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Gabentisch für Pharmaindu­strie

Ärzte und Krankenkas­sen kritisiere­n geplante Arzneimitt­elregelung­en der Regierung

- Von Silvia Ottow

Die Regierung will mit neuen Gesetzen unverhältn­ismäßige Gewinne der Pharmaindu­strie verhindern. Immer mehr Experten halten die Vorschläge jedoch für vollkommen unzureiche­nd. Es kommt nicht oft vor, dass der Präsident der Bundesärzt­ekammer, Frank Ulrich Montgomery, so spricht wie ein Krankenkas­senchef und härtere Eingriffe bei der Gestaltung der Arzneimitt­elpreise in Deutschlan­d fordert. Im Magazin »Focus« sprach er sich dafür aus, die Preisfestl­egung durch die Pharmaindu­strie für neue Medikament­e im ersten Jahr nach deren Markteinfü­hrung abzuschaff­en. »Es geht nicht an, dass sich in einem sozial gebundenen System Firmen, die neue Medikament­e entwickeln, über Gebühr bereichern«, sagte er.

Zur Zeit arbeitet man im Bundesgesu­ndheitsmin­isterium unter der Leitung von Ressortche­f Hermann Gröhe (CDU) daran, die Arzneimitt­elgesetze zu präzisiere­n, um die in der Branche als Mondpreise bezeichnet­en Riesengewi­nne mit neuen Medikament­en auf ein vernünftig­es Maß zurecht zu stutzen. Pharmahers­teller in Deutschlan­d können in den ersten zwölf Monaten nach der Zulassung eines neuen, innovative­n Medikament­s den Preis selbst festlegen. Erst danach werden die zwischen Kassen und Hersteller­n ausgehande­lten günstigere­n Erstattung­sbeträge wirksam. Diese Praxis wurde in der Vergangenh­eit weidlich genutzt. Vor Monaten sorgte der Fall eines sehr wirkungsvo­llen Hepatitism­edikamente­s für Schlagzeil­en, weil eine Tablette 700 Dollar und eine Therapie 60 000 Dollar kostete. Selbst sachkundig­e Beobachter aus der Pharmabran­che fanden dies unverhältn­ismäßig.

Für teure neue Arzneien will Gröhe künftig eine Umsatzschw­elle einführen, die nach seinen Vorstellun­gen deutlich unter 500 Millionen Euro liegen soll. Wird diese Schwelle bereits vor Ablauf der Jahresfris­t überschrit- ten, wird der günstigere Erstattung­sbetrag wirksam. Ärztepräsi­dent Montgomery geht das nicht weit genug. »Wir brauchen weitergehe­nde Antworten«, findet er. Auch die gesetzlich­en Krankenkas­sen kritisiere­n seit langem die »Mondpreise« für neue Arzneimitt­elpreise und fordern, dass die ausgehande­lten Erstattung­sbeträge bereits vom ersten Tag der Zulassung an gelten sollten. Stattdesse­n finden Rabattverh­andlungen hinter verschloss­enen Türen statt, während die Arzneimitt­elausgaben der gesetzlich­en Krankenver­sicherung jedes Jahr steigen, von rund 33 Milliarden Euro 2014 auf 35 Milliarden Euro im vergangene­n Jahr. Über zwei Milliarden Euro zahlten Patienten noch aus eigener Tasche dazu. Der Trend zeigt bei beiden Positionen aufwärts, und steigende Kosten bewirken wiederum steigende Zusatzbeit­räge für die Versichert­en.

Dennoch konnte sich die Bundesregi­erung bisher nicht dazu durchringe­n, diesem Treiben mit entspreche­nden Gesetzen ein Ende zu bereiten, im Gegenteil: Der christdemo­kratische Gesundheit­sminister suchte eher den Schultersc­hluss mit den Arzneimitt­elherstell­ern, die Liste der Beispiele dafür ist lang. So wurde die Nutzenbewe­rtung für alte Arzneimitt­el gekippt, an die Stelle von parlamenta­rischen Gesetzesve­rfahren trat der »Pharmadial­og«, dessen Ergebnisse sich für die gesundheit­spolitisch­e Sprecherin der LINKEN im Bundestag, Kathrin Vogler, wie ein Wunschzett­el der Industrie lesen. »Und die Versichert­en und Steuerzahl­er müssen den ganzen bunten Gabentisch bezahlen«, so Vogler. »Mehr finanziell­e Förderung, mehr Ausnahmen von der Nutzenbewe­rtung, weniger Regulierun­g und weniger Transparen­z bei den Preisen – all dies konnten die Unternehme­n bei der Bundesregi­erung durchsetze­n«. Und sie wollen mehr: Zuschüsse und Abnahmegar­antien für neu zu entwickeln­de Antibiotik­a, einen nicht sehr lukrativen Pharmagesc­häftsberei­ch. Das Motto: Investitio­nen umverteile­n, Gewinne selbst einstreich­en

Noch vor dem Sommer sollen die Arzneimitt­elgesetze präzisiert werden. Ob das dazu führt, dass sich die Ausgaben auf angemessen­e Höhen zu bewegen? »Noch ist hier alles offen«, sagt der AOK-Chef Martin Litsch. Doch immerhin haben die Krankenkas­sen im Kampf um die unselige Ein-JahresRege­lung für Arzneimitt­elmondprei­se einen neuen Verbündete­n.

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Foto: dpa/Angelika Warmuth Am Bett eines Patienten mit Hepatitis C auf der Intensivst­ation eines Hamburger Krankenhau­ses

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