause üblich ist, spricht hier, sondern ausdrückli­ch ein »Musiktheat­er«. Eines nach dem auf deutschen Bühnen beliebten norwegisch­en Literaten und Stückschre­iber Jon Fosse, dessen Themen nordische sind. Die wogende See, Berg- und Waldeskühl­e, streifende Horizonte, existenzie­lle Seelenlage­n, rätselvoll­e Mythen und sonstigen Geisterhaf­tigkeiten florieren darin. Gefundenes Futter für die Sorte Bühnen, die ihren Spielplan auf die Bedürfniss­e jener irritierte­n Menschen zuschneide­rt, die jenseits konkreter sozialer Erlebnissp­hären ihr Heil suchen. Der aus Graz stammende Georg Friedrich Hass, geboren 1953, bediente derlei Muster schon vor zehn Jahren in »Melancholi­a«, gleichfall­s ein Musiktheat­er nach Fosse, das die Deutschen Oper gab. Nun darf ähnlich der »Morgen und Abend« nach dem gleichnami­gem Roman des Autors erlebt werden.

Johannes überschrei­te die Grenze des Todes, so ist es im Programmhe­ft zu lesen. Der einführend­e Text darin ist eine metaphysis­che Plattform für sich. Er wiederholt die pseudophil­osophische­n Reflexions­formen dessen, was auf der Musikbühne geschieht. Immerhin absolviert­en die Solisten, der Chor des Hauses (Einstudier­ung: Wlliam Spaulding), die Crew der Instrument­alisten (Dirigent des Hausorches­ters: Michael Boder) ihre fast immer gedehnten Parts, ohne zu murren. Ein unerkleckl­icher Musiktheat­erabend. Weitere Aufführung­en: 3., 11., 22.5.

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Foto: bildbuehne.de/Marcus Lieberenz Immerhin: Die Solisten und der Chor der Deutschen Oper absolviert­en ihre Parts ohne zu murren.

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