Raus aus dem eigenen Saft
Chefbundestrainer Henning Lambertz setzt vor Olympia auf neue Kooperationen im deutschen Schwimmteam
Olympia als Nullnummer der Schwimmer wie 2012 in London – das könnte ein Einzelfall bleiben. Denn Biedermann & Co. machen bei den deutschen Meisterschaften in Berlin Mut für die Spiele 2016 in Rio. Ein paar Sekunden hing Paul Biedermann mit ausgestrecktem Arm am Beckenrand, dann glitten schon die ersten Gratulanten auf ihn zu. Noch im Wasser gab es das erste Gruppenfoto mit Deutschlands schnellsten Kraulern, dann drückte Biedermann seine 95 Kilogramm aus dem Becken. Mit seiner Siegerzeit von 1:45,45 Minuten über 200 Meter Freistil hatte er die geforderte Olympianorm für Rio de Janeiro locker erfüllt. In den nächsten zwei Monaten müssen er und die anderen Olympiakandidaten ihre Leistungen von Berlin in einem zweiten Wettkampf bestätigen, spätestens bei den German Open Anfang Juli.
Eine Formalie für Biedermann, dennoch war der 29-Jährige froh über drei Tage Pause. »Es war doch viel Aufregung herum. Ich konnte heute nicht recht schlafen. So eine Olympiaqualifikation bringt doch eine besondere Anspannung«, sagte Biedermann, nachdem er über 200 m Freistil gerade die weltweit zweitbeste Zeit in diesem Jahr hingelegt hatte.
Doch nicht nur die bestandene Nervenprobe behagte dem Doppelweltmeister von 2009, sondern auch die Kerle, die gleich hinter ihm durchs Wasser geschossen waren. Mit dem zweitplatzierten Florian Vogel und Christoph Fildebrandt erfüllten zwei weitere Freistilspezialisten die Norm. Zusammen mit dem Heidelberger Clemens Rapp, am Sonntag Vierter, dürften sie in Rio eine starke 4x200Meter-Staffel bilden. »Mit Vogel und Fildebrandt habe ich zuletzt die ganzen Trainingslager gemacht. Es ist toll, dass die Jungs jetzt solche Knallerzeiten rausgehauen haben«, freute sich Biedermann. »So viel Qualität hatten wir auf der Strecke in Deutschland lange nicht mehr.«
Der Münchner Vogel (21) schickte dem Hallenser Biedermann, schon 2015 immer mal sein Trainingspartner, die warmen Worte postwendend zurück. »Ich hatte die Ehre, mit dem größten deutschen Schwimmer zusammen zu trainieren.« Mit dem fünf Jahre älteren Fildebrandt zog Vogel Paul Biedermann nach dem Sieg über 200 m Freistil nun ebenfalls wieder gemeinsam Bahnen – »zum ersten Mal seit Langem«, wie er betonte.
Über den heimischen Beckenrand hinaus zu schauen – das hatten in der Vergangenheit schon einige Cheftrainer des DSV gefordert. Oder, wie Weltmeister Marco Koch – am Sonntag trotz Schulterbeschwerden mit einer weiteren Weltklassezeit über 200 Meter Brust – häufig den Wettkampf mit der internationalen Konkurrenz zu suchen. Die Aufrufe stießen nicht immer auf offene Ohren. Inzwischen aber sind gerade im nationalen Bereich verstärkte Kooperationsbewegungen festzustellen.
Ausgesprochen reiselustig war im Olympiajahr 2016 bislang Alexandra Wenk. Die 21-jährige Münchnerin tourte über einen Monat lang in diversen Trainingslagern durch die Welt. Zuerst in der Türkei, wo sie sich unter anderem mit den Hamburger Schwimmern um Petra Wolfram für die deutschen Meisterschaften trimmte. Danach flog Wenk direkt weiter auf die Kanarischen Inseln, um sich mit ihrer eigenen Trainingsgruppe und der von Frank Embacher aus Halle den letzten Feinschliff für Berlin zu holen. Dort schwamm sie am Wochenende über 200 Meter Lagen und 100 Meter Schmetterling insgesamt vier deutsche Rekorde.
»Sie hat sich schöne Umgebungen geschaffen, wo sie richtig gut und sorgenfrei trainieren konnte«, hat Henning Lambertz erkannt. Aber auch der Chefbundestrainer trägt dazu bei, dass Deutschlands Bahnenzieher nicht ständig im eigenen Saft schmoren: Im Januar brachte er eine fast 50köpfige Gruppe bei einem dreiwöchigen Trainingslager in Thailand zusammen. Dort trennte er die Athleten dann ganz bewusst nicht in Perspektiv- und Olympiateam, sondern ließ sie nach Disziplinen trainieren.
»Das war für die Kiddies eine super Erfahrung. So waren junge Typen wie Damian Wierling mit den älteren Leuten wie Paul Biedermann oder Marco di Carli in einer Gruppe«, erzählt Lambertz, für den die neuen Querverbindungen zugleich Herausforderungen bedeuten. Denn auch beim Projekt Höhentraining, bei dem sogar schon das 16-jährige Potsdamer Talent Johannes Hintze mitmacht, wird stark kooperiert – zwischen den Bundesstützpunkten Berlin, Heidelberg und Hamburg.
»So viel Qualität hatten wir auf der Strecke in Deutschland lange nicht mehr.«