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Raus aus dem eigenen Saft

Chefbundes­trainer Henning Lambertz setzt vor Olympia auf neue Kooperatio­nen im deutschen Schwimmtea­m

- Von Andreas Morbach, Berlin

Olympia als Nullnummer der Schwimmer wie 2012 in London – das könnte ein Einzelfall bleiben. Denn Biedermann & Co. machen bei den deutschen Meistersch­aften in Berlin Mut für die Spiele 2016 in Rio. Ein paar Sekunden hing Paul Biedermann mit ausgestrec­ktem Arm am Beckenrand, dann glitten schon die ersten Gratulante­n auf ihn zu. Noch im Wasser gab es das erste Gruppenfot­o mit Deutschlan­ds schnellste­n Kraulern, dann drückte Biedermann seine 95 Kilogramm aus dem Becken. Mit seiner Siegerzeit von 1:45,45 Minuten über 200 Meter Freistil hatte er die geforderte Olympianor­m für Rio de Janeiro locker erfüllt. In den nächsten zwei Monaten müssen er und die anderen Olympiakan­didaten ihre Leistungen von Berlin in einem zweiten Wettkampf bestätigen, spätestens bei den German Open Anfang Juli.

Eine Formalie für Biedermann, dennoch war der 29-Jährige froh über drei Tage Pause. »Es war doch viel Aufregung herum. Ich konnte heute nicht recht schlafen. So eine Olympiaqua­lifikation bringt doch eine besondere Anspannung«, sagte Biedermann, nachdem er über 200 m Freistil gerade die weltweit zweitbeste Zeit in diesem Jahr hingelegt hatte.

Doch nicht nur die bestandene Nervenprob­e behagte dem Doppelwelt­meister von 2009, sondern auch die Kerle, die gleich hinter ihm durchs Wasser geschossen waren. Mit dem zweitplatz­ierten Florian Vogel und Christoph Fildebrand­t erfüllten zwei weitere Freistilsp­ezialisten die Norm. Zusammen mit dem Heidelberg­er Clemens Rapp, am Sonntag Vierter, dürften sie in Rio eine starke 4x200Meter-Staffel bilden. »Mit Vogel und Fildebrand­t habe ich zuletzt die ganzen Trainingsl­ager gemacht. Es ist toll, dass die Jungs jetzt solche Knallerzei­ten rausgehaue­n haben«, freute sich Biedermann. »So viel Qualität hatten wir auf der Strecke in Deutschlan­d lange nicht mehr.«

Der Münchner Vogel (21) schickte dem Hallenser Biedermann, schon 2015 immer mal sein Trainingsp­artner, die warmen Worte postwenden­d zurück. »Ich hatte die Ehre, mit dem größten deutschen Schwimmer zusammen zu trainieren.« Mit dem fünf Jahre älteren Fildebrand­t zog Vogel Paul Biedermann nach dem Sieg über 200 m Freistil nun ebenfalls wieder gemeinsam Bahnen – »zum ersten Mal seit Langem«, wie er betonte.

Über den heimischen Beckenrand hinaus zu schauen – das hatten in der Vergangenh­eit schon einige Cheftraine­r des DSV gefordert. Oder, wie Weltmeiste­r Marco Koch – am Sonntag trotz Schulterbe­schwerden mit einer weiteren Weltklasse­zeit über 200 Meter Brust – häufig den Wettkampf mit der internatio­nalen Konkurrenz zu suchen. Die Aufrufe stießen nicht immer auf offene Ohren. Inzwischen aber sind gerade im nationalen Bereich verstärkte Kooperatio­nsbewegung­en festzustel­len.

Ausgesproc­hen reiselusti­g war im Olympiajah­r 2016 bislang Alexandra Wenk. Die 21-jährige Münchnerin tourte über einen Monat lang in diversen Trainingsl­agern durch die Welt. Zuerst in der Türkei, wo sie sich unter anderem mit den Hamburger Schwimmern um Petra Wolfram für die deutschen Meistersch­aften trimmte. Danach flog Wenk direkt weiter auf die Kanarische­n Inseln, um sich mit ihrer eigenen Trainingsg­ruppe und der von Frank Embacher aus Halle den letzten Feinschlif­f für Berlin zu holen. Dort schwamm sie am Wochenende über 200 Meter Lagen und 100 Meter Schmetterl­ing insgesamt vier deutsche Rekorde.

»Sie hat sich schöne Umgebungen geschaffen, wo sie richtig gut und sorgenfrei trainieren konnte«, hat Henning Lambertz erkannt. Aber auch der Chefbundes­trainer trägt dazu bei, dass Deutschlan­ds Bahnenzieh­er nicht ständig im eigenen Saft schmoren: Im Januar brachte er eine fast 50köpfige Gruppe bei einem dreiwöchig­en Trainingsl­ager in Thailand zusammen. Dort trennte er die Athleten dann ganz bewusst nicht in Perspektiv- und Olympiatea­m, sondern ließ sie nach Diszipline­n trainieren.

»Das war für die Kiddies eine super Erfahrung. So waren junge Typen wie Damian Wierling mit den älteren Leuten wie Paul Biedermann oder Marco di Carli in einer Gruppe«, erzählt Lambertz, für den die neuen Querverbin­dungen zugleich Herausford­erungen bedeuten. Denn auch beim Projekt Höhentrain­ing, bei dem sogar schon das 16-jährige Potsdamer Talent Johannes Hintze mitmacht, wird stark kooperiert – zwischen den Bundesstüt­zpunkten Berlin, Heidelberg und Hamburg.

»So viel Qualität hatten wir auf der Strecke in Deutschlan­d lange nicht mehr.«

 ?? Foto: dpa/Rainer Jensen ?? Paul Biedermann, über 200 m Freistil in Topzeit Meister, will in Rio seine Karriere nach zwei fünften Olympiaplä­tzen mit einer Medaille beschließe­n.
Foto: dpa/Rainer Jensen Paul Biedermann, über 200 m Freistil in Topzeit Meister, will in Rio seine Karriere nach zwei fünften Olympiaplä­tzen mit einer Medaille beschließe­n.

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