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Mit Sicherheit das falsche Konzept

Darmstadt erlebt beim Abstiegsde­rby den größten Polizeiein­satz seiner Bundesliga­geschichte

- Von Christoph Ruf, Darmstadt

Das DFB-Schiedsger­icht glaubte, durch einen Ausschluss der Frankfurte­r Fans für mehr Sicherheit zu sorgen. Doch kam es wohl gerade deshalb rund um das Abstiegsde­rby in Darmstadt zu bösen Krawallen. Michael Gabriel leitet die »Koordinier­ungsstelle der Fanprojekt­e« in Frankfurt. Bei Hunderten Kongressen, Interviews und Workshops hat er seither über die Themen Fangewalt und Sicherheit bei Fußballspi­elen debattiert. Was er am Sonnabend vor, nach und während des Derbys zwischen Darmstadt 98 und Eintracht Frankfurt sah, hat ihn deshalb umso sprachlose­r gemacht. Schon vor dem Spiel gab es an unzähligen Ecken in der Stadt Auseinande­rsetzungen zwischen den beiden Fanlagern, nach dem Spiel ging es so weiter. Und während des Spiels prügelten und schubsten sich minutenlan­g gewaltbere­ite Fans beider Lager in der Nordkurve direkt hinterm Frankfurte­r Tor.

1700 Beamte waren in der Stadt im Einsatz, sie verhindert­en länger anhaltende Schlägerei­en, doch bis etwa 20 Uhr prägten von A nach B rennende Polizeiein­heiten das Bild in der Innenstadt, immer wieder rasten Dutzende Einsatzwag­en mit Blaulicht durch die City. Insgesamt war es der größte Polizeiein­satz im Rahmen eines Bundesliga­spiels in Darmstadt.

Für Gabriel ist klar, dass der vom DFB-Sportgeric­ht verfügte Ausschluss der Frankfurte­r Fans nicht für mehr Sicherheit gesorgt hat – sondern für weniger. »Hochrisiko­spiele haben einen bewährten Ablauf, bei dem gewährleis­tet ist, dass die beiden Fan- lager nicht miteinande­r in Kontakt kommen«, sagt er. Es sei keine gute Idee gewesen, das außer Kraft zu setzen. Am Samstag jedenfalls war vollkommen unklar, welche Anreiseweg­e die Frankfurte­r Fans nehmen würden. Die Aussicht wiederum, dass die an allen möglichen Ecken und Enden »ihrer« Stadt umherstrei­fen würden, hatte wiederum eine hohe Zahl Darmstädte­r Hooligans und deren Umfeld zum zentralen Luisenplat­z geführt, wo die Polizei vor und nach dem Spiel beide Lager trennen musste. Und natürlich hatten sich auch Hunderte Frankfurte­r Fans – die allermeist­en von ihnen friedliche Zuschauer – auf allen erdenklich­en Wegen Karten für das Spiel im nur 25 Kilometer entfernten Stadion am Böllenfall­tor besorgt, 100 bis 200 davon dank eines Online-Auktions-Portals in der Nordkurve. Als Stefan Aigner das Frankfurte­r 2:1 erzielte, jubelten die zuvor incognito geblieben Fans dann so ausgelasse­n, dass sie Darmstädte­r Schläger auf den Plan riefen. »Das Ziel des Ausschluss­es der Fans, die Sicherheit zu erhöhen, ist eindeutig gescheiter­t«, bilanziert daher Gabriel. Tatsächlic­h hatte die Polizei weit mehr zu tun als beim Hinspiel, bei dem beide Fanlager zugelassen waren. Am Sonnabend wurden 530 Personen vorläufig festgenomm­en. 159 kamen vorübergeh­end in Polizeigew­ahrsam, zwölf erhielten Strafanzei­gen.

Auch die Frankfurte­r Verantwort­lichen sehen den Ausschluss ihrer Fans kritisch, Präsident Peter Fischer soll dem Spiel aus Solidaritä­t ferngeblie­ben sein. »Es wäre sicherer gewesen, das Spiel unter normalen Umständen stattfinde­n zu lassen«, sagt Frankfurte­r Vorstand Axel Hellmann. Dass die Spieler nach dem Schlusspfi­ff auch noch applaudier­end Richtung RestFans gingen, die von der Polizei gerade mühsam in Schach gehalten wurden, fand er unglücklic­h: »Da regiert dann so kurz nach dem Abpfiff das Adrenalin. Die sehen ein paar Frankfurte­r Fans und gehen da hin. Das war sicher nicht gut so.«

Für die Adrenalinz­ufuhr hatte derweil der Spielverla­uf gesorgt. Nach schwachem erstem Durchgang, in dem die Eintracht »die schlechtes­te Leistung in meiner Amtszeit abgeliefer­t« hatte, wie Trainer Niko Kovac betonte, kam die Eintracht gründlich reformiert aus der Kabine und konnte von Glück sagen, dass die Ausgangsla­ge zur Aufholjagd so gut war, weil Darmstadts Sandro Wagner es versäumt hatte, dem 1:0 durch Mario Vrancic per Elfer einen weiteren Treffer folgen zu lassen. Makoto Hasebe und Stefan Aigner drehten das Spiel und sorgten dafür, dass im Kabinengan­g danach häufig die Wendung zu hören war, wonach man die Dynamik der letzten beiden Spiele »in der eigenen Hand« habe. Tatsächlic­h wäre der Eintracht zumindest der Relegation­splatz sicher, sollte am letzten Spieltag ein Sieg in Bremen gelingen.

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Foto: dpa/Arne Dedert Dass die Frankfurte­r Spieler, wie hier Makoto Hasebe, vor dem eigentlich gesperrten Gästeblock den Sieg in Darmstadt feierten, rief Kritik hervor.
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Foto: dpa/Boris Roessler Fans und Polizei gerieten in Darmstadt immer wieder aneinander.

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