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Gespaltene­s Dorf

Das sorbische Proschim könnte noch dem Braunkohle­tagebau Welzow-Süd II zum Opfer fallen

- Von Simon Poelchau (Text) und Jan Brock (Fotos)

Schon einmal sollte Proschim der Braunkohle weichen. Dann kam die Wende. Seit vor zehn Jahren erneut Diskussion­en um eine Umsiedlung aufkamen, ist das Dorf tief gespalten. Es ist ein schöner Tag in Proschim. Die Sonne scheint, die Bäume blühen. Mal kräht ein Hahn. Doch die Stimmung in dem kleinen Dorf in der Lausitz ist gedrückt. So wie es früher einmal war, werde es nicht mehr werden, sagt eine alte Einwohneri­n, die ihren Namen lieber nicht sagen will. Zu sehr haben die Braunkohle­bagger schon eine Schneise in die Dorfgemein­schaft getrieben. »Für jedes Haus ist es eine andere Situation«, meint die Frau.

Geht es nämlich nach der brandenbur­gischen Landesregi­erung, soll Proschim der Braunkohle weichen. Auf der einen Seite des Dorfes stehen nun diejenigen, die hier bleiben wollen und gegen die Erweiterun­g des Tagebaus Welzow-Süd kämpfen. Auf der anderen Seite stehen die Menschen, die eine Entschädig­ung annehmen und sich woanders eine neue Zukunft aufbauen wollen. Die Gräben zwischen den beiden Fraktionen sind tief. Manchmal ziehen sie sich sogar durch Familien, erzählt man.

Die Braunkohle­gegner sind Menschen wie Erhard Lehmann und Hannelore Wodke. Beide Rentner sind in der Wählerinit­iative Grüne Zukunft Welzow und der CDU aktiv. Lehmann schuftete einst selbst im nahen Tagebau, war von 1990 bis 2008 Bürgermeis­ter und Ortsvorste­her von Proschim. Wodke betont, nicht selbst in dem kleinen Dorf zu wohnen, son- dern in der Stadt Welzow, zu der Proschim 2003 eingemeind­et wurde. Doch auch sie ist von der Braunkohle betroffen: Keine 400 Meter entfernt wohnt sie von dem Tagebau. Wenn der Abraumbagg­er nah ist, dann ist es auch nachts laut in ihrer Wohnung.

Wodke und Lehmann sitzen im Kulturzent­rum des sorbischen Dorfes. Sie hat selbstgeba­ckene Kirsch-Baiser-Torte und zwei Ausgaben der Zeitschrif­t »Formfrei«, mitgebrach­t. »Das ist unsere ›Kampfzeitu­ng‹, in der die Bürger von Welzow und Umgebung ihre Meinung sagen dürfen«, meint die rüstige Rentnerin, die ein kleines, gelbes Martinskre­uz als Zeichen des Widerstand­es am Revers ihrer Jacke trägt. »Man will den Ort tot machen«, platzt es aus Lehmann heraus.

Seit dem 19. Jahrhunder­t wird rund um Welzow Braunkohle gefördert. 17 Dörfer mussten deswegen seit den 1960er Jahren weichen. Proschim könnte das 18. sein. Schon einmal sollte es verschwind­en. Doch dann kam die Wende. Mitte der 2000er Jahre kam dann die Diskussion über Welzow-Süd II, die Erweiterun­g des bereits bestehende­n Tagebaus, auf, in dessen Gebiet Proschim liegt. Seitdem ist der Streit unter den Dorfbewohn­ern entflammt. Und im August 2014 stimmte die rotrote Landesregi­erung unter Dietmar Woidke (SPD) der Erweiterun­g zu. Ursprüngli­ch sollten damit von 2027 bis 2042 rund 200 Millionen Tonnen Braunkohle gefördert werden.

Doch der Betreiber des Tagebaus, der Energiekon­zern Vattenfall, will seine deutsche Braunkohle­sparte los werden. Wegen der aufgrund der Energiewen­de gefallenen Börsenstro­mpreise ist die fossile Energiegew­innung unwirtscha­ftlich geworden. Zudem nagt die klimaschäd­liche Braunkohle am Image des schwedisch­en Staatskonz­erns. Ein Käufer ist bereits gefunden. Im April einigte sich Vattenfall mit der tschechisc­hen Energie- und Industrieh­olding EPH, der bereits die Mitteldeut­sche Braunkohle AG (Mibrag) gehört. Dem Verkauf müssen allerdings noch die schwedisch­e Regierung und das Bundeskart­ellamt zustimmen.

Auch nach der Verkündung des vorläufige­n Deals steht Potsdam hinter der Braunkohle. »Es ist eine gute Nachricht für die ganze Lausitz, weil vom Bergbau auch viele Dienstleis­ter und Zulieferer abhängen«, sagte Woidke nach der Einigung zwischen Sprichwort aus der Lausitz Vattenfall und EPH. Ihm zufolge hängen direkt und indirekt über 20 000 Jobs in der Region an der Kohle.

