Nachkriegsmoderne unerwünscht
Hamburgs City-Hochhäuser sollen abgerissen werden – Denkmalschutz hat in der Hansestadt einen schweren Stand
Seit einem Großbrand 1842 ist Neubau eine prägende Idee der Neugestaltung in Hamburg. Jetzt trifft es die vier City-Hochhäuser. Sie sollen abgerissen werden. Es gibt kaum ein Denkmal in Hamburg, das häufiger von Menschen besucht wird. Tausende Bürger sind schon in den vier City-Hochhäusern gewesen, weil das Bezirksamt Hamburg-Mitte der Hauptmieter ist. Jeden Tag bilden sich Schlangen von Menschen, die ihren Ausweis oder Reisepass verlängern lassen. Sie nutzen den Fotofix-Automaten – oder gehen zum Baran Coffee Kiosk nebenan, wo es zwei Passbilder mehr für einen Euro weniger gibt.
Fuat Hüseyin Cetin vom Baran Coffee Kiosk rollt die weiße Leinwand für den neutralen Bildhintergrund wieder zurück. Gerade hat er wieder eine Kundin fotografiert und geht mit der Digitalkamera zum Drucker. »Es interessiert kein Schwein, wer hier arbeitet«, schimpft der 44Jährige. Nach Stand der Dinge muss Cetin spätestens im nächsten Jahr seinen Arbeitsplatz räumen: Die City-Hochhäuser, 1956 erbaut und 2013 unter Denkmalschutz gestellt, sollen einem Neubau weichen.
»Die schlichten Häuser hatten von Anfang an eklatante, funktionale Schwächen«, begründet der SPDStadtentwicklungsexperte Dirk Kienscherf. Beim City-Hof ist tatsächlich so ziemlich alles falsch gelaufen, was nur falsch laufen konnte. Ursprünglich strahlte das Viererensemble in glänzendem Weiß und spannendem Kontrast zu den umgebenden Backsteinbauten, doch weil die Leca-Keramikplatten das berüchtigte Hamburger Wetter schlecht vertrugen, wurden die Gebäude in den 1970er Jahren mit Eternit verkleidet. Seitdem vermittelt das Dokument der architektonischen Nachkriegsmoderne graue Langeweile – inmitten des Kontorhausviertels zwischen Hauptbahnhof und HafenCity, in unmittelbarer Nachbarschaft zu spektakulären Repräsentationsbauten wie Chilehaus, Deichtorhallen, Akademie der Künste oder dem neuen Spiegel-Gebäude.
Aufpolieren oder abreißen: In Hamburg wird am Beispiel der vier Hochhäuser wieder einmal über den Stellenwert des Denkmalschutzes diskutiert. »Im jetzigen Zustand sind die Häuser potthässlich«, sagt Torsten Bernhard, »aber auf alten Bildern sehen sie todschick aus.« Der 46- Jährige betreibt ein Antiquariat im City-Hof, der einst auch als pulsierende Ladenpassage gedacht war. Viele Händler haben aber bereits aufgegeben, wenige Meter von der Konsummeile Mönckebergstraße finden sich noch Asia-Läden, Kioske oder ein Künstleratelier.
»Ich bezweifle, dass sie für einen Erhalt das Rückgrat haben«, meint Antiquar Bernhard und zitiert einen Ausspruch von Alfred Lichtwark, der 1886 erster Direktor der Hamburger Kunsthalle wurde und von der Hansestadt als »Freie und Abrissstadt« sprach – ein Schmähtitel, den auch eine Initiative zur Rettung der CityHochhäuser übernommen hat. Tatsächlich zeichnet sich das vom Kaufmannsgeist geprägte Hamburg historisch betrachtet nicht gerade durch
Weil die LecaKeramikplatten das berüchtigte Hamburger Wetter schlecht vertrugen, wurden die Gebäude in den 1970er Jahren mit Eternit verkleidet. Nun vermitteln sie graue Langeweile.
konservatorischen Übereifer aus. Kulturbelange waren stets dem ökonomischen Denken untergeordnet – der Denkmalschutz hatte es immer schwer in der Stadt der Pfeffersäcke. Seitdem der Große Brand vom Mai 1842 das Bild der wachsenden Großstadt einschneidend verändert hat, ist die Neugestaltung, wenn auch möglichst feuerfrei, zu einer prägenden Idee geworden.
Da mag die Deutsche Stiftung Denkmalschutz noch so sehr von einem »beschämenden Zeichen einer alle Ressourcen negierenden Unvernunft« sprechen: Die Bürgerschaft ebnete Ende März mit rot-grüner Regierungsmehrheit den Weg für den Abriss, nachdem in einer Ausschreibung das auf Neubau setzende Prien-Konsortium für 35 Millionen Euro den Zuschlag erhalten hatte. Nun soll ein internationaler Architekturwettbewerb klären, wie die Zukunft des Innenstadtareals aussehen wird. Favorisiert wird ein BüroHotel-Wohnungs-Mix.
Die Bagger können aber noch lange nicht anrollen. »Erst nach einer umfassenden öffentlichen gesamt- hamburgischen Diskussion wird über einen Abriss zu entscheiden sein«, verspricht Olaf Duge, Bürgerschaftsabgeordneter der mitregierenden Grünen. Um den Weltkulturerbe-Status des Kontorhausviertels nicht zu gefährden, muss die Stadt sich zunächst mit der UNESCO auseinandersetzen, ehe die Kulturbehörde den Denkmalschutz aufheben könnte.
Dabei dürften innerhalb der Stadtregierung Konflikte auftreten. Denn die parteilose Kultursenatorin Barbara Kisseler ist dem Vernehmen nach für eine Sanierung, fand dafür im rot-grünen Senat aber keine Mehrheit. Und manchem Denkmalschützer mutet es seltsam an, dass ein Entwurf, der einen Erhalt vorsah, zwar die Vorrunde der städtischen Ausschreibung gewann, in der Endrunde aber aus formalen Gründen ausgeschlossen wurde.
»Der Senat fegt den historischen Wert des City-Hofs vom Tisch und begründet den Abriss plump mit fehlender Schönheit«, kritisiert Heike Sudmann von der LINKEN-Bürgerschaftsfraktion und befürchtet weitreichende Folgen: »Damit schafft er den endgültigen Präzedenzfall, auf den sich Eigentümer berufen können, um gewinnbringende Neubauten über den Denkmalschutz zu stellen.«
Der SPD-Abgeordnete Kienscherf kontert, es gebe eine »Verantwortung, städtebauliche Fehler auch beheben zu wollen und endlich eine adäquate Lösung zu schaffen«. Das liegt ganz im Sinne von Oberbaudirektor Jörn Walter, der nach den mehrheitlich abgelehnten Olympiaplänen nun durch einen Neubau »das Kontorhausviertel vervollständigen und einen schönen Stadteingang gestalten« will.