Gabentisch für Pharmaindustrie
Ärzte und Krankenkassen kritisieren geplante Arzneimittelregelungen der Regierung
Die Regierung will mit neuen Gesetzen unverhältnismäßige Gewinne der Pharmaindustrie verhindern. Immer mehr Experten halten die Vorschläge jedoch für vollkommen unzureichend. Es kommt nicht oft vor, dass der Präsident der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery, so spricht wie ein Krankenkassenchef und härtere Eingriffe bei der Gestaltung der Arzneimittelpreise in Deutschland fordert. Im Magazin »Focus« sprach er sich dafür aus, die Preisfestlegung durch die Pharmaindustrie für neue Medikamente im ersten Jahr nach deren Markteinführung abzuschaffen. »Es geht nicht an, dass sich in einem sozial gebundenen System Firmen, die neue Medikamente entwickeln, über Gebühr bereichern«, sagte er.
Zur Zeit arbeitet man im Bundesgesundheitsministerium unter der Leitung von Ressortchef Hermann Gröhe (CDU) daran, die Arzneimittelgesetze zu präzisieren, um die in der Branche als Mondpreise bezeichneten Riesengewinne mit neuen Medikamenten auf ein vernünftiges Maß zurecht zu stutzen. Pharmahersteller in Deutschland können in den ersten zwölf Monaten nach der Zulassung eines neuen, innovativen Medikaments den Preis selbst festlegen. Erst danach werden die zwischen Kassen und Herstellern ausgehandelten günstigeren Erstattungsbeträge wirksam. Diese Praxis wurde in der Vergangenheit weidlich genutzt. Vor Monaten sorgte der Fall eines sehr wirkungsvollen Hepatitismedikamentes für Schlagzeilen, weil eine Tablette 700 Dollar und eine Therapie 60 000 Dollar kostete. Selbst sachkundige Beobachter aus der Pharmabranche fanden dies unverhältnismäßig.
Für teure neue Arzneien will Gröhe künftig eine Umsatzschwelle einführen, die nach seinen Vorstellungen deutlich unter 500 Millionen Euro liegen soll. Wird diese Schwelle bereits vor Ablauf der Jahresfrist überschrit- ten, wird der günstigere Erstattungsbetrag wirksam. Ärztepräsident Montgomery geht das nicht weit genug. »Wir brauchen weitergehende Antworten«, findet er. Auch die gesetzlichen Krankenkassen kritisieren seit langem die »Mondpreise« für neue Arzneimittelpreise und fordern, dass die ausgehandelten Erstattungsbeträge bereits vom ersten Tag der Zulassung an gelten sollten. Stattdessen finden Rabattverhandlungen hinter verschlossenen Türen statt, während die Arzneimittelausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung jedes Jahr steigen, von rund 33 Milliarden Euro 2014 auf 35 Milliarden Euro im vergangenen Jahr. Über zwei Milliarden Euro zahlten Patienten noch aus eigener Tasche dazu. Der Trend zeigt bei beiden Positionen aufwärts, und steigende Kosten bewirken wiederum steigende Zusatzbeiträge für die Versicherten.
Dennoch konnte sich die Bundesregierung bisher nicht dazu durchringen, diesem Treiben mit entsprechenden Gesetzen ein Ende zu bereiten, im Gegenteil: Der christdemokratische Gesundheitsminister suchte eher den Schulterschluss mit den Arzneimittelherstellern, die Liste der Beispiele dafür ist lang. So wurde die Nutzenbewertung für alte Arzneimittel gekippt, an die Stelle von parlamentarischen Gesetzesverfahren trat der »Pharmadialog«, dessen Ergebnisse sich für die gesundheitspolitische Sprecherin der LINKEN im Bundestag, Kathrin Vogler, wie ein Wunschzettel der Industrie lesen. »Und die Versicherten und Steuerzahler müssen den ganzen bunten Gabentisch bezahlen«, so Vogler. »Mehr finanzielle Förderung, mehr Ausnahmen von der Nutzenbewertung, weniger Regulierung und weniger Transparenz bei den Preisen – all dies konnten die Unternehmen bei der Bundesregierung durchsetzen«. Und sie wollen mehr: Zuschüsse und Abnahmegarantien für neu zu entwickelnde Antibiotika, einen nicht sehr lukrativen Pharmageschäftsbereich. Das Motto: Investitionen umverteilen, Gewinne selbst einstreichen
Noch vor dem Sommer sollen die Arzneimittelgesetze präzisiert werden. Ob das dazu führt, dass sich die Ausgaben auf angemessene Höhen zu bewegen? »Noch ist hier alles offen«, sagt der AOK-Chef Martin Litsch. Doch immerhin haben die Krankenkassen im Kampf um die unselige Ein-JahresRegelung für Arzneimittelmondpreise einen neuen Verbündeten.