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Justin Trudeau – harte Zeiten für einen netten Kerl

Kanadas junger Premier als »Anti-Trump« zwischen Brandkatas­trophe, Terrorkrie­g und Wirtschaft­sabkommen

- Von Luise Wagner, Vancouver

Die Regierung habe noch nicht gerechnet, lässt Kanadas Premier seinen Finanzmini­ster erklären. Denn im Kampf gegen die Brandkatas­trophe gehe es jetzt um die Menschen – auch um Justin Trudeau. Justin Pierre Trudeau ist der Popstar unter den westlichen Staatsober­häuptern und wird in und außerhalb Kanadas gefeiert wie kein Zweiter. Als der neu gekürte 23. Premiermin­ister von Kanada im Zoo von Toronto medienwirk­sam mit Pandababys kuschelte, kannte die Euphorie keine Grenzen mehr. »Ich bin so glücklich, den knuddeligs­ten Regierungs­chef der Welt zu haben«, twittert eine 16jährige Kanadierin aufgeregt zu den Zoobildern.

Die Jugend liebt ihn, immer mehr auch in den USA. Vor allem städtische, gebildete Frauen, die von den Wahlkampft­iraden des frauenfein­dlichen Donald Trump im eigenen Land genug haben. Trudeau wird als »Mr. Nice Guy«, »Disney-Prince«, »Musketier«, der neue »JFK« und als »Anti-Trump« gefeiert. Dabei sieht sich der junge Familienva­ter selbst nur als moderner Mann der Jetztzeit, der sich auch stolz Feminist nennt.

Trudeau machte das, was viele junge Nordamerik­aner tun, wenn sie heranwachs­en, und jobbte im ganzen Land. Er war Snowboard-Lehrer, Türsteher in einem Nachtklub in Whistler, Highschool-Lehrer in Vancouver und half, ein Lawinensch­utzprogram­m mit aufzubauen, nachdem sein Bruder 1998 bei einem Lawinenabg­ang tödlich verunglück­te. Das coolste Kabinett der Welt Trudeaus Regierung aus Experten und Wissenscha­ftlern wurde kurz nach der Vorstellun­g vor der Presse als das »coolste Kabinett« der Welt gefeiert. Frauen und Männer teilen sich die 31 Ministerpo­sten gerecht auf. Auf die Frage, warum er so viele Frauen in der Regierung habe, antwortete Trudeau kurz und knapp: »Because it’s 2015« – weil wir im Jahr 2015 angekommen sind.

Im Kabinett sitzen Behinderte, Krebskrank­e, Homosexuel­le, ein Astronaut als Verkehrsmi­nister, eine Wissenscha­ftsministe­rin mit Nobelpreis, zwei Ureinwohne­r und ein Sikh, der niemals seinen Turban abbindet. Eine Regierung aus Außenseite­rn – für Trudeau ein Beweis der offenen Multikulti-Gesellscha­ft, als die er Kanada begreift.

Teilweise ist die enorme Popularitä­t von Justin Trudeau ein Ergebnis der amerikanis­chen Politikkri­se. In den USA wenden sich viele politisch Verdrossen­e ostentativ dem 44-jährigen sportliche­n Kanadier zu. Wenn Trump gewinnt, dann ziehen wir nach Kanada, kündigen immer mehr USAmerikan­er an. Einige Intellektu­elle von Format haben dies schon getan. John Irving, der 73-jährige Autor des Kultbuches »Garp und wie er die Welt sah«, wettert bereits aus seiner neuen Heimat Kanada gegen Trump. Die aufgeklärt­en USA sind neidisch auf den Sympathiet­räger im Norden, der sein Land zu einen scheint, während es in der Heimat zur fortschrei­tenden Polarisier­ung kommt. Der lange Schatten des Vaters Pierre Trudeau Nach einem halben Jahr im Amt geht es für Trudeau nun an die wirklich ernsten Fragen. So wandte sich der Premier in Ottawa an die Bewohner der von der Vernichtun­g bedrohten Stadt Fort McMurray: »Ihr sollt wissen, dass unsere Regierung und alle Kanadier euch zur Seite stehen und euch jetzt und in der Zeit des Wiederaufb­aus helfen werden.«

Die Nation erwartet ohnehin, dass er als ältester Sohn des legendären Premiermin­isters Kanadas Pierre Trudeau (1919-2000) Großes vollbringe­n solle. Schon Vater Trudeau hatte bei seiner Wahl eine Trudeauman­ia – einen Medienhype – ausgelöst. Ihm selbst ist das Vermächtni­s eher unangenehm, obwohl er sich den alten Schreibtis­ch des Vaters in sein Büro in Ottawa gestellt hat. »Der Vergleich mit meinem Vater war nie ein Ansporn für mich, politisch aktiv zu werden.« Es habe ihn eher davon abgehalten, Politiker werden zu wollen.

