Die McDonaldisierung der Medizin
Das TTIP-Abkommen könnte auch gravierende Folgen für den Gesundheitssektor haben
Ob verstärkte Krankenhausprivatisierungen oder Verhinderung von günstigen Medikamenten: Durch TTIP könnte der Gesundheitsbereich noch mehr der Geschäftemacherei preisgegeben werden. Die kürzlich von Greenpeace veröffentlichten Dokumente über den TTIP-Verhandlungsstand bestätigten die Kritiker des geplanten Freihandelsabkommens zwischen Europa und den USA. Die geleakten Papiere machen deutlich, dass es nicht einfach um eine weitere Liberalisierung des Außenhandels geht. Europäische Kommission und USA verhandeln darüber, wie die öffentliche – und demokratisch verantwortete – Daseinsvorsorge dem Abkommen unterworfen werden kann. Damit wären auch bisherige nationale Regelungen im Gesundheitssektor angreifbar. Nicht nur öffentlicher Nahverkehr, Wasser- und Stromversorgung könnten privatisierte werden, sondern ebenso Krankenhäuser und Pflegeheime. Dieser Prozess ist zwar bereits auf dem Weg, wird aber zum Teil durch nationale Gesetzgebung abgefedert.
Mit dem geplanten Investorenschutz könnten die global stärksten Unternehmen ungehindert zum Zuge kommen – und sich etwa gegen Rekommunalisierungen wehren. Einmal erfolgte Privatisierungen würden unumkehrbar.
Doch das ist nicht alles. Nach dem möglichen Abschluss des umstrittenen Abkommens wird dieses in Konsultationen weiterentwickelt. Dann wird es möglich, absehbare Gesetzgebung, die sich als Investitionshindernis erweisen könnte, schon vorab zu stoppen.
Kritik aus der Gesundheitsbranche an dieser Entwicklung kam bisher eher zögerlich. Jedoch äußerte sich Frank Ulrich Montgomery, Präsident der Bundesärztekammer, schockiert über die nun vorliegenden Dokumente. Er forderte die europäischen Verhandlungsführer vergangene Woche auf, »mit sofortiger Wirkung alle Gesundheitsdienstleistungen, - standards und -leitlinien aus den TTIP-Verhandlungen zu streichen«. Seine Schlussfolgerung aus den geleakten Unterlagen: »Offensichtlich sehen die USA alle bewährten Standards des Gesundheitswesens in Deutschland und Europa als Handelshemmnisse an.« Montgomery hält eine »McDonaldisierung der Medizin« als Gegenleistung für mehr Autoexporte für inakzeptabel.
Warnend äußerte sich auch die deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) in ihrem jüngst veröffentlichten »Jahrbuch Sucht«: Auch Tabakprodukte sollten aus dem Abkommen ausgeschlossen werden, so der Vorschlag. Der größte globale Player auf diesem Markt, Philip Morris International Inc., beziehe sich schon jetzt auf bestehende Handelsabkommen, um nationale Gesundheitsgesetze juristisch zu attackieren. So wurde Australien wegen seiner Entscheidung für Zigaretten-Einheitsverpackungen verklagt.
In der EU tragen die Mitgliedsstaaten die volle Verantwortung für die Organisation ihres Gesundheitswesens, der Einfluss der Europäischen Kommission wächst aber kontinuierlich. Rein formal darf das nur »unterstützend und ergänzend« geschehen, jedoch werden schon jetzt Qualitäts- und Sicherheitsstandards für Arzneimittel und Medizinprodukte gemeinsam festgelegt. In den TTIP-Verhandlungen geht es gerade um die Beseitigung solcher Standards oder Gesetze, die Handelshemmnisse darstellen. Bislang gab es auch in Deutschland die Hoffnung, dass das Abkommen dazu beitragen könnte, von höheren Standards bei Medizinprodukten in den USA zu profitieren – hier sind Überwachung und Marktzugang genauer und transparenter geregelt als in Europa.
In Gefahr wären mit dem geplanten Abkommen aber auch diverse patentrechtliche Vorkehrungen, die zum Beispiel nach Patentablauf günstige Nachahmerprodukte möglich machen. Klagen großer Hersteller gegen die Patentpolitik von Staaten wie Indien oder Südafrika zeigen mögliche Muster. Weiter könnten die Standards für patentwürdige Produkte gesenkt – etwa für minimal veränderte Wirkstoffe – und so fortlaufend hohe Einnahmen für die Unternehmen gesichert werden. Eine bezahlbare Arzneimittelversorgung würde dadurch in Frage gestellt.
Auswirkungen auf das Gesundheitssystem haben auch weitere Themen, zu denen die EU Regelungen plant – so das Verbot von hormonähnlichen Chemikalien, den »endokrinen Disruptoren« oder die Regulierung von Nanopartikeln. Mit TTIP könnten diese Vorhaben verhindert werden – mit Auswirkungen auf künftige Gesundheitslasten und -kosten.