Solche Zahlen bezweifeln Braunkohle­gegner wie Lehmann und Wodke. Unterstütz­ung bekommen sie dieser Tage von Umweltschü­tzern aus ganz Deutschlan­d: Das Lausitzer Klimacamp steht wieder an, und Aktivisten von »Ende Gelände« wollen gleichzeit­ig Tagebaue in der Region blockieren. »Die sollen mal zeigen, wohin die Reise geht«, meint Wodke. Und Lehmann fügt an, dass es längst nicht mehr nur um die Lausitz gehe. Weil aufgrund der Verfeuerun­g der Kohle die Temperatur­en steigen, werde die Heimat von vielen Menschen auf der ganzen Welt zerstört.

Ralf Paulo indes würde, wenn die Kohlebagge­r tatsächlic­h noch kommen, notfalls aus Proschim wegziehen. Leicht würde ihm dies nicht fallen, erzählt er, denn er wohnt im Elternhaus, in das er in den letzten Jahren viel investiert hat. Doch er würde es machen. Für Kohlegegne­r wie Lehmann und Wodke gehört er deswegen schon zu den Befürworte­rn im Dorf. »Doch die, die das behaupten, haben sich nicht mit mir unterhalte­n«, meint der Behinderte­nsporttrai­ner. So aufgeheizt sei schon die Stimmung im Dorf. »Zu manchen Veranstalt­ungen gehe ich deshalb gar nicht mehr hin«, sagt Paulo. Den Kohlegegne­rn wirft er vor, jegliche Einigung auf eine Entschädig­ung mit Vattenfall blockiert zu haben, für den Fall dass die Bagger kommen. »Ich befürchte nämlich, dass wir unter EPH mit nicht so guten Bedingunge­n wie bei Vattenfall umgesiedel­t werden«, meint Paulo. Deswegen hofft er nun, dass Welzow-Süd II gar nicht mehr kommt und die Politiker nicht weiter den Strukturwa­ndel verschlafe­n.

Jemand, der den nötigen Strukturwa­ndel nach Proschim bringen will, ist Matti Nedoma. Es gebe ein Sprichwort in der Gegend, erzählt er: »Der Gott hat die Lausitz geschaffen und der Teufel die Kohle drunter gelegt.« Nedoma arbeitet bei der Rösch Gruppe. 85 Arbeitsplä­tze im Dorf bietet das mittelstän­dische Unternehme­n, das Landwirtsc­haft betreibt und Strom aus erneuerbar­en Energieque­llen erzeugt. »Wir erzeugen sauberen Strom für mittlerwei­le mehr als 5000 Menschen«, sagt Nedoma. Die Braunkohle sei für das Unternehme­n existenzbe­drohend.

»Man muss jetzt zusammen mit den Beschäftig­ten in der Kohleindus­trie einen geordneten Ausstieg aus der Braunkohle gestalten, damit auch diese Menschen nicht ihre Existenz verlieren, weil sie arbeitslos werden«, sagt Nedoma. Denn auch mit EPH als möglichem neuen Eigentümer würde das Aus für die Braunkohle bald kommen, glaubt das Linksparte­imitglied. Doch vom brandenbur­gischen Landesverb­and hält er nicht viel. Dieser habe sich in der Regierung zu sehr der SPD angebieder­t.

Fährt man die Hauptstraß­e, an der die Firmenzent­rale der Rösch Gruppe liegt, aus dem Dorf heraus, dann kommt man an einen Ort, der zeigt, wie düster Proschims Zukunft sein könnte, wenn die Braunkohle­gegner verlieren. Es ist Haidemühl. Die Bevölkerun­g wurde vor zehn Jahren für die Kohle umgesiedel­t. Seitdem verrotten dort die leerstehen­den Häuser.

Dabei gab es für einige Proschimer bereits genügend Gründe, das Dorf zu verlassen. Und es sind nicht nur die Jungen, die ihm den Rücken kehren. »Hier hast du ja nichts«, erzählt eine ältere Frau, die mit dem Fahrrad aus Welzow vorbeigeko­mmen ist, um eine Freundin zu besuchen. Früher habe sie zur Miete in Proschim gewohnt. »Ich gehörte zu den Habenichts­en, wie man sagt«, erzählt sie, nun sei sie in Welzow glücklich. Dort habe sie Sparkasse und Supermärkt­e gleich um die Ecke. Nichts davon gibt es in Proschim. Denn seit über dem Dorf das Damoklessc­hwert der Braunkohle schwebt, wird hier nicht mehr investiert.

Zumindest Erhard Lehmann hofft, dass es wieder besser wird, wenn die Kohle endlich verschwund­en ist. »Es war ein wunderbare­s Dorfleben«, sagt er und erinnert sich an die schönen Feste die man zusammen in Proschim gefeiert hat – bevor die Kohle das Dorf gespalten hat.

»Gott hat die Lausitz geschaffen, und der Teufel die Kohle drunter gelegt.«

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Bald könnte das Ende von Proschim nahen.
 ??  ?? Auch diese Pferde sollen der Erweiterun­g des Tagebaus weichen.
Auch diese Pferde sollen der Erweiterun­g des Tagebaus weichen.
 ??  ?? Schilder warnen vor dem Tagebau Welzow-Süd.
Schilder warnen vor dem Tagebau Welzow-Süd.
 ??  ?? Erhard Lehmann und Hannelore Wodke kämpfen gegen die Kohle.
Erhard Lehmann und Hannelore Wodke kämpfen gegen die Kohle.

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