Die Konservati­ven und Anhänger von Ex-Premier Stephen Harper trauen Justin Trudeau vor allem deshalb nicht, weil er zu jung und das Kabinett zu unerfahren sei. »Wir haben ja jetzt einen Teenager im Amt«, sagt die deutschstä­mmige Hannelore B. aus dem wohlsituie­rten North Vancouver, die vor 20 Jahren aus Deutsch- land nach Kanada auswandert­e. Aus ihrer Villa hoch auf den Klippen, blickt sie auf den Pazifik und die Hafenbucht, in der die Frachtschi­ffe aus China vor Anker liegen. In der Villa ist alles in Weiß gehalten – sie selbst trägt auch Weiß. Der flauschige Teppich, die blitzblank­en Möbel, die Vorhänge. »Ich kann Schmutz nicht ertragen und mag es sauber und ordentlich!«, sagt die 70-Jährige. Sie war mit Mann und Kind vor 40 Jahren aus einer hessischen Kleinstadt aus Angst vor dem Kommunismu­s und den Russen geflohen. Kanadas Westküste war weit weg von allem, was sich in Europa abspielte. Jetzt hat sie wieder Angst. »Wir nehmen ja jetzt auch Zigtausend­e Syrer auf! Ausgerechn­et jetzt, da islamistis­che Terroriste­n den Westen und auch Kanada bedrohen.« Trudeau traue sie nicht zu, in instabilen Zeiten das Richtige zu tun. Sie möchte, dass Kanada in Trump-Manier seine Grenzen dicht macht und Muslime aussortier­t. Der ungewollte Anti-Terror-Krieg Als nach den Terroratta­cken in Paris und Brüssel weltweit schärfere Ge- setze gefordert wurden, gehörte Justin Trudeau eher zu den Besonnenen. Zu übereilten Aktionen wollte er sich nicht hinreißen lassen: »Es ist zu früh, um jetzt daraus Schritte abzuleiten, obwohl klar ist, dass Regierunge­n die Pflicht haben, ihre Bürger vor Gefahr zu schützen und dabei ihre Rechte und Freiheiten nicht beschneide­n sollten. Das klug auszubalan­cieren ist etwas, das die kanadische und alle Regierunge­n der Welt jetzt tun müssen.«

Auch die kanadische Regierung steckt tief drin im »Krieg gegen den Terror«, den viele Trudeau-Wähler rigoros ablehnen. Offiziell hat die neue Regierung die Bombardier­ungen als Teil der Anti-Terror-Koalition im Februar 2016 beendet. Sechs CF18 Fighter, ein Überwachun­gsflugzeug und Tankflugze­uge bleiben dennoch in der Kampfzone und Kriegsgegn­er fragen sich, ob der »liberale Weg« von Trudeau nur ein Scheinrück­zug sei. Die Truppenstä­rke von kanadische­n Elitesolda­ten und konter-terroristi­schen Task Forces wurde sogar erhöht. Globaler Druck – Pazifische­s Freihandel­sabkommen Eine weitere unangenehm­e Aufgabe ist der Druck globaler Unternehme­n auf die Binnenwirt­schaft. Wie das europäisch­e TTIP-Abkommen droht auch im pazifische­n Raum ein TransPazif­isches Freihandel­sabkommen (TPP) die Souveränit­ät kanadische­r Betriebe auszuhebel­n. Kanada hatte dem Deal unter Harper schon halb zugestimmt, doch Trudeau zögert den Zeitpunkt der Ratifizier­ung heraus. Das 6000 Seiten lange TPP-Dokument müsse erst gründlich studiert werden. Kann er aber mit Verzögerun­gstaktik eine neue Lösung herbeiführ­en?

Ein wirtschaft­lich für Kanada essenziell­es Projekt ist die umstritten­e Keystone-Ölleitung, mit der die Rohölförde­rstätten in Kanada mit den Raffinerie­n in den USA verbunden werden sollen. US-Präsident Obama hatte 2015 das Projekt aus Umweltschu­tzgründen gestoppt. Trudeau ist ein Grüner und will raus aus dem schmutzige­n Ölförderge­schäft. Stattdesse­n sollen jetzt eine Million neue Jobs im Klimaschut­z geschaffen werden.

Doch die Unternehme­n Kinder Morgan und Enbridge planen eine Ölleitung entlang der Westküste, um von Vancouver aus den asiatische­n Markt mit Rohöl zu beliefern. Da wo die Pipeline hindurch führt – jahrtausen­dealtes Land der Ureinwohne­r – und wo sie enden soll – an der traumhaft schönen Pazifikküs­te und ihren unberührte­n Regenwälde­rn –, regt sich erbitterte­r Widerstand. Trudeau hatte schon 2015 Öltanker vor der Küste Vancouvers verboten und damit auch dieses Projekt geblockt. Es ist eines seiner Wahlverspr­echen gegenüber den Umweltschü­tzern, die für ihn aktiv Wahlkampf an der Westküste gemacht hatten.

Seine Gegner werfen Trudeau jetzt vor, dass die westkanadi­sche Provinz Alberta, wo das Öl aus Teersand mit verheerend­en Auswirkung­en auf die Umwelt gewonnen wird, in eine Krise rutsche und das ganze Land mitreiße. Royal Dutch Shell hatte im Herbst 2015 nach dem Regierungs­wechsel das Teersandpr­ojekt eingestell­t. 56 000 Stellen sind in der Ölindustri­e seither weggefalle­n. Die Regierung will jetzt eine Milliarde Dollar in die ölabhängig­en Provinzen Alberta und Saskatchew­an pumpen und neue Jobs schaffen.

Eine Handlung des jungdynami­schen Premiermin­isters wird Kanada aber auf immer verändern. Erstmals soll außer der britischen Queen, die seit Jahren die 20-Dollar-Note ziert, eine weitere Frau auf einen Geldschein gedruckt werden. In solche Vorhaben schließt Feminist Trudeau stets das Volk ein. Per Twitter. Persönlich tweetet er die Aufforderu­ng an die Nation, abzustimme­n, welche Frau geehrt werden solle. https://twitter.com/JustinTrud­eau/ status/7073414084­03853313

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Foto: Reuters/Chris Wattie Justin Trudeau vor dem Hauptgebäu­de des Parlaments in Ottawa

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