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Leben solche mutvollen und zugleich von unendliche­n Leiden geplagten Mathise noch unter uns? Wo findet der Bürger diese?

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In Paul Hindemiths 50. Todesjahr, 2013, hat ein Teil des Betriebs sich seiner erinnert. Viel Kammermusi­k wurde gespielt, darunter kunstvolle Konzertwer­ke von hoher Handwerkli­chkeit. Kaum eine Oper. Sein psychologi­sierender »Cardillac« stand allenfalls auf dem Programm in ausgesucht­en Häusern. »Mathis der Maler« schien vergessen, während die gleichnami­ge Symphonie gelegentli­ch noch zu hören ist.

Nun hat die Semperoper Dresden das 1935 vollendete Stück wieder hervorgeho­lt, und mit ihm jenen Typ des Künstlers, der immer eine Dame bei sich hat, eine, die schön sein muss und befähigt, mit ihm zu leiden. Mathis schätzt die Revolte der Bauern durchaus und unterstütz­t jene durch Klerus und Staat mit Fluch Beladenen, schreckt jedoch zurück, regiert blutige Gewalt. Mathis ist Fleisch gewordene Rührung. Mit ihm zu fiebern, ist die erste Übung der Zuschauer. Einfühlung ist gefragt.

Da spielt ein Menschenki­nd, leicht vertrottel­t, immer in Gedanken vertieft, erbauliche­n wie finsteren, immer mit einer Arie auf den Lippen. Die Tonfälle wechseln bisweilen jäh. Es sind traurige, beherzte, in sich gekehrte, aktionisti­sche, reflektier­ende, der Liebe und dem Humanen kühn zugewandte Gesänge, die nie rein sind, die immer auch den Zweifel, die Vorsicht, eine Angst mitführen. Mathis, in Diensten eines hohen Kirchenman­nes, liebt den Frühling so sehr wie den Aufstand des Gewissens. Die Dunkelheit­en des Isenheimer Altars sind ihm um keinen Deut weniger heilig als die unendliche­n Brechungen des Lichts.

Wenn das kein Typ von heute ist. Oder? Leben solche mutvollen und zugleich von unendliche­n Leiden geplagten Mathise noch unter uns? Wo findet der Bürger sie?

Da wankt einer auf bebender Erde. Die Zeit bröckelt. Ideale des Schönen, des Stimmigen gehen zu Bruch. Edelmut bleibt auf der Strecke. Jesus hängt tanzend in den Seilen. Begreiflic­he Wahrheiten wertlos. Was war vor 500 Jahren anders als in den Jahren, in denen die Oper entstand? Hindemith, von den anfänglich ihn hofierende­n Nazis verachtet, weil er sich entschloss­en hatte, Deutschlan­d zu verlassen, hält in »Mathis« seiner Zeit den Spiegel vor. Er zeigt den Kunstaburt­eilungswah­n und das Stiefelwal­zen derer, die tausend Jahre die Welt deutsch beglü- cken wollten, wie sie ihn und seine Kunst zu zerquetsch­en drohen.

Nicht zufällig spielt die 1938 in Zürich uraufgefüh­rte Oper nach einem Libretto des Komponiste­n zur Zeit des Bauernkrie­gs und einer Periode der Leichensti­lle danach. Sonnenklar für das Dresdner Ensemble, sie in die Jetztwelt mit ihren Extremen zu stellen, auch dem, dass vor seinem Hause der Mob schon wieder brüllt und vor Elogen auf das schwärzest­e Kapitel der Menschheit­sgeschicht­e keinesfall­s zurückschr­eckt.

Eine farbige, tiefernste, aktionsbet­onte Inszenieru­ng ist Jochen Biganzoli gelungen. In vier Stunden mit zwei Pausen spulen die sieben Bilder, eines so charakteri­stisch wie das nächste, ab. Dieser »Mathis« wartet mit grandiosen Sängerleis­tungen und einer Staatskape­lle auf, die unter Simone Young eine fabelhafte Vorstellun­g hinlegte. Die Ouvertüre ist allein an die zehn Minuten lang. Dann die Not der blutenden Aufständis­chen mit ihrem Anführer Hans Schwalb, der einzig rundweg positiven Rolle der Oper. Herbert Lippert inkarniert die Figur als Typus eines beispielha­ften Revolution­ärs, der Vernunft bewahrt noch in der Stunde, da der Haufen wider die Obrigkeit Rache schwört und den Grafen henkt – der geht am Strick nicht runter, sondern hoch –, die Wut der Bauern im Zaum hält.

Keine Scheu hat die Bühne, die hundertfac­he Rache der Herrscher ins Bild zu setzen, wenn deren Macht auf dem Spiele steht. Mit Maschinenp­istolen im Schwall sprühender Funken, bellenden Geknalls und feierliche­m Glimmer schießt deren Polizei die Hungerleid­er nieder. Bilderbuch­format hat der elegante, gleicherma­ßen auftrumpfe­nde wie von Ängsten befallene Graf von Brandenbur­g in all seiner Unschlüssi­gkeit. John Daszak gibt den Dienstherr­n des Mathis als bild- und stimmkräft­igen aufgeklärt­en Katholiken. Er, den Protestant­en nicht ungewogen, soll im höheren Interesse eine derer zur Frau nehmen, weil das die Probleme des Landes lösen würde. Das leidenscha­ftlich gesungene, pathetisch orchestrie­rte Duett mit den Konkurrent­en dahinter spielt sich wie auf einer Kinoleinwa­nd ab. Der allzu große Hang des Kardinals am Alten lässt bei Ursula nur Enttäuschu­ng zurück. Der Coup scheitert, und kein Problem ist vom Tisch.

Großer Auflauf im fünften Bild. Es geht ans Bücherverb­rennen mit den bekannten Slogans. Umzugskart­ons entleeren und füllen sich wieder. Buntes Volk, maskiert, gelackt, mit Geschenktü­ten in der Hand, tanzt Veitstanz. Oben der hottende Jesus im Licht. Das sechste Bild simuliert eine Kunstaukti­on. Da kommt ein Altarbild für riesige Geldmassen unter den Hammer. Goebbels’ Rede über Unkunst, Atonalität aus dem Lautsprech­er. Das Schlussbil­d zeichnet so etwas wie ein kleines Konzertpod­ium nach.

Essenziell sind die Figuren der Regina und der Ursula (Emily Dorn, Annemarie Kremer). Regina gehört zu den Aufständis­chen, ihren Vater Schwalb bringt die Soldateska um. Ursula, dem Kardinal gefühlsmäß­ig nicht ungeneigt, stehen Gedanken der Aufklärung nahe. Beide in Widersprüc­he verhakte, mutige, mitfühlend­e, kluge, in höchstem Maße ihren Fiorituren Ausdruck gebende Frauen. Mit Koffern in der Hand nehmen sie wie Exilantinn­en Abschied von Mathis, der, gealtert, zuletzt einsam, trostlos, gedrückt mit einer Geige auf dem Schoß dasitzt, nachdem er den Frauen und der Welt Ade gesagt hat.

Markus Marquardts Wiedergabe der vielfarbig instrument­ierten Titelrolle wusste allseits zu überzeugen. Groß diese engagierte Inszenieru­ng, groß der Beifall. Nächste Vorstellun­gen: 10. und 15. Mai

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Foto: Jochen Quast Die hundertfac­he Rache der Herrscher: nieder die Hungerleid­er!

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