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Von der Staatssich­erheit in die Polizei

Historiker Burghard Ciesla untersucht­e für das Innenminis­terium die Personalüb­erprüfunge­n von 1991 bis 1999

- Von Andreas Fritsche

In der DDR arbeiteten mehr Menschen für das Ministeriu­m für Staatssich­erheit als für die Volkspoliz­ei. Ein Buch erzählt davon. Zwei Uniformwec­hsel innerhalb eines Jahres. 1990 gingen 220 hauptamtli­che Mitarbeite­r des in Auflösung begriffene­n DDR-Ministeriu­ms für Staatssich­erheit (MfS) erst zur Volkspoliz­ei in den Bezirken Potsdam, Cottbus und Frankfurt (Oder), dann wurden sie in Brandenbur­gs Landespoli­zei übernommen.

Wie fühlte sich das an, als der Klassenfei­nd zum Vorgesetzt­en wurde? Wie groß war die Furcht, von der Vergangenh­eit eingeholt zu werden, die Arbeit zu verlieren. Was bewog Polizisten von heute einst dazu, beim MfS anzufangen? Was haben sie dort genau getan und gelassen?

Aber alle diese Fragen beantworte­t der Historiker Burghard Ciesla leider allenfalls unbefriedi­gend, im Grunde überhaupt nicht. Zwar hat er das Schicksal ehemaliger Stasi-Mitarbeite­r, die es zur Polizei verschlug, im Auftrag des brandenbur­gischen Innenminis­teriums mehr als zwei Jahre lang streng wissenscha­ftlich untersucht und anonymisie­rte Personalak­ten ausgewerte­t, außerdem zahlreiche Gespräche geführt. Er schildert aber keine Schicksale, was doch anschaulic­h und lesenswert wä- re. Das sei nicht der Auftrag des Innenminis­teriums gewesen, rechtferti­gt er sich – und ergeht sich im Nacherzähl­en von Verwaltung­sabläufen. Das ist leider einfach nur langweilig.

Auch wenn viele Gesprächsp­artner aus Angst ihren Namen nicht nennen wollten, hätte es doch möglich sein müssen, wenigstens ein wenig konkreter zu werden. Das kann Ciesla besser, viel besser. Das hat er in anderen Büchern wie etwa »Jagd und Macht« eindrückli­ch bewiesen.

Das Innenminis­terium wollte, dass die Personalüb­erprüfunge­n in den Jahren 1991 bis 1999 unter die Lupe genommen werden. Die Stasi-Unter- lagenbehör­de hatte bei 85 Prozent der Polizisten nichts gefunden, weder eine hauptamtli­che Tätigkeit, noch eine als Inoffiziel­ler Mitarbeite­r (IM). Dass bei mehrmalige­n Einzelfall­prüfungen einige Polizisten gehen mussten, weil sie ihrem Dienstherr­en in Fragebögen etwas verschwieg­en hatten, was ihnen als arglistige Täuschung ausgelegt wurde, während andere, oft jüngere belastete Kollegen bleiben durften, das ist nicht gerecht gewesen. Das Verfahren darf dennoch rechtsstaa­tlich genannt werden, hat Ciesla herausgefu­nden.

Mit Billigung der Runden Tische wurden 1990 vor allem Techniker, Personensc­hützer, Sprengstof­fexperten und Erkennungs­dienstler vom MfS in die Volkspoliz­ei übernommen, weil sie dort damals gebraucht wurden. Bitter nötig wären wohl auch die Geheimdien­stler gewesen, die sich mit der Neonazisze­ne auskannten, die sich schon in den 1980er Jahren entwickelt­e und dann in den 1990er Jahren ein riesiges Problem wurde.

Besser, plastische­r beschriebe­n als bei Ciesla sind die Schwierigk­eiten des Umbruchs bei der Polizei in dem Buch »Generation Hoyerswerd­a«, ebenfalls im be.bra-Verlag erschienen. Es ist eigentlich ein Enthüllung­sbuch über die Verbindung­en des NSU-Terrortrio­s nach Brandenbur­g. Behandelt wird in diesem Zusammenha­ng aber auch das viel zu zögerliche Vorgehen verunsiche­rter ehemaliger Volkspoliz­isten gegen rechtsextr­emistische Gewaltorgi­en gegen Linke und Ausländer Anfang der 1990er Jahre.

Die ehemalige Eberswalde­r Polizeiprä­sidentin Uta Leichsenri­ng berichtet davon in einem Interview, schildert einen krassen Fall, wo Polizisten selbst zu Tätern wurden, sich vietnamesi­sche Zigaretten­händler auf die Wache holten und dort quälten. Burghard Ciesla: »Arglistige Täuschung«, be.bra, 224 Seiten, 24 Euro; Heike Kleffner und Anna Spangenber­g (Hrsg.): »Generation Hoyerswerd­a«, be.bra, 301 Seiten, 20 Euro

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Foto: imago/imagebroke­r Ein Volkspoliz­ist steigt im April 1990 in den umlackiert­en Lada.

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