Mit angezogener Handbremse
Am 4. Mai dieses Jahres schreibt Britta Hinrichsen um 12.18 Uhr auf die Facebook-Seite von Jan Josef Liefers einen Kommentar unter ein Video, das den neuen »Tatort« angekündigt: »Den Trailer hatte ich schon durch Axel Prahl gesehen und kann mich immer noch köstlich amüsieren, wie Ihr Eure Kritiker auf’s Korn nehmt... Tja, wer kann, der kann, hihi [›wink‹-Emoticon] Ihr seid einfach ›köstlich‹…«
In dem kurzen Film, der im Internet tausendfach kommentiert und hunderttausendfach aufgerufen worden ist, sind Liefers und Prahl zu sehen. Liefers sagt: »Meine Damen und Herren, es ist wieder soweit, Sonntag, 20.15 Uhr, Münster-Tatort«. Und Prahl verspricht: »Jetzt neu: Mit 20 Prozent mehr Klamauk.« Dann drücken sich beide eine Sahnetorte ins Gesicht, was wohl die Anführungszeichen um das »köstlich« in Britta Hinrichsens Kommentar motiviert.
Solch ein Video setzt Selbstbewusstsein voraus und vor allem ein Image, also etwas, auf das sich anspielen, mit dem sich umgehen lässt. Das wäre zum einen das Figurenpaar Thiel und Boerne, das man in den Schauspielern Prahl und Liefers sofort wiedererkennt, wenn sie nur miteinander auftreten (etwa in der Werbung). Und das wäre zum anderen die allgemeine Begleiterzählung zum »Tatort« aus Münster, die als einzige Entwicklungsstufe im seit 2002 laufenden Schauplatz auf eben »Klamauk« erkennt.
Klingt gemeinhin ungefähr so: Früher war es lustig, in letzter Zeit ist nur noch Klamauk, wobei wie immer offenbleibt, wann früher vorbei war und ob »Klamauk« eine wirkliche Enttäuschung ist; die hochgerechneten Einschaltquoten haben Rekordzahlen erst in den letzten Jahren erreicht.
Lustig an dem Filmschnipsel zu der neuen Münster-Folge ist nun aber: dass das Versprechen nicht eingehalten wird, sondern selbst nur Klamauk sein will. »Ein Fuß kommt selten allein« (WDR-Redaktion: Nina Klamroth) pflegt die mittleren Tonlagen des Schauplatzes, obwohl die Matthias Dell schreibt über Theater und Kino unter anderem bei »Freitag« und »Theater der Zeit«. Von ihm erschien: »Herrlich inkorrekt«. Die Thiel-BoerneTatorte (Bertz+Fischer, 2012). Münster-Erfinder und Stammautoren Stefan Hinter und Jan Cantz das Drehbuch verfasst haben. Es wird rumgewitzelt, und der Fall wird konventionell ermittelt.
Eine Stelle gibt es, an der das Potenzial für die zusätzlichen 20 Prozent Klamauk erkennbar wird, nämlich wenn Thiel (Prahl) und Boerne (Liefers) eine Art Domino mit Sprichwörtern spielen, »verquatscht«, wie das bei Hans Rosenthals großer Radioshow »Allein gegen alle« vor 50 Jahren gehießen hätte. Boerne: »Eine alte Oma ist kein Motorrad.« Thiel: »Das heißt: Ein alter Mann ist kein D-Zug.« Bo- erne: »Wer weiß denn heute noch, was ein D-Zug ist?« Thiel: »Und die Oma ist die, die im Hühnerstall Motorrad fährt.« Boerne: »Hühnerstall? Da ist doch gar kein Platz, höchstens in einer Legebatterie.«
Der Ausflug ins Absurde ist aber nicht nur schnell zu Ende, ihm fehlt es auch an Tempo (Regie: Thomas Jauch). Der Film scherzt mit angezogener Handbremse, und will seine Einfälle vorzeigen: Es reicht nicht, dass Boerne und Frau Haller am Ende Tango tanzen (ein schöner Moment), es muss hintendran wie ein Outtake im Film noch Boernes DiscoDance zu »I will survive« vorgezeigt werden.
Dabei sind die Gegensätze und Charaktere, siehe Image, in Münster ja gut entwickelt, gäbe es für die Kabbeleien zwischen Boerne und Thiel oder auch Boerne und Frau Haller (ChrisTine Urspruch) jenseits der »Größe«-Gags genügend Stoff. Genauso wie Thomas Heinze, hier als Orthopäde und Tanzvereinspräsident mit drolligem Schnurrbart, als Schauspieler schon eine gewisse Komik mitbringt, für die sich »Ein Fuß kommt selten allein« lohnt.
Der Kriminalfall erweist sich als bieder-gewöhnliches Indizien-Addieren mit gewissen humoristischen Schlenkern (wie dem verlorenen Fuß), aber so ernst wie etwa Köln würde Münster den krassen Performancedruck, die geschundenen Füße und das Fassadengegrinse im Turniertanzgeschäft nie nehmen.
Dadurch bleibt alles so mittel im Ton – bis auf den Umstand, dass in »Ein Fuß kommt selten allein« wiederum fast dokumentarisch von einem Verbrechen die Rede ist, das im »Tatort« nicht häufig zur Sprache kommt: Vergewaltigung.