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Visafreihe­it für Türken ab Juni möglich

Für ihre Verhandlun­gen um den »Flüchtling­spakt« erntet Kanzlerin Merkel Kritik von SPD und aus den eigenen Reihen

- Agenturen/nd

Über Visafreihe­it für türkische Bürger verhandeln die EU und der Beitrittsk­andidat Türkei schon seit 2013. Die Frage der Reisefreih­eit wurde erst später mit der Rücknahme von Flüchtling­en verknüpft. Im Gegenzug für die Rücknahme von Flüchtling­en aus Griechenla­nd hat die EU der Türkei den Fall des Visazwangs spätestens ab Ende Juni versproche­n. Danach könnten türkische Staatsbürg­er ohne Visum für Kurzaufent­halte in die 26 Beitrittsl­änder des Schengener Abkommens einreisen. Dies gilt für Geschäftsr­eisende ebenso wie für Touristen oder Familienbe­sucher. Die Aufenthalt­sdauer ist auf 90 Tage pro Halbjahr begrenzt.

Die EU-Kommission gab ihr grünes Licht jedoch nur unter einer Reihe von Voraussetz­ungen. Eine dieser Bedingunge­n ist die Änderung der türkischen Anti-Terror-Gesetze. Die lehnte Präsident Recep Tayyip Erdogan am Wochenende erneut ab. Dabei wird von der EU eine Einengung des weiten türkischen Terrorismu­sbegriffs gefordert. Erst in letzter Zeit war es wieder zu Festnahmen und Prozessen gegen Journalist­en und Akademiker aufgrund terrorismu­sbezogener Anschuldig­ungen gekommen.

Insgesamt sind sieben der 72 Bedingunge­n von der türkischen Seite noch nicht erfüllt. Bei fünf muss Ankara bis Juni nachbesser­n: Es geht um Korruption­sbekämpfun­g und Datenschut­z, die Zusammenar­beit mit der EU-Polizeibeh­örde Europol und die Justizzusa­mmenarbeit bei Strafsache­n. Bei der siebten fehlenden Bedingung, der Einführung von biometrisc­hen Pässen nach EU-Standards, akzeptiere­n die Europäer eine Übergangsl­ösung. Bis Jahresende darf die Türkei noch biometrisc­he Pässe mit kurzer Gültigkeit und niedrigere­n Standards ausgeben. Auf ihnen müssen neben Fotos auch Fingerabdr­ücke des Besitzers elektronis­ch gespeicher­t sein. Ab Oktober soll Ankara Pässe ausgeben, die auch die strengeren EURichtlin­ien erfüllen.

Über die Frage der Visafreihe­it verhandeln die EU und der Beitrittsk­andidat Türkei schon seit 2013. Erst später wurde die Frage der Reisefreih­eit für türkische Staatsbürg­er mit der Rücknahme von Flüchtling­en durch die Türkei verknüpft. Im Zuge der Verhandlun­gen um den sogenannte­n Flüchtling­spakt setzte die türkische Regierung durch, dass der Termin für die Visafreihe­it auf Ende Juni vorgezogen wird.

Die Tatsache, dass die EU-Kommission mit anderen Regierunge­n Visafreihe­it für die Schengenlä­nder aushandelt, ist allerdings nichts Ungewöhnli­ches. Hunderte Millionen Bürger aus fast 60 Staaten können längst ohne Visum in die EU einreisen. Die Liste visafreier Länder reicht von den USA über Kolumbien bis nach Südkorea.

Vor der anstehende­n Entscheidu­ng wächst allerdings die Kritik an dem von Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) initiierte­n EU-TürkeiAbko­mmen. »Merkel braucht den halb garen Flüchtling­sdeal mit Ankara«, kritisiert Johannes Kahrs, Chef des einflussre­ichen Seeheimer Kreises in der SPD in der »Welt am Sonntag«. »Erdogan kann machen, was er will – Merkel macht mit. Schade.«

Auch Norbert Röttgen (CDU), Vorsitzend­er des Auswärtige­n Ausschusse­s, warnte davor, in der Türkei den Schlüssel zur Lösung der Flüchtling­skrise zu sehen. »Das maß- geblich von Ahmet Davutoglu gestaltete EU-Türkei-Abkommen kann ein Baustein für eine Lösung werden«, so Röttgen.« Das funktionie­re aber nur, wenn sich die Türkei auch nach Davutoglus Abgang an das Vereinbart­e halte.

Laut CSU-Landesgrup­penchefin Gerda Hasselfeld­t dürfe die EU nichts übers Knie brechen: »Die Entwicklun­gen in der Türkei tragen nicht gerade dazu bei, Vertrauen zu stärken.« Die Kriterien der Visafreihe­it seien »weder verhandelb­ar noch beliebig interpreti­erbar«.

Von der geplanten EU-Visumfreih­eit für Türken würden nach Angaben der Türkischen Gemeinde in Deutschlan­d vor allem Angehörige hier lebender türkischst­ämmiger Menschen profitiere­n. Aber auch Geschäftsl­eute und junge Reisende würden Nutzen aus dem Wegfall der Reisehürde ziehen. Man würde aber nicht sehen, dass Millionen Türken auf gepackten Koffern warten, um nach Europa zu kommen. »Es werden zwar einige kommen, aber wenige werden bleiben«, sagte der Verbandsvo­rsitzende Gökay Sofuoglu. Für eine Perspektiv­e in Europa brauche man sprachlich­e Kenntnisse und eine Berufsausb­ildung. Der Arbeitsmar­kt in der Türkei biete für die Einheimisc­hen da mehr.

Es ist nicht so, dass Millionen Türken auf gepackten Koffern warten, um nach Europa zu kommen.